Anette Schultner (ChrAfD) als gefragte Interviewpartnerin auf dem Kirchentag.  Foto: Christian-Ditsch.de

Kirchentag und Vorwahlkampf – Der gescheiterte Versuch, die AfD in Sachfragen zu verstricken

Am ersten Tag des Evangelischen Kirchentages 2017 in Berlin fand eine im Vorfeld stark umstrittene Diskussion statt, bei der Anette Schultner von der Alternative für Deutschland (AfD) ein Podium gewährt wurde. Das Präsidium des Kirchentags musste sich dafür scharfe Kritik aus den eigenen Reihen gefallen lassen, hielt aber an der Redebereitschaft mit der Sprecherin der Christen in der AfD (ChrAfD) fest. Die Begleitumstände aber auch der Verlauf der Diskussion selber bestätigten, wie zweifelhaft die Entscheidung der Kirchenoberen war, sich auf dieses Gespräch einzulassen.

von Ulli Jentsch

Schon im Januar war die Einladung an die AfD-Frau bekannt geworden und der mediale Erfolg für die extrem rechte Funktionärin stellte sich umgehend ein. Schultner selbst verbreitete die freudige Nachricht umgehend, was ihr und der bis dahin weitgehend unbekannten ChrAfD erstmals überregional in die Schlagzeilen verhalf. Für manche war hier schon klar, dass diese Streitfrage bereits jetzt ein Gewinn für die AfD war.[1]

Pressetermin für Frau Schultner

Die Veranstaltung »Christen in der AfD?« in der Sophienkirche war überfüllt, einziger sichtbarer Protest vor Beginn war eine kleine Gruppe vom »Befreiungstheologischen Netzwerk«[2] , die sich vor dem Eingang Dispute mit AfD-AnhängerInnen lieferte, die ihrerseits Flugblätter der ChrAfD verteilten. Die Diskussion zwischen Schultner, dem Berliner Landesbischof Markus Dröge und der konservativen Publizistin Liane Bednarz entwickelte sich zeitweise vor allem zu einem Schlagabtausch zwischen Schultner und Dröge, der sich gut vorbereitet zeigte. Er warf der AfD nicht nur deren menschenverachtende Positionen vor, sondern auch die Vorgehensweise gegenüber Kritiker*innen: Aussagen würden verdreht und an Sachfragen bestünde kein Interesse. Hierfür zitierte Dröge unter anderem ausführlich aus einem Strategiepapier des Berliner AfD-Landesvorsitzenden Georg Pazderski. Anette Schultner entgegnete, dies sei gar kein Strategiepapier der AfD und zeigte sich schlechter informiert als ihr Kritiker. Der offenbare Widerspruch, warum Dröge an einem für unmöglich erklärten Gespräch doch festhielt, blieb ungeklärt. Dröges präzise Argumentationen fanden dennoch im Publikum nahezu einhellige Zustimmung, außer bei dem Dutzend AfD-ClaqueurInnen.

Anette Schultner sorgte bereits früh für Schärfe in der Diskussion, als sie die Grenzöffnung für Flüchtlinge beklagte und formulierte, sie wolle »keine Völkerwanderung«, »Völker« müssten vielmehr in ihrem »natürlichen Raum« bleiben. Sowohl Bednarz als auch Dröge markierten solch eine Position als außerhalb des Konservatismus bzw. der Kirche stehend. Immer wieder verknüpfte Schultner ihre Antworten mit den aktuellen Fluchtbewegungen: eine »unkontrollierte Massenzuwanderung« habe zu viele »falsche« Flüchtlinge nach Deutschland gebracht, darunter angebliche »15-30.000 Terroristen«, es werde zu wenig für »verfolgte Christen« getan, die Kirche wolle aus falsch verstandener christlicher Nächstenliebe »die ganze Welt aufnehmen« etc.

»Die Bibel ist nicht dieses trali-trala!«

Schultner belegte den Unwillen oder die Unfähigkeit der AfD zur Sachauseinandersetzung leibhaftig während der Diskussion und bestätigte damit den von Landesbischof Dröge erhobenen Vorwurf. Dies zeigte auch das gereizte Nachtreten Schultners auf einer eigens zum Thema Kirchentag einberufenen AfD-Pressekonferenz[3] am 29. Mai. Die anwesende AfD-Spitze machte vor einem Dutzend Journalist*innen klar, was nach diesem ersten »Dialogversuch« auf ihrem Fahrplan steht: Gespräche auf höchster Ebene, um die aus Sicht der Partei ungerechtfertigte Isolation zu beenden. Spätestens hier begann durch die AfD der Vorwahlkampf und der ohnehin lahme Hinweis des Kirchentages, man werde »nicht der AfD zuhören, sondern einer Vertreterin von Christen in der AfD« wurde endgültig durch die Eingeladenen selber konterkariert.

Man hätte es besser wissen können: Anette Schultner war schon vorher, sofern sie überhaupt wem aufgefallen war, als Vertreterin christlich-fundamentalistischer Inhalte und damit einer vorgeblich »wortgetreuen« Auslegung der Bibel bekannt. Daraus schließt sie, Mitglied einer baptistischen Freikirche, ihre Ablehnung von Abtreibungen oder auch die Ablehnung der Ehe für alle, die angebliche Existenz einer „Polarität der Geschlechter«: »Dinge, die man ganz eindeutig aus der Bibel heraus lesen kann.«[4] Dabei argumentiert sie in ihren Positionen zur Familienpolitik wie viele der AfD-Mitglieder, die der »Lebensschutz«-Bewegung nahe stehen: ihre Thesen sind antifeministisch und zugleich »neu-rechts« in ihren ausgeprägten Ängsten vor einer »demografischen Krise«. Wer sich Schultners politische Referenzen anschaut, wird wenig Christliches finden, aber um so mehr Bezüge in das »neu-rechte« Zitierkartell, das sich seit Jahren um die Mobilisierung des Christentums für ein neues Projekt der extremen Rechten bemüht.[5]

Repräsentanz für das extrem rechte Christentum

Die AfD möchte sich jenem seit vielen Jahrzehnten existierenden, weit rechtsaußen stehenden Spektrum der evangelischen Kirche, das von der sogenannten »Merkel-CDU« enttäuscht ist, als politische Repräsentanz anbieten. Diesem Ziel dienen auch die andauernden Angriffe auf diejenigen Vertreter*innen der beiden Amtskirchen, die sich kritisch über die AfD äußern. Die Basis, so der wiederholte Tenor der Äußerungen auch von Anette Schultner, sei viel toleranter gegenüber der AfD und ihren Positionen als die Kirchenspitzen. Die seien vielmehr so etwas wie der kirchliche Arm der »linksgrünen« Politik und – so soll wohl suggeriert werden – auch keine authentischen Repräsentant*innen der Gemeinden. Anette Schultner fordert daher weniger Politik in den Kirchen, aber mehr politisches Engagement durch ChristInnen, eine altbekannte Formel evangelikaler Kreise und anderer »Bibeltreuer«. Der Kirchentag 2017 bot eben auch eine Unmenge an Veranstaltungen, die der AfD nicht gepasst haben können: Vor allem im »Zentrum Regenbogen«, »Zentrum Gender« und im »Zentrum Jugend« wurden reihenweise Veranstaltungen zu queeren und antirassistischen Themen angeboten.

Dabei sind die rechts-evangelischen Positionen auch 2017 durchaus auf dem Evangelischen Kirchentag vertreten gewesen, wie ein Rundgang über den sogenannten »Markt der Möglichkeiten« zeigte. Neben den führenden »Lebensschutz«-Organisationen KALEB (Kooperative Arbeit und Leben Ehrfürchtig Bewahren), dem Bundesverband Lebensrecht (BVL) und der Aktion Lebensrecht für alle (ALfA) war zum Beispiel auch die Beratungsstelle Aus-WEG!? aus Pforzheim mit einem Stand vertreten, die zwar Konfliktberatung für Schwangere anbietet, aber nicht den für legale Abtreibungen notwendigen Beratungsschein. Die Hilfsaktion Märtyrerkirche (HMK) war ebenso vor Ort wie der wegen seiner pauschalisierenden Aussagen über den Islam umstrittene Verein Christian Solidarity International (CSI).

Ein Dammbruch dieses Spektrums hinein in die AfD ist nach wie vor nicht zu sehen, zu dominant bleiben hier immer noch die Unionsparteien[6]. Wenn AfD-Parteichef Jörg Meuthen auf der erwähnten Pressekonferenz behauptet: »Die AfD ist im Grunde genommen die Partei in Deutschland, die die christlichen Werte mehr als die anderen Parteien hervorhebt und verteidigen will und übrigens auch die Partei, in der – ohne dass ich das empirisch überprüft hätte, aber ich bin mir da sehr sicher, dennoch – mehr engagierte Christen zu finden sind als vermutlich in allen anderen Parteien«, dann ist dies Wunschdenken, das hart am Rande einer Wahnvorstellung entlang taumelt. Alleine der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU hat über 200.000 Mitglieder, die Christen in der AfD irgend etwas im »mittleren dreistelligen Bereich«, wie Anette Schultner auf Pressenachfrage einräumte. Einen deutlicheren Hinweis darauf, wie sehr sie medial überrepräsentiert ist, konnte die Bundessprecherin der ChrAfD kaum geben.

 

  1.  Für beobachtende Begleitung, Hinweise und Diskussionen danke ich meinen Kolleginnen Eike Sanders und Kirsten Achtelik.
  2.  http://www.befreiungstheologisches-netzwerk.de
  3.  Vgl. Pressekonferenz der AfD: Gute Christen? Schlechte Christen? Vom 29.05.2017 mit Jörg Meuthen, ArminPaul Hampel, Anette Schultner, u.a. auf der Facebook-Seite der AfD.
  4.  So Schultner wörtlich auf der PK vom 29.5.2017, siehe oben.
  5.  U.a. die Junge Freiheit, Paul von Oldenburg, Matthias von Gersdorff.
  6.  Auch die katholische Laienorganisation Donum Vitae sowie die Christdemokraten für das Leben (CDL) waren auf dem Kirchentagsmarkt vertreten.