Queerfeindlichkeit in der extrem rechten Publizistik – Teil 1

Die extreme Rechte hat wenig übrig für vielfältige Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen. Sie spricht sich offen gegen die Selbstbestimmung von Queers aus. Mit der Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wird auch die Transidentität vermehrt verhandelt. Welchen Widerhall  queer- und transfeindliche Narrative in der Publizistik der extremen Rechten finden, untersuchen wir in dieser Ausgabe. In die Betrachtung eingeflossen sind die 2022 und 2023 erschienenen Ausgaben (und Sonderhefte) der Zeitschriften Compact, Junge Freiheit, N.S. Heute, Zuerst!, Sezession und Deutsche Stimme.

Von Kilian Behrens, Mika Pérez Duarte, Lea Lölhöffel, Vera Henßler, Patrick Schwarz

Queerfeindlichkeit, wie auch Transfeindlichkeit, breitet sich immer weiter aus. Dies zeigt sich unter anderem an vermehrten Gewalttaten gegenüber LGBTIQ*-Personen. Körperliche und verbale Übergriffe häufen sich ebenso wie Angriffe gegenüber Einrichtungen des queeren Lebens. Ende November 2023 veröffentlichte Transgender Europe eine alarmierende Statistik: 321 trans Menschen wurden von Oktober 2022 bis September 2023 europaweit ermordet. Eine hohe Dunkelziffer ist sehr wahrscheinlich. Über 90 Prozent der Getöteten sind trans Frauen, zumeist trans Frauen of Color, Schwarze trans Frauen oder Sexarbeiterinnen. In Deutschland wurde 2022 der junge trans Mann Malte C. nach einer queerfeindlichen Attacke am Rande des Christopher Street Days in Münster getötet. Er hatte Zivilcourage gezeigt, als andere Teilnehmerinnen attackiert wurden. In der parlamentarischen Debatte nimmt die AfD, allen voran Beatrix von Storch, transfeindliche Positionen ein und versucht, unter anderem mit Argumenten für den Schutz der traditionellen Familie, die Selbstbestimmung junger Menschen einzuschränken. Das neonazistische Spektrum hat das Feindbild Queers schon lange im Fokus, parteiübergreifend herrscht hier Einigkeit.

Trans- und queerfeindliche Positionen lassen sich jedoch nicht nur in der extremen Rechten finden. Insbesondere Transfeindlichkeit hat eine ideologische Scharnierfunktion. In manchen feministischen und liberalen Kreisen wird die Selbstbestimmung von trans Menschen in Frage gestellt, etwa weil sie fälschlicherweise als Bedrohung für Frauenrechte und -schutzräume angesehen wird. Eine Abgrenzung von extrem rechten, antisemitischen und rassistischen Positionen ist für diese Kreise zum Teil nicht besonders relevant, was von extrem rechter Seite begrüßt wird. Trans- und queerfeindliche Positionen verknüpfen sich mit antifeministischen und antimodernen Haltungen, mitunter spielt der christliche Fundamentalismus eine tragende Rolle. Die Rettung der traditionellen Familie als Garant nationaler Souveränität ist ebenso von Bedeutung wie Natur und Religion. Entsprechende Argumentationen waren bereits bei den Mobilisierungen zu den »Demos für alle«[1] ab 2014 zentral. Seitdem kann ein sich verschärfender Kulturkampf beobachtet werden, in dem es auf der einen Seite um Anerkennung von Menschenrechten, Sichtbarkeit und Sicherheit geht, auf der anderen Seite stehen als gefährdet wahrgenommene traditionalistisch-konservative Werte und deren Vorstellungen von Familie und Gesellschaft im Zentrum. Mittels Stimmungsmache und Feinbildmarkierungen polarisieren rechte Medien den Diskurs und verschleiern beziehungsweise verstärken dadurch die realen Gefahren von Übergriffen, Gewalt bis hin zu Mord an transgeschlechtlichen Menschen.

Achtung, die Kinder! – ›Familienzersetzung‹ und Kindeswohl

Bereits 2021 veröffentlichte die Compact das Monatsheft »Die schwule Republik – Eliten, Transen, Gender-Irre« und kann heute so an die dort platzierten queer- und transfeindlichen Narrative nahtlos anknüpfen. Die Männer-Fußball-WM in Qatar, die Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz sowie die Debatten zum Thema Kinderschutz und vermeintlicher »Frühsexualisierung«[2] waren Anlässe, geschlechterpolitische Fragestellungen aufzugreifen. Zahlreiche transfeindliche Autor*innen, auch abseits der Compact, arbeiten mit Deadnaming[3] als verbalem Ausdruck ihrer Verachtung und Aberkennung der Selbstbestimmung von trans Menschen. Transfeindlichkeit (in Form von Beleidigungen) kommt als Stilmittel zum Einsatz, Nebensätze stigmatisieren trans Menschen, ohne dass Geschlecht Thema der Artikel ist. Es wird sich über das »Abkürzungsmonster« LGBTIQ* lächerlich gemacht, Queers aus der Medienbranche oder politischen Kreisen werden diffamiert. Auffällig ist, dass trans Frauen weitaus mehr Feindseligkeit erfahren als trans Männer oder nicht-binäre Menschen. Regelmäßig wird das Gendern kommentiert, durchgängiges Urteil: überflüssig und falsch. Eine der wichtigsten Argumentationslinien gegen die gesellschaftliche Anerkennung von trans Personen und ihre Sichtbarkeit ist der »Schutz« von Kindern und Jugendlichen, der ihnen gegenübergestellt wird. Die extreme Rechte will vermeiden, dass Kinder mit vielfältigen Geschlechtervorstellungen in Berührung kommen. Die Existenz von Geschlecht abseits einer heteronormativen und binären Ordnung wird aberkannt. Ein Beispiel hierfür liefert die Compact-Autorin Sophia Fuchs, die völkisch-national und biologistisch argumentiert. Mit einem Praktikum startete ihre Anbindung an das Magazin, es folgten Moderationstätigkeiten und weitere Artikel. Die Anfang Zwanzigjährige mit Verbindungen in die extrem rechte Ludendorff-Bewegung nutzt in ihren Artikeln »Vater, Mutter, Transe« (03/2022) und »Kampf um das Geschlecht« (06/2022) die altbewährten Narrative der Kindeswohlgefährdung, um vor der behaupteten »Modewelle« der Transgeschlechtlichkeit zu warnen. Sie markiert diese als »Trans-Ideologie«, »Wahn«, »Trans-Hype« oder »Angriff auf die Kleinsten«. Fuchs verweist dabei beständig auf die »Normalität« – ein Kampfbegriff der extremen Rechten und des Traditionalismus, der zuletzt auch im AfD-Wahlkampf bemüht wurde. In ihrer Rezension eines vermeintlich ideologisch gefährlichen Kinderbuches zeigt sie deutlich ihre Verachtung. Das Buch thematisiert die Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare. Bevor ein Freund dem lesbischen Paar mit einer Samenspende zur Schwangerschaft verhilft, so Fuchs über das Buch, müsse er sich von den beiden Frauen prüfen lassen, »mit Lupe und Maßband, wie bei einer Schädeluntersuchung im Dritten Reich«. (03/2022) Fuchs will polemisieren und legt mit dem Verweis auf den NS nahe, dass sich das Prozedere der Samenspende mit den nationalsozialistischen Verfolgungspraktiken vergleichen lasse. Neben dem Kinderschutz geht es der Autorin vor allem um die Frage der gesellschaftlichen Existenz: »Mehr denn je ist jetzt der Schutz unserer Kinder gefragt. Vor einer künstlich vorangetriebenen Welt, in der die Ideologie über die Biologie triumphiert, Mann und Frau bloß soziale Konstrukte sind und der Körper eine Maschine ist, der problemlos umgebaut werden kann. So wächst eine wurzel- und orientierungslose Generation heran, die sich auf der rastlosen Suche nach der eigenen Identität verliert. Sämtliche Werte, für die es sich jahrhundertelang zu kämpfen lohnte, werden dabei über Bord geworfen: Familie, Kultur und die Bewahrung des eigenen Volkes.« Das antisemitische Motiv der Wurzellosigkeit wird hier der deutschen Tradition gegenübergestellt, ›die Volksidentität‹ dürfe nicht verloren gehen und müsse vor dem Einfluss der Queers beschützt werden.

Ähnlich wie Fuchs wirft Ellen Kositza einen Blick auf Kinderbücher zum Thema Geschlechtervielfalt. Seit vielen Jahren widmet sie sich in der Sezession geschlechterpolitischen Fragestellungen und bewertet die Thematisierung im Kinder- und Jugendalter als »schleichendes Gift«. Die aus Kositzas Sicht mediale Omnipräsenz von trans Menschen mache ebenso wie ein Blick in die Welt der Stars und Sternchen (Germanys Next Top Model, Sex and the City) deutlich: »Transgendertum ist längst unter der Hand zur Seuche geworden.« (108/2022) Insbesondere die Medien macht Kositza für die Verbreitung der von ihr so bezeichneten »Propaganda« verantwortlich: »Deren Berieselung ist übermächtig. Es ist dies so ein Rieseln, das so sanft wie hartnäckig in die Schädel unserer Kinder rinnt. Es beginnt ganz früh.« (SiN, 19.01.2022) Durch das Zusammenführen der Motive von Seuche, Gift und Verbreitung evoziert Kositza antisemitische Denkbilder und stützt hier die falsche These, dass Geschlechtsinkongruenz sozial[4] ansteckend sei. Bereits 2007 publizierte Kositza im Verlag antaios ihres Mannes Götz Kubitschek das Büchlein »Gender ohne Ende« – in dem sie die »Auflösung der Geschlechter« beklagt und eine Zukunft prophezeit, in der »Mischwesen« eine »vater- und mutterlose« Welt prägen, die »Kranke und Gestörte« hinterlasse. Es folgten weitere Veröffentlichungen sowie Kolumnen in der Sezession (online und Print). Damit hat sich die Autorin über die Sezession hinaus als eine wichtige Stimme der (Neuen) Rechten in geschlechterpolitischen Debatten etabliert. Obgleich sie ebenfalls Begriffe wie »Genderwahn« oder »Frühsexualisierung« verwendet, die den Diskurs in den extrem rechten Medien prägen, unterscheiden sich ihre Kolumnen durch Kenntnisse diverser philosophischer und feministischer Texte und Autor*innen sowie ihre Verweise auf Erfahrungswerte aus dem eigenen Leben und dem ihrer sieben Kinder, die sie in das Narrativ einbettet. Einer ihrer jüngsten Artikel widmet sich dem Thema Transgender und beginnt mit dem vereinnahmenden Satz: »Natürlich hassen wir alle hier diesen überbordenden Transgenderwahn.« (108/2022) Wenig überraschend macht Kositza direkt zu Beginn damit deutlich, dass es hierüber beim Stammpublikum der Zeitschrift überhaupt keinen Diskussionsbedarf zu geben scheint. Nach wenigen Zeilen kippt der Beitrag in eine für Kositza nicht untypische Polemik, indem sie eine vermeintliche Frühsexualisierung im Kindergarten durch Drag Queens mit »Sexkoffer samt Plüschvagina und Dildo« moniert. Obgleich Kositza anerkennt, dass das »Spiel mit (heute) als männlich oder weiblich empfundenen Attributen seit je kulturübergreifend« ist, plädiert sie für die Unterscheidung von »dem Flirt mit Accessoires und sozialen Geschlechtsrollen […], zwischen Mode, sozialer Ansteckung, Krankheit und Wahn«. In der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD) wurde »Transsexualität« einst als »Sexuelle Verhaltensabweichung und Störung« (1975) klassifiziert. Dies wurde inzwischen durch »Genderinkongruenz« ersetzt, wobei der Fokus heute auf dem daraus entstehenden Leidensdruck und nicht wie früher einem vermeintlichen Krankheitsbild liegt. Das ist aus Sicht von trans Menschen ein wichtiger und lang erwarteter Schritt in Richtung Entpathologisierung – für Kositza bedeutet es hingegen: »KEINE Krankheit, sondern ein Zustand, für dessen Behebung aber dennoch die gesetzlichen, solidarisch finanzierten Krankenkassen blechen« sollen. Im Zentrum ihrer Ausführungen steht vielfach die für sie grundsätzliche Frage, wie sich diese Veränderungen auf Kinder und Jugendliche auswirken. Gerade für Menschen mit »psychischen Übergangsphänomenen« sei der therapeutische Bestätigungsdiskurs, bei dem es nicht mehr um Verständnis, sondern um Verstärkung gehen würde, verheerend, so ihre Sorge. Hiervon zeugten zahlreiche Reportagen über »Transkids« mit überforderten Eltern und Beispiele von De-Transitionen, also Fällen, in denen Menschen ihre geschlechtsangleichenden Maßnahmen als doch unstimmig empfinden und rückgängig machen. Die Neubewertung von Transgender im Zusammenspiel mit dem »chirurgischen Quantensprung« sorge dafür, dass trans Menschen heute mit wesentlich weiter eingreifenden Maßnahmen therapiert würden. Einen Verweis auf empirische Daten, etwa zur Relevanz von De-Transitionen[5] lässt Kositza ebenso vermissen wie die zahlreichen Stimmen derjenigen, für die das Selbstbestimmungsgesetz und die damit verbundene Anerkennung eine große Erleichterung sind. Stattdessen verweist sie auf eigene Erfahrungen: »Mich packt dieses Thema auch ganz persönlich. Im Alter zwischen neun und dreizehn hätte ich alles dafür gegeben, ein Junge sein zu können. […] Der Pubertätsbeginn war für mich: reiner Horror, Qual pur. Hätte es damals Internet gegeben und entsprechende Verführer: wer weiß, wo ich gelandet wäre. Zum Glück war diese bestürzende Phase bald überwunden.«

In der monatlich erscheinenden Zuerst! greift u.a. Hartmut Lieger diesen Aspekt auf. Es sei »so einleuchtend wie pervers«, dass »Transgender-Ideologen […] Jugendliche auf Identitätssuche« verunsichern wollten. (04/2023) Dieses Bild ist nicht neu, bereits der Schwulenbewegung wurde vorgeworfen, Kinder verführen zu wollen. Drastisch schreibt er, »selbstzweifelnde Jugendliche [griffen] früher zu Drogen [und] Selbstverletzungen« und »heute durch den Transgender-Hype häufig [zu] Pubertätsblockern«. Schließlich sah Lieger das traditionelle Frauenbild in Gefahr: »Daß [trans Jungen] durch Operationen später als Mütter ausfallen, ist den linken Kulturkampf-Strategen nur recht.« Der neue Chefredakteur der Zuerst!, Andreas Karsten, Burschenschafter und einst Identitärer in Halle kommentiert: »Die Interessen von Minderheiten werden der Allgemeinheit mit brutaler Gewalt in den Kopf gehämmert.« (09/2022)

Der Fokus des Szene-Blatts N.S. Heute liegt auf Berichten neonazistischer Events. Nicht überraschend also, dass es im analysierten Zeitraum keine längeren Artikel rund um queere Themen in das Magazin schafften. Lediglich in den Kurzmeldungen der Rubrik »Gute Nachrichten« am Ende des Heftes spielen diese eine wiederkehrende Rolle. In einer Kurzmeldung wird über die Auseinandersetzungen rund um die Einrichtung einer schwul-lesbischen Kita in Berlin berichtet. (33/2023) Die Entrüstung über die Ausrichtung der Kita fokussierte sich vor allem auf ein Vorstandsmitglied des Trägers, der Schwulenberatung Berlin. Konkret ging es um Rüdiger Lautmann, der Soziologe wird in Deutschland vor allem für seine langjährige Wirkung bei der Entpathologisierung von Homosexualität positiv rezipiert. In den 1990er Jahren hatte er im Rahmen einer Forschungsarbeit verharmlosende Äußerungen zu sexuellem Missbrauch an Kindern getätigt, das daraus entstandene Buch wird auf seine Weisung hin nicht mehr aufgelegt. Lautmann trat in Folge der Kontroverse Ende 2022 von seinem Amt zurück. Einfluss auf den täglichen Betrieb der Kita hätte er als Vorstandsmitglied wohl nicht gehabt. In der gleichen Kurzmeldung befasst sich die N.S. Heute zudem mit dem Fall des als Psychologen und Sexualpädagogen arbeitenden, 2008 verstorbenen Helmut Kentler. Dieser hatte Ende der 1960er Jahre mit Unterstützung des Berliner Jugendamtes mehrfach schutzbedürftige Kinder bei pädosexuellen Männern untergebracht. Durch das Nebeneinanderstellen dieser Vorgänge vermittelt die N.S. Heute den Eindruck, dass von der nun gegründeten schwul-lesbischen Kita eine Gefährdung für die dort betreuten Kinder ausgehe.

Die 2016 vom Bundestag eingesetzte unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat aufgezeigt, dass pädosexuelle Netzwerke seit den 1970er Jahren Straffreiheit von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche forderten, die sie selbstverständlich nicht als solche benannten. Die spät begonnene und wenig wahrgenommene Aufarbeitung – auch innerhalb sich als progressiv verstehender Gruppen – macht es der extremen Rechten bisweilen leicht, sich in diesem Zusammenhang als Stimme der Aufklärung zu inszenieren. Bestehende Initiativen und Aufklärungsbemühungen werden dabei bewusst ignoriert.

In der Parteizeitung Deutsche Stimme (DS) der inzwischen in Die Heimat umbenannten ehemaligen NPD lassen sich mehrere Artikel und Interviews mit internationalen Akteur*innen der extremen Rechten finden. Vor allem die Entwicklungen in den USA verfolgt die Redaktion mit großem Interesse. Ein Interview aus dem September 2023 mit der verschwörungsideologischen US-Influencerin Elizabeth Grace zeigt, wie schnell man in der Deutschen Stimme jegliche Zurückhaltung verliert und entschlossen NS-Vokabular benutzt. Zunächst lässt sich Grace im Gespräch mit DS-Autor Sascha Roßmüller antisemitisch über vermeintlich einflussreiche »dynastische Bankiersfamilien« aus, die – so die Influencerin – »das Geldsystem und die Wirtschaft der Vereinigten Staaten in den frühen 1900er Jahren durch die Gründung der Federal Reserve übernommen haben«. (09/2023) Angesprochen auf »Gender- und LGBTQ-Irrsinn« liest man in Graces Antwort dann von »Entartung«. Da das Interview aller Wahrscheinlichkeit nach auf Englisch geführt wurde, scheint es sich hier um eine Übersetzungsentscheidung der Redaktion zu handeln.[6] Der eindeutig biologistische Tenor dürfte von Grace jedoch durchaus beabsichtigt gewesen sein. Sie wird zitiert mit den Worten: »Je mehr Entartung von den Durchschnittsamerikanern toleriert wird, desto mehr Entartung wird ihnen aufgezwungen. Menschen, die schwul oder transsexuell sind oder seit ihrer Kindheit Hormone nehmen, werden sich wahrscheinlich nicht auf natürliche Weise fortpflanzen. Sie werden das Ende ihrer Blutlinie sein. Das ist Bevölkerungskontrolle.« Grace sieht offenbar einen möglichen ›Volkstod‹ drohen. Der Verweis auf die vermeintlich politisch motivierte Umerziehung von Kindern darf da natürlich nicht fehlen. Hier ist die Wortwahl interessant: In der Übersetzung spricht Grace von »Raubtieren«, die es auf Kinder abgesehen hätten. Das englische Wort »predator« steht neben Raubtier jedoch auch für Sexualstraftäter*innen. Auf diese Weise schließt der queerfeindliche Diskurs darüber, dass Kinder und Jugendliche vor Queers zu schützen seien an die Diskurse der extremen Rechten über sexuellen Missbrauch an. Hierbei wurde schon in den späten 1990er Jahren und vermehrt ab 2010 die Ohnmacht und das Schweigen bei Fällen von Missbrauch an Kindern sehr häufig von der neonazistischen Szene und der NPD instrumentalisiert, um größere Zustimmung zu erfahren. Ein ernsthaftes Interesse an Aufarbeitung, Schutz und Unterstützung der Betroffenen zeigte sich jedoch nicht. Es geht der extremen Rechten um aufgewiegelte Stimmungen, (Todes-)Strafen und Feindbilder. Ihr Fokus ist der Erhalt der deutschen »Volksgemeinschaft«. Eine ähnliche Agitation zeigte sich im Nachgang zu den sexualisierten Übergriffen in der Silvesternacht 2015 in Köln. Die rassistische Mobilmachung in Folge der Gewalt hatte keinen (direkten) Nutzen für die betroffenen Frauen, weil die Kontinuität und Beharrlichkeit sexualisierter Gewalt dadurch nicht in Frage gestellt wird. Schilderungen von Betroffenen werden meist nur dann aufgegriffen, wenn die Täter nicht der eigenen »ethnischen« Gruppe zugehörig sind und somit als die »Anderen« markiert werden können. Sexualisierte Gewalt wird instrumentalisiert, aber nicht ernst zu nehmend besprochen. In diesen Fällen der Thematisierung von sexualisierter Gewalt und Missbrauch zeigt sich eindrücklich, dass die (extreme) Rechte auf dem Rücken der Betroffenen die eigenen politischen Inhalte vorantreiben will.

Kampf gegen Selbstbestimmung

Die Auseinandersetzung um das Selbstbestimmungsgesetz[7] war Ausgangspunkt einer Reihe von Artikeln und Kommentaren.[8] Vielfach wird die Debatte stark überzeichnet – von der gesetzlich geplanten Personenstandsänderung wird bereits auf operative Maßnahmen geschlossen, etwas, was das Gesetz explizit nicht regelt. Der langjährige Deutsche Stimme-Autor und Parteifunktionär Jürgen Gansel beschreibt das SBGG als linke Umerziehungsmaßnahme: »Bei diesem antibiologischen Selbstbestimmungswahn schimmert die altlinke Utopie durch, alle natürlichen Gebundenheiten und angeborenen Prägungen zwecks Schaffung eines ›neuen Menschen‹ zu überwinden.« Weiter warnt er, dass der »Transgender-Kult« nicht lediglich eine »Marotte durchgeknallter Randgruppen-Aktivisten« sei, sondern »ein ideologiegetriebenes Projekt zur Gesellschaftsveränderung«. (09-10/2022) Durch diesen abwertenden Blickwinkel erscheinen geschlechterpolitische Maßnahmen als Strategie der Herrschenden, von oben nach unten durchgesetzt umfassten sie demnach in totalitärer Form alle gesellschaftlichen Bereiche. Die jahrzehntelangen Kämpfe um queere Selbstbestimmung sowie die individuellen Erfahrungen und Anliegen von trans Personen werden vollständig ignoriert.

Trans- und Queerfeindlichkeit findet auch in der nationalkonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) ihren Platz. Positionen und Vertreter*innen der LGBTIQ*-Bewegung werden verbal angegriffen oder lächerlich gemacht. So polemisiert etwa die Publizistin Birgit Kelle gegen transgeschlechtliche Abgeordnete: Das »geplante Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung, mit dessen Hilfe demnächst jeder 14jährige auf dem Standesamt sein neues Geschlecht durch eine Art Gender-Voodoo herbeireden darf, ist zwar noch nicht beschlossen, aber im Deutschen Bundestag offenbar bereits in Kraft«. (48/2023) Ebenso wie Kelle phantasieren auch die Autoren Björn Harms und Christian Vollradt in ihrem Artikel »Angriff auf die Familie« von einer großen Strategie und bewerten die Maßnahmen der Bundesregierung als »gesellschaftspolitische Umbaumaßnahme«. (48/2022)


Karikaturen in der Jungen Freiheit

„Nächster Schritt bei der Amadeu-Antonio-Stiftung: Jetzt kommt der Online-Pranger!“
„Queers for Palestine“
„Im Kriegsfall ist plötzlich Schluß mit lustig“

 

 

 

 

 

 

 

Die Junge Freiheit greift geschlechterpolitische Themen regelmäßig in Form von Karikaturen auf. Anfang 2023 ging die »Meldestelle Antifeminismus« der Amadeu-Antonio-Stiftung online, die sich explizit an Betroffene richtet. Sie wurde (rechts-)medial als »Online-Pranger« heftig angegriffen. (24.02.2023)
Nach dem Massaker der Hamas in Israel veröffentlichte die JF die Karikatur »Queers for Palestine« und thematisiert damit den Widerspruch, dass Teile der queerfeministischen Szene, die auch in der Palästina-Solidarität aktiv sind, eine Kritik an der Queerfeindlichkeit und am Geschlechterbild des  fundamentalistischen Islam vermissen lassen. (10.11.2023)
Mit Blick auf das Selbstbestimmungsgesetz wird die in dem Gesetzesentwurf enthaltene Ausnahmeregelung für den Verteidigungs- und Kriegsfall aufgegriffen. Demnach bleibt die rechtliche Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Verteidigungsfall, der in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Personenstandsänderung eintritt, bestehen. (05.05.2023)


Der zweite Teil des Artikels »Queerfeindlichkeit in der rechten Publizistik« erscheint am Freitag den 23. Februar 2024. Die apabiz-Publikationsreihe magazine nimmt rechte Periodika unter die Lupe, beleuchtet zentrale Diskurse und schafft damit eine Grundlage für die argumentative Auseinandersetzung.

  1.  Die »Demo für alle« ist eine Anti-Gender Bewegung, deren Ursprung in Frankreich vor allem der LGBTIQ*-Gleichstellung widersprechen wollte. In Deutschland ist die Mobilisierung (seit 2014), der vor allem sogenannte Lebensschützer*innen und evangelikale Christ*innen voranstehen, anlässlich von Bildungsplänen und darin implementierter Sexualaufklärung entstanden. Beteiligt war neben Beatrix von Storch und Hedwig von Beverfoerde auch die Publizistin Birgit Kelle (Märsche für das Leben).
  2.  Der politische Kampfbegriff »Frühsexualisierung« wird von ultrakonservativen und extrem rechten Akteur*innen verwendet, um frühkindliche Sexualaufklärung zu verhindern oder einzuschränken. Dem liegt eine Annahme darüber zu Grunde, wie sich sexuelle Selbstbestimmung als Lernstoff auf Kinder und Jugendliche auswirkt. Dabei wird unterstellt, dass Kinder und Jugendliche noch nicht alt genug seien, sich damit zu beschäftigen. Themen wie Verhütung, Familienplanung, Queer, Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sollen daher nicht mit Kindern und Jugendlichen besprochen werden. Tatsächlich behandeln die Lehrpläne der Länder die Themen der Altersstufe entsprechend unterschiedlich. Ziele der frühkindlichen Sexualpädagogik sind die Vorbeugung sexuellen Missbrauchs im Kindesalter und angemessene Antworten auf die vielen Fragen der Kinder und Jugendlichen zu diesen Themen zu finden sowie alle Kinder auf den gleichen Wissensstand zu bringen.
  3.  Als Deadnaming wird die bewusste Verwendung der von trans Personen abgelegten, meist per Geburt zugewiesenen Namen, bezeichnet.
  4.  In dieser pseudowissenschaftlichen Idee der sozialen Ansteckung – kurz ROGD (Rapid Onset Gender Dysphoria: plötzlich auftretende Geschlechtsdysphorie) wird die wissenschaftlich widerlegte These vertreten, junge Menschen würden sich aufgrund ihres sozialen Umfelds und dessen Druck als trans outen. Gestützt wird diese Annahme vor allem von Eltern, die ein Problem mit der Transidentität des eigenen Kindes haben und diese nicht akzeptieren wollen. https://www.lsvd.de/de/ct/6456-Trans-Hype-der-Gender-Ideologie-und-Gefahr-fuer-Kinder-und-Jugendliche [27.01.2024].
  5.  Wer eine begonnene oder abgeschlossene Transition abbricht oder umkehrt, macht eine De-Transition. Einige Menschen, die eine De-Transition gemacht haben, bezeichnen sich als »detrans«. Eine De-Transition kann sich auf soziale, medizinische und juristische Bereiche erstrecken. Beispiele sind die Rückänderung der Pronomen, der Abbruch einer Hormonersatztherapie und die erneute Änderung des Personenstands. Ein häufiger Grund ist, dass detrans Menschen ihre Transition als nicht lebbar wahrnahmen, zum Beispiel weil das eigene Umfeld dies nicht anerkannte, Diskriminierungserfahrungen abschrecken oder die Hürden als zu hoch empfunden werden. Detrans Menschen bleiben Teil der queeren Community. Ein Überblicksartikel der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) fasst die Studienlage zusammen und betont, dass das Thema »De-Transition« nur wegen »fehlerhafter Studien« als ein »Massenphänomen« bezeichnet wird: https://dgti.org/2022/09/28/jenny-wilken-detransition-fakten-und-studien-9-2-2022/ [14.01.2024].
  6.  Der vermutlich von Grace benutzte englische Begriff »degeneration« kann verschieden übersetzt werden. Neben »Entartung«, wäre auch »Verfall« oder »Verkümmerung« möglich.
  7.  Das Selbstbestimmungsgesetz soll die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamen in Personenstandsurkunden von trans- und intergeschlechtlichen Menschen neu regeln. Der Gesetzesentwurf wurde im August 2023 von der Ampelkoalition eingebracht und bei Erscheinen dieses Artikels im Bundestag beraten. Ziel des Gesetzes ist es, das derzeitige Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags zu vereinfachen und kosten- sowie zeitintensive Hürden abzubauen. Die Vorlage eines ärztlichen Attests, die Erstellung von Gutachten sowie ein Gerichtsentscheid sind zukünftig nicht mehr notwendig. Regelungen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen sind in dem Gesetz ausdrücklich nicht enthalten. Mit Inkrafttreten des Gesetzes können Jugendliche ab 14 Jahren (unter der Voraussetzung der Zustimmung der Sorgeberechtigten oder eines Familiengerichtes) sowie Erwachsene gegenüber dem Standesamt die Änderung des Geschlechtseintrags sowie des Vornamens mit dreimonatiger Vorlauffrist anzeigen. Die Personenstandsänderung ist, unter anderen Voraussetzungen, bereits seit 1980 (DDR: 1978) grundsätzlich möglich. Die neue Gesetzesregelung soll das bisherige Transsexuellengesetz ablösen, das als diskriminierend angesehen wird und z.T. verfassungswidrig ist.
  8.  Vgl. dazu zusammenfassend auch: Timo Koch: Nicht in die Falle gehen! Wie die Extreme Rechte Narrative gegen das neue Selbstbestimmungsgesetz schürt, Friedrich-Ebert-Stiftung, Reihe »Expertisen für die Demokratie«, 05/2023. Online unter: https://library.fes.de/pdf-files/pbud/20336.pdf [16.01.2024].