Rechte Geschichtspolitik – Teil 2

76 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz bleibt das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus ein umkämpftes Feld. Seit jeher haben extrem rechte Gruppierungen versucht, historische Debatten zu beeinflussen. Aktuell ist die AfD sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene in den Kulturausschüssen der Parlamente vertreten und kann den Druck auf gedenkpolitische Initiativen erhöhen. Welche Rolle spielt Geschichtspolitik in rechten Periodika und welche Narrative bedienen sie?

Von Kilian Behrens, Kim Kemner, Frank Metzger, Eike Sanders, Patrick Schwarz und Patricia Zhubi

Teil 1 des Artikels »Rechte Geschichtspolitik« ist hier nachzulesen. Der gesamte Artikel ist auch als pdf abrufbar. Der Artikel erscheint im Rahmen der apabiz-Publikationsreihe magazine. Diese nimmt rechte Periodika unter die Lupe, beleuchtet zentrale Diskurse und schafft damit eine Grundlage für die argumentative Auseinandersetzung.

Relativieren oder Leugnen?

Eine explizite Leugnung des Holocaust haben wir in den untersuchten Periodika nicht gefunden. In einigen Fällen dürfte dies weniger durch die tatsächliche politische Positionierung, sondern vor allem durch die zu erwartenden rechtlichen Konsequenzen begründet sein. Holocaustleugnung fällt unter den Straftatbestand der Volksverhetzung. Eine Möglichkeit dennoch eindeutig Stellung zu beziehen, nutzen beispielsweise die N.S. Heute und die Deutschen Stimme wiederholt durch Solidaritätsbekundungen für Ursula Haverbeck oder Horst Mahler, die für ihre notorische Holocaustleugnung bekannt sind. Insgesamt ist jedoch zu beobachten, dass alle Blätter ihren strategischen Schwerpunkt auf Relativierung verlagert haben oder sich zu den Verbrechen der Nazis ausschweigen.

Das systematische Leugnen beziehungsweise Relativieren des Holocaust wird als Sekundärer Antisemitismus bezeichnet. Dabei handelt es sich um Antisemitismus nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz.

Das systematische Leugnen beziehungsweise Relativieren des Holocaust wird als Sekundärer Antisemitismus bezeichnet. Dabei handelt es sich um Antisemitismus nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz. In den entsprechenden Erzählungen wird Jüdinnen und Juden unterstellt, die Erinnerung und Aufarbeitung des Holocaust für ›eigene Zwecke‹ zu instrumentalisieren – eine klassische Form der Täter-Opfer-Umkehr. Besonders prägnant ist in diesem Zusammenhang die Formulierung des österreichisch-israelischen Psychoanalytikers Zvi Rex: »Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen.« Diese aktualisierte Variante des Antisemitismus bedient oft auch klassische Motive – wie etwa das der Geldgier, Rachsucht und verdeckten Agitation bis hin zur Weltverschwörung.

Eng verknüpft mit diesen Narrativen ist die Forderung nach einem ›Schlussstrich‹ und damit die Idee, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen könne abgeschlossen werden, um sich endlich wieder anderen Bereichen zu widmen. Auch in den Teilen der extremen Rechten, die sich nicht offen positiv auf den NS beziehen, wird die Erinnerung als störend für die eigene offensiv nationalistische Heldenerzählung wahrgenommen. In den Periodika der extremen Rechten wird daher gern ein regelrechter ›Schuldkult‹ beklagt.

In der DS wird der Holocaust vor allem dann benannt, wenn es um seine vermeintliche Instrumentalisierung für den ›Schuldkult‹ geht. Die Opfer des Holocaust erhalten in der NPD-Veröffentlichung ansonsten vor allem über Auslassung Bedeutung, etwa wenn der Redner der ETN-Veranstaltung Nick Griffin, zustimmend zitiert wird. Er sieht »eine der größten Ungerechtigkeiten des Zweiten Weltkrieges« in der »niederdrückende[n] Last der Schuld und Wiedergutmachungszahlungen« der jetzigen Generation der Deutschen. (4/2020) Ein Beispiel für die Verschränkung von Holocaustrelativierung und deutscher Opfermythologie liefert DS-Autor Jürgen Gansel, wenn er in einer Rede auf dem Landesparteitag der sächsischen NPD die alliierten Luftangriffe als »Bombenholocaust« bezeichnet. (3/2020)

Ähnlich verhält es sich in der Zuerst!: Dort nimmt Bernhard Radtke den 70. Jahrestag der Gründung des Zentralrats der Juden zum Anlass für einen Artikel mit dem Titel: »Neubeginn im ›Land der Täter‹«. Die Vertreibung und industrielle Vernichtung jüdischer Menschen in Europa durch die Nazis, die dessen Gründung zwingend erforderten, erwähnt er mit keinem Wort. Stattdessen beschreibt er jene Gründungsgeschichte auf perfide Art und Weise wie folgt: »Zu dieser Zeit [Anm. d. Red.: im Gründungsjahr 1950] bestanden die neu formierten jüdischen Gemeinden aus den wenigen Mitgliedern, die die NS-Zeit in Deutschland überdauert hatten, und einigen Rückkehrern aus der Emigration. Die meisten osteuropäischen Juden, die als ›Displaced Persons‹ nach dem Krieg nach Deutschland gekommen waren, hatten das Land bereits wieder in Richtung Palästina oder Übersee verlassen.« (7/2020)

Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig erinnern an Menschen, die zwischen 1933 und 1945 von den Nazis verfolgt wurden. | Foto: Christian-Ditsch.de

 

Um die mit offenem Revisionismus einhergehenden, negativen Konnotationen zu vermeiden, haben sich neurechte Akteur*innen längst dazu entschieden, Geschichte strategisch zu rekontextualisieren und bestimmte Aspekte zu betonen, während sie Verbrechen, die das von ihnen heraufbeschworene Bild einer nostalgisch-nationalistischen Vergangenheit stören könnten, ignorieren. So empört sich Erik Lehnert in der Sezession über das »Vergessensverbot«, das »der nachfolgenden Generation« die Möglichkeit nehme, »unvoreingenommen die Probleme der Gegenwart anzugehen. Sie steht unter Generalverdacht und muss sich mittlerweile immer offensiver und öffentlicher, dem Zwang unterwerfen.« (97/2020) Martin Lichtmesz (bürgerlich Semlitsch) schreibt: »Zu den grundlegenden Legitimationsmythen in der Bundesrepublik zählt auch eine manipulative und einseitige Geschichtspolitik im Zeichen von immerwährender Schuld und nie endender Sühne«. (100/2021)

Thorsten Hinz versucht in der Jungen Freiheit in Analogie zu den Positionen Ernst Noltes den Holocaust als Ausdruck menschlicher Natur zu bagatellisieren. Hinz zitiert den Historiker direkt wenn er vom Holocaust als »menschliche[m] Phänomen« schreibt, welches nur »in Relation zu anderen Phänomenen« zu verstehen sei. Jene anderen Phänomene seien der »Europäische Bürgerkrieg zwischen 1917 und 1945« und die »vom Bolschewismus ausgehende[ ] Vernichtungsdrohung«. Die tatsächlich erfolgte Vernichtung von Jüdinnen und Juden wird so zur bloßen Reaktion. Darüber hinaus sei mit Nolte gesprochen »noch die unmenschlichste Tat im anthropologischen Sinne ›menschlich‹«, und der Holocaust damit nur eine vieler Gräueltaten. Bezüglich der Aufarbeitung nutzt Hinz abwertende Formulierungen, die bisherige kritische Forschung diskreditieren sollen. So spricht er von einem »quasi-religiösen Schauder«, den er gleichermaßen als »Neurose« pathologisiert, die es »zu heilen« gelte. »[D]ie besitzergreifende Erinnerung an den Holocaust [müsse] in eine distanzierte überführt werden.« (5/2020) Solche verbalen Kniffe sind ein beliebtes Werkzeug von JF-Autor*innen: Beispielsweise untergräbt Björn Schumacher den singulären Charakter des Holocaust indem er Begriffe, die in diesem Zusammenhang geprägt wurden, umdeutet. So wird das von den Alliierten bombardierte Magdeburg und nicht Auschwitz zum »Zivilisationsbruch« – was uns zur nächsten rhetorischen Strategie extrem rechter Geschichtspolitik führt: Die Täter-Opfer-Umkehr. (4/2020)

Die ›wahren‹ Kriegsopfer

Die von Björn Schumacher in der Jungen Freiheit vorgenommene Umdeutung von Begriffen erfüllt neben der Relativierung des Holocaust eine weitere Funktion: Die Umkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses – ein Standardwerkzeug extrem rechter Geschichtspolitik. Selten wird die Strategie so wortwörtlich umgesetzt wie bei den in der JF veröffentlichten Fotoaufnahmen eines sowjetischen Piloten. Zu sehen ist ein ostpreußischer Flüchtlingstreck. Darüber prangt die Überschrift: »Die Flucht über das zugefrorene Haff aus der Täterperspektive«. (9/2019)

Etwas subtiler als diese wortwörtliche Umkehrung ist die Verzerrung des Verhältnisses von Tätern und Opfern durch Dekontextualisierung, Gleichsetzung und/ oder Auslassung. Extrem rechte Publikationen produzieren reihenweise Beiträge über »Vertriebene« und deutsche Kriegsgefangene. So bezeichnet Sezession-Autor Stefan Scheil die Umsiedlung deutschsprachiger Bevölkerungsgruppen aus Osteuropa als »bewußte Massentötung«. (86/2018) Erik Lehnert, Benedikt Kaiser und Götz Kubitschek beklagen sich in einem Beitrag zum 8. Mai 1945 als Befreiungstag in dem neurechten Blatt über Kriegsgefangenschaft, Reparationen und Territorialverluste, ohne nur eine der Ursachen zu benennen. Der Holocaust taucht in dem Artikel nicht auf und das Wort »Verbrechen« verwenden sie nur in Bezug auf deutsche Opfer. (97/2020)

Xaver Warncke schreibt in Zuerst! vom »Bluttag an der Elbe«. Der Text bezieht sich auf historische Ereignisse in Prag im Nachgang der Kapitulation der Nazis vom 8. Mai 1945. Der Autor schildert Gewalttaten der tschechischen Bevölkerung gegenüber Deutschen. Seine Bewertung: Die Ereignisse gehörten zu den »grauenhaftesten Exzessen, die das an Gewalttaten nicht arme 20. Jahrhundert erlebt hat«. Darüber hinaus spricht er von »allerorten aufflammenden Deutschenpogromen«. (7/2020) Seine Äußerungen stehen jedoch neben den konkreten Ereignissen in Prag durchaus symptomatisch für die grundlegende historische Deutung des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust in der Zuerst!. Die menschenverachtende Naziideologie und die daraus resultierenden Kriegsverbrechen bis hin zu Vernichtungspolitik und des Holocaust werden so weit wie irgend möglich ausgeklammert. So reißt Warncke die von ihm beschriebenen historischen Ereignisse aus dem Kontext. Während das Blatt die Verbrechen der Nazis herunterspielt und teilweise geradezu als durch die Aggressivität der ›anderen‹ aufgezwungene Handlung beschreibt, werden ausgewählte historische Begebenheiten für die eigene Erzählung von den ›wahren Opfern‹ – wobei es sich immer um Deutsche handelt – bewusst instrumentalisiert. Durch derartig unseriöses Arbeiten disqualifizieren sich extrem rechte Autor*innen regelmäßig aufs Neue. Historische Forschung muss eine Vielzahl diverser Quellen berücksichtigen. Die Einordnung von Ereignissen in größere Zusammenhänge ist eines ihrer wichtigsten Ziele. Wer aber entweder nur von epischen Panzerschlachten berichtet oder seine Erzählung ganz und gar im Mai 1945 beginnen lässt, ignoriert die Grundsätze historischer Forschung und zeigt ganz unverhohlen, welche Opfer für nicht relevant erachtet werden.

Neben der Flucht deutschsprachiger Bevölkerungsgruppen aus Osteuropa sind die alliierten Luftangriffe ein zentrales Motiv extrem rechter Täter-Opfer-Umkehr. Begrifflichkeiten wie »alliierter Bombenterror« (DS 1/2020) oder »totaler Luftkrieg« (JF 4/2020) begleiteten das jährliche Gedenken an die Bombardierung deutscher Städte. In diesem Zusammenhang erhebt die extreme Rechte häufig den Vorwurf der Geschichtsfälschung durch die etablierte Geschichtswissenschaft. DS-Stammautor Maik Müller spricht von Propaganda, die »von den Siegern seit 1945 in die Geschichtsbücher diktierten Verdrehungen […] unter allen Umständen aufrechterhalten« soll. Ein Ziel bestehe außerdem darin, dass »[d]ie alliierten Siegermächte […] nicht für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden« dürften. (1/2020)

Das Mahnmal Levetzowstraße in Berlin-Moabit erinnert an die Deportation von Jüdinnen und Juden. | Foto: Christian-Ditsch.de

 

Der Inszenierung der Deutschen als die ›wahren Opfer‹ des Krieges findet ebenfalls ihre Entsprechung in der Behauptung, Deutschland sei noch immer besetzt und nicht souverän. Entsprechend ist der 8. Mai 1945, also der Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, laut DS explizit »kein Tag der Befreiung!« (6/2019). Bei diesem Thema wagt es sogar der Redaktionsleiter für Innenpolitik der Jungen Freiheit, Felix Krautkrämer, die AfD-Bundestagsfraktion für die Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow am 8. Mai 2019 zu kritisieren. Krautkrämer verurteilte den Vorgang als »würdelos und geschichtsvergessen«. Schließlich hätten »die Sowjets« »den Deutschen« nicht »Friede und Freiheit gebracht«, sondern für viele »Leiden und Sterben« sowie »Vergewaltigung, Vertreibung und Mord«. Seine Schlussfolgerung lautet daher: »Für eine Partei, die eine patriotische Alternative sein will, sollte es sich jedoch verbieten, den Siegern von einst Kränze zu binden.« (21/2019)

Der Inszenierung der Deutschen als die ›wahren Opfer‹ des Krieges findet ebenfalls ihre Entsprechung in der Behauptung, Deutschland sei noch immer besetzt und nicht souverän.

Sascha Krolzig widmet sich in der N.S. Heute dem Gedenken an die Toten der sogenannten Rheinwiesenlager. Dabei handelte es sich um Gefangenenlager der Westalliierten, die von April bis September 1945 existierten. Die schlechten Ernährungs- und Hygienebedingen führten wiederholt zum Tod von Inhaftierten. Diesen Umstand versuchen Neonazis für sich zu instrumentalisieren und unterstellen den Alliierten gezielte Kriegsverbrechen. Krolzig schreibt von der »[s]ystematische[n] Aushungerung der Gefangenen«. Illustriert wird der Artikel mit Bildern vergangener »Trauermärsche«. Auf einem der Transparente ist zu lesen: »Rheinwiesenlager. Eine Million Tote rufen zur Tat«. Ähnlich wie beim Gedenken an die Bombardierung Dresdens wird seitens der Neonazis mit nachweislich falschen Zahlen gearbeitet. Aufgrund verschiedener Untersuchungen scheint die Zahl von circa 10 000 Toten bei insgesamt einer Million Gefangenen realistisch. Vereinzelt höhere Schätzungen gehen von maximal 40 000 Toten aus. Mit Bezug auf die Erinnerungspolitik in Deutschland heißt es im Vorwort der Ausgabe in trotzigem Ton: »Und wer da meint, ein solches ›rückwärtsgewandtes‹ Gedenken würde heute niemanden mehr interessieren, sollte sich zunächst einmal die Frage stellen, warum das System überhaupt so viel Energie dafür verwendet, unsere Kinder mit dem antideutschen Schuldkult zu infizieren, wenn gewisse historische Vorgänge doch gar nicht mehr von Belang seien. Aber davon ab, kann es uns auch ziemlich egal sein, was irgendwelche BRD‘ler von nationalen Gedenkveranstaltungen halten. Wir gedenken jenen, die für uns Deutschland starben [sic!], weil wir wissen, dass es das Richtige ist und weil diese Menschen ein ehrendes Andenken verdient haben – scheißegal, ob sich irgendwelche Spießbürger dafür interessieren mögen oder nicht.« (13/2019) In den Rheinwiesenlagern, die das Blatt als »Konzentrationslager« bezeichnet, wurden vor allem Mitglieder der Wehrmacht, der Waffen-SS und des Volkssturms inhaftiert.

Die Compact stilisiert Deutsche zu Opfern eines brutalen Regimes und mörderischen Krieges während sie jegliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust zu vermeiden versucht. Dafür erhält das Blatt Zustimmung aus der militanten Neonaziszene, so empfiehlt die N.S. Heute explizit die Lektüre der Compact-Geschichte-Ausgabe »Dresden 1945. Die Toten, die Täter und die Verharmloser«.

Personen und Idole

Die Opfer-Narrative extrem rechter Geschichtspolitik gehen Hand in Hand mit der Heroisierung der Wehrmachtssoldaten oder des NS-Führungspersonals. Gerade im Neonazismus ist die Verklärung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß weit verbreitet. Die Erzählung um dessen angebliche Ermordung Ende der 1980er ist in diesen Kreisen seither präsent. Regelmäßig marschierten Neonazis in Wunsiedel auf, wo Heß bis 2011 be-graben lag. Dessen ungebrochenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus macht ihn für sie bis heute zum Helden und Märtyrer.

Es ist einmal mehr die Compact, die unter Beweis stellt, dass die Verschwörungserzählung Heß sei ermordet worden, nicht auf Neonazikreise begrenzt ist. Die Compact-Spezial-Ausgabe »Politische Morde« von 2018 widmet sich neben Artikeln zu den Todesumständen von Personen wie der Kommunistin Rosa Luxemburg, des RAF-Opfers Hanns Martin Schleyer, des FDP-Politikers Jürgen Möllemann und des Mordopfers des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), Halit Yozgat, auch der Frage: »Wie starb Rudolf Heß?« Eine eindeutige Antwort liefert Autor Daniell Pföhringer zwar nicht, allein die Platzierung des Textes in der Rubrik »Im Visier der Geheimdienste. Mord aus Staatsräson« lässt tief blicken. Heß‘ Suizid zweifelt Pföhringer an und fordert ein erneutes Gerichtsverfahren, um die Todesumstände zu klären. Als Hauptindizien gegen einen Selbstmord führt er Aussagen des ehemaligen Pflegers von Rudolf Heß, Abdallah Melaouhi, an. Dieser verfasste 2008 das Buch »Ich sah seinen Mördern in die Augen! Die letzten Jahre und der Tod von Rudolf Heß« und ist seither ein gefragter Referent in Neonazikreisen. Außerdem bezieht sich Pföhringer auf das Gutachten einer Nachobduktion, welches in einigen Punkten der britischen Erstobduktion widerspricht und die Strangulationsmerkmale als atypisch für das Erhängen beschreibt. Beweise für eine Ermordung liefert dieses Gutachten jedoch nicht. Pföhringer beendet seinen Artikel mit den Worten: »Mord verjährt nicht!« Das dürfte den mehreren hundert Neonazis gefallen, die in den Jahren 2017 und 2018 unter dem selben Motto durch Berlin marschierten und den Stellvertreter Hitlers glorifizierten. Demnach hätte der Artikel ebenso gut in die Schwerpunktausgabe der N.S. Heute gepasst, die sie 2017 zu Heß‘ 30. Todestag veröffentlichte.

Die geforderte »Aufklärung« wäre in den Augen der Neonazis nur dann legitim, wenn sie das gewünschte Ergebnis brächte.

Der Spruch »Mord verjährt nicht« – hier in propagandistischer Umdeutung des Suizids eines verurteilten NS-Kriegsverbrechers – ist ob der sonst so beliebten Schlussstrich-Forderungen der extremen Rechten in Bezug auf die Zeit von 1933-1945 besonders zynisch. Ziel der Strategie: Einmal mehr soll den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, in diesem Fall den Briten, die moralische Integrität abgesprochen werden. Folgt man der Argumentation, so wäre nicht nur die Inhaftierung des Kriegsverbrechers ungerechtfertigt gewesen, sondern dieser sei am Ende ermordet worden. Dabei wird Heß wahlweise als »Friedensflieger« oder als greises, wehrloses Opfer und das britische Gefängnispersonal als kaltblütige Mörder dargestellt. Typisch für Verschwörungserzählungen ist, dass in Bezug auf Heß‘ Selbstmord einzelne Fakten aus ihrem jeweiligen Kontext gerissen und lediglich diejenigen wiedergegeben werden, die der eigenen Darstellung dienlich sind. Alles andere, so etwa Heß‘ wiederholte Selbstmordversuche in Haft und die Tatsache oder dass das Gutachten der Zweitobduktion keine Beweise für einen Mord ausmachen konnte, werden ignoriert. Die geforderte »Aufklärung« wäre in den Augen der Neonazis nur dann legitim, wenn sie das gewünschte Ergebnis brächte. Wäre dies nicht der Fall, läge dies nicht an den aberwitzigen Behauptungen, sondern erneut an düsteren Mächten.

Eine positive Bezugnahme auf die Wehrmacht und einzelne ihrer Offiziere findet sich in verschiedenen extrem rechten Periodika und schwerpunktmäßig in der DMZ. Doch die emotional mysthifizierende Darstellung Adolf Hitlers durch Xaver Warncke in Zuerst! ist selbst für deren Verhältnisse besonders und sogar in offen neonazistischen Blättern kaum zu finden. Bezugnehmend auf den Einmarsch der Nazis in Frankreich schreibt er: »Anders als nach dem siegreichen Polenfeldzug läßt er sich in Paris nicht als erfolgreichen Kriegsherrn feiern. […] Hitler verzichtet auf die Pose des Triumphators, möchte der Welt vielmehr die des einsamen Besuchers, ja des Kunstliebhabers bieten. Tatsächlich hat ihn Paris, die Stadt der Boulevards, Museen, Theater und großen Sichtachsen, immer fasziniert. Als Musik- und Wagner-Liebhaber kennt er den Plan der Oper in- und auswendig.« (6/2020)

Viele der Zuerst!-Artikel haben einen militärhistorischen Fokus und widmen sich mehr oder weniger bekannten Kriegsereignissen und Schlachten ebenso wie NS-Kriegsgerät und Biografien von NS-Militärs und weisen damit deutliche Ähnlichkeiten zur im gleichen Verlag erscheinenden Deutschen Militärzeitschrift auf. Gerade bezüglich der NS-Militärführung, verfallen die Autoren aufgrund ihrer offenkundig kaum zu bändigenden Begeisterung häufig in Glorifizierung. So begeistert sich Warncke für Erwin Rommel und bezeichnet diesen als eine der »herausragendsten militärischen Führungsfiguren, die Deutschland im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.« Weiter schreibt er: »Sein Talent auf dem Schlachtfeld war legendär und machte ihn auch beim Gegner zum Mythos. […] Es [Anm. d. Red.: das Herz] hörte vor 75 Jahren zu schlagen auf. Doch als großer Soldat und Truppenführer lebt Erwin Rommel noch immer in Erinnerung von Freund und Feind.« (10/2019)

In der Compact-Geschichte-Ausgabe »Panzerschlachten« wird entzückt über die ›Erfolge‹ der Wehrmachtoffiziere Erich von Mansteins an der Westfront sowie Erwin Rommels in Afrika geschrieben. Beide werden als große Militärstrategen gefeiert. In einer Neuauflage eines Textes des verstorbenen Geschichtsrevisionisten und österreichischem NS-Funktionärs Erich Kern im Heft heißt es völlig unkritisch: »Rommel verfügte genau über das, was in Afrika notwendig war: Draufgängertum, Schläue und rasche Erfassung der gegnerischen Aktion. Nicht umsonst erhielt er später seinen Spitznamen: ›Der Wüstenfuchs‹«. Dabei bedient das Heft das Bild einer vermeintlich sauberen Armee, welche aus tapferen Kämpfern bestand und mit den Verbrechen der Nazis eigentlich nicht viel zu tun hatte. Eine Darstellung, der bis zur Eröffnung der ersten Wehrmachtausstellung in den 1990ern weite Teile des Konservatismus anhingen, die sich aber anhand der vielfachen Verstrickungen in Kriegsverbrechen nicht länger aufrecht erhalten ließ.

Publikationen wie der Sezession und der JF geht es weniger um eine Verteidigung des Nationalsozialismus in seiner historisch spezifischen Ausprägung als um eine Rehabilitation des deutschen Nationalismus überhaupt. Entsprechend haben auch Figuren des Widerstands Heldenpotential, solange ihre Opposition zu Hitler als Ausdruck glühenden Patriotismus interpretiert werden kann. So würdigt die JF den 75. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler mit einem Sonderheft »Patrioten gegen Hitler«, dessen Titelblatt ein Porträt des Oberst ziert. Im Geschichtsbild der JF nehmen Stauffenberg und sein Kreis reaktionärer Verschwörer eine zentrale Stellung ein. Laut Chefredakteur Dieter Stein hätten sie ihr Leben nicht nur eingesetzt »um ein verbrecherisches Regime abzulösen, sondern auch, um Deutschland vor dem Untergang zu bewahren. Ihr Patriotismus scheint vielen heute fremd zu sein.« (29/2019) Karlheinz Weißmann versteigt sich in der Zeitung zu der These, dass linker Widerstand gegen Hitler lediglich eine egoistische Form von Selbstverteidigung gewesen sei. Allein der konservativ-aristokratische Widerstand sei gerade wegen der ideologischen Überschneidung ein patriotischer Akt gewesen. (JF Geschichte 20. Juli 2019)

Andernorts werden die Aktionen der Weißen Rose für die patriotische Widerstandserzählung vereinnahmt. (8/2018) »Zu Ehren des 100. Geburtstags von Hans Scholl« druckte die JF Postkarten, auf denen es heißt: »Scholls Widerstandsgeist speiste sich aus seinem unerschütterlichen christlichen Glauben, bündischen Traditionen, der Verehrung des elitären Lyrikers Stefan George, Schöpfer der Idee eines Geheimen Deutschlands, und aus einem unbändigen Freiheitsdrang.« Ein Stauffenberg-Porträt des Theologen Dr. Robert M. Zoske unterfüttert diese Erzählung. Es kritisiert die linken »selbsternannten, verdrucksten Gralshüter«, die die Weiße Rose als Märtyrer im antikapitalistischen Kampf sahen, und bietet doch nur ein ausgehöltes Freiheitsideal an, das er vor allem in Scholls Bisexualität und seinem christlichem Glauben begründet sieht: »[D]ie Erniedrigung, ein ›175er‹ (nach dem Strafrechtsparagraphen 175, der männliche Homosexualität bestrafte) zu sein, markierte den Bruch Scholls mit der nationalsozialistischen Ideologie.« Zoske endet im Pathos: »Er verstand sich als Werkzeug Gottes in einem Kampf zwischen Himmel und Hölle, Christ und Antichrist«. (39/2018)

Erik Lehnert hingegen beschwert sich in der Sezession über die »inflationäre Vereinnahmung« Stauffenbergs auch außerhalb der extremen Rechten, denn dieser sei wohlweislich kein »Vorkämpfer gegen den Rechtsextremismus« gewesen, sondern wollte »mit einem Staatsstreich das Ruder noch einmal herumreißen«, sich also gegen Hitler, nicht aber gegen die deutsche Nation stellen. (91/2019)

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im Berliner Tiergarten ist in seiner jetzigen Form durch ein Bauprojekt bedroht. | Foto: Christian-Ditsch.de

Die Zukunft der Erinnerung

Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bleibt 76 Jahre nach der Befreiung ein andauernder Prozess. Bereits kurz nach 1945 begann sich die extreme Rechte in Deutschland zu reorganisieren. Seither war ihr Handeln vom Versuch geprägt, kulturellen und politischen Einfluss zu erlangen. Immer wieder konnten entsprechende Ansätze abgewehrt werden und über die Jahrzehnte Erfolge mit Blick auf eine kritische Erinnerungskultur etabliert werden, die nicht den Tätern, sondern den Opfern der Naziverbrechen gedenkt. Dennoch haben zuletzt die Wahlerfolge der AfD die Dynamik erheblich verändert. Auch in der Opposition kann die Partei Veränderungen im geschichtspolitischen Denken vorantreiben.

Auf den letzten Seiten haben wir das instrumentelle Verhältnis der extremen Rechten zur Geschichte aufgezeigt und dabei ihre zentralen Motive beleuchtet. Mit seriöser historischer Forschung hat das in diesem Spektrum vermittelte Geschichtsbild nichts zu tun. Dabei nehmen die Akteur*innen immer wieder für sich in Anspruch die wahrlich kritische Stimme zu sein, während die etablierte Gedenkkultur völlig irregeleitet sei – sei es mit der in der Neuen Rechten beliebten Forderung nach mehr Nüchternheit und Distanziertheit, die man selbst jedoch nicht zu leisten im Stande ist oder der plumpen Glorifizierung des NS in diversen Nazi-Blättern.

Dass viele scheinbar untrennbar mit den nationalsozialistischen Verbrechen und dem Widerstand gegen den NS verknüpfte Begriffe (Holocaust, Täterperspektive etc.) und historische Ereignisse und Personen (Geschwister Scholl, aber auch Stauffenberg) überhaupt entleert, vereinnahmt und umgedeutet werden können, zeigt, dass es weiterhin umfassender historischer Bildungsarbeit bedarf. Dies wird besonders deutlich, wenn heute rechte Akteur*innen nicht einmal davor zurück schrecken, sich selbst in der Tradition des Widerstandes gegen den NS zu verorten. Wenn auf Demonstrationen gegen die Pandemieschutz-Maßnahmen von »Diktatur« und »Merkel-Faschismus« geredet wird und Redner*innen sich in Bezug auf ihre Anti-Haltung mit Sophie Scholl vergleichen, darf dies nicht unwidersprochen bleiben. Bei den von der extremen Rechten vertretenen Gegenerzählungen geht es letztlich darum, den Weg für einen neuen Nationalismus zu ebnen. Die Erinnerung an die Opfer des NS stört sie dabei ebenso, wie die in diesem Zusammenhang verhandelten Werte der Empathie und Solidarität mit den Opfern und die kritische Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Formen mörderischen Hasses.

Die Frage der kommenden Jahre wird sein, ob es der extremen Rechten gelingt, die geschichtspolitisch marginale Position zu verlassen. Es ist mitnichten davon auszugehen, dass sie zukünftig diesbezüglich seriös agieren wird. Vielmehr ist zu befürchten, dass eine, derzeit vor allem auf Ritualen basierende, gesellschaftliche Erinnerungskultur nach und nach erstarrt und damit an Tragkraft verliert. Schon jetzt, während die letzten Überlebenden des Holocaust sterben, ist verschiedentlich zu beobachten, wie sich der Fokus der Berichterstattung vermehrt auf Erzählungen eines allgemeinen Kriegsleids verschiebt. Hinzu kommt der Blick auf die DDR und die totalitarismustheroretische Geschichtserzählung von den ›beiden deutschen Diktaturen‹, welche der Verharmlosung des NS in die Hände spielt. Eine aktive, explizit antifaschistische Gedenkpolitik, muss dem widersprechen. Dabei gilt es weiterhin auf der Perspektive der Opfer des NS zu bestehen und deren Andenken und Erfahrungen zu bewahren und weiterzugeben. Angesichts der Tatsache, dass der Holocaust schon allein wegen des Sterbens der letzten Überlebenden, von gelebter Erfahrung zu einem historisierten Ereignis wird, gilt es erneut darüber nachzudenken, wie erinnert wird und warum. Die Zukunft der Erinnerung bleibt mindestens genau so wichtig wie die Vergangenheit selbst.