Rechte Geschichtspolitik – Teil 1

76 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz bleibt das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus ein umkämpftes Feld. Seit jeher haben extrem rechte Gruppierungen versucht, historische Debatten zu beeinflussen. Aktuell ist die AfD sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene in den Kulturausschüssen der Parlamente vertreten und kann den Druck auf gedenkpolitische Initiativen erhöhen. Welche Rolle spielt Geschichtspolitik in rechten Periodika und welche Narrative bedienen sie?

Von Kilian Behrens, Kim Kemner, Frank Metzger, Eike Sanders, Patrick Schwarz und Patricia Zhubi

Das Versprechen zu alten kulturellen und politischen Gewissheiten zurückzukehren, hat ein hohes Mobilisierungspotential für die extreme Rechte. Weltweit machen rechte Parteien mit rückwärtsgewandten Parolen wie »Make America great again« (Donald Trump 2016) und dem spanischen Äquivalent »¡Hacer España grande otra vez!« (VOX 2019) Wahlkampf. Um eine vermeintlich goldene Ära heraufbeschwören zu können, müssen sie alle negativen Aspekte der Vergangenheit zu Gunsten identitätsstiftender Mythen ausblenden, relativieren oder leugnen. Gerade in Deutschland stellt sich aufgrund der sich aus dem Holocaust ergebenden besonderen historischen Verantwortung die Frage nach dem Verhältnis extrem rechter Geschichtsmythen zum historischen Nationalsozialismus (NS).

Zwar erschöpft sich die Geschichtspolitik der extremen Rechten nicht in ihrem Verhältnis zum NS. Dennoch soll es in der vorliegenden achten Ausgabe von magazine vorrangig – wenn auch nicht ausschließlich – um eben dieses Verhältnis gehen. Denn: Extrem rechte Autor*innen kommen beim Thema Geschichte nicht umhin, sich in irgendeiner Form zur NS-Zeit zu positionieren; sei es durch Glorifizierung, Revisionismus oder Relativierung. Auch die ausschließliche Bezugnahme auf dem NS vorausgehende und nachfolgende Epochen durch extrem rechte Akteur*innen kann als Relativierung durch Auslassung charakterisiert werden.

Auf den nachfolgenden Seiten widmen wir uns der Frage, welche Strategien extrem rechte Autor*innen einsetzen, um erinnerungspolitische Diskurse in Deutschland zu beeinflussen. Dafür haben wir Unterschiede und Parallelen innerhalb der einzelnen Periodika[1] sowie spektrenübergreifende Tendenzen herausgearbeitet. Zunächst werfen wir ein kurzes Schlaglicht auf den zeithistorischen Kontext. Anschließend thematisieren wir deutsche Opfermythen, die strategische Neugewichtung von Revisionismus und Relativierung im Umgang mit NS-Verbrechen sowie Heldenverehrung und das mitunter ambivalente Verhältnis der einzelnen Publikationen zum Thema konservativer Widerstand.

Zeithistorischer Kontext

Um den Stellenwert geschichtspolitischer Positionierungen in extrem rechten Publikationen zu verstehen, ist es wichtig, die Entwicklungen nachzuvollziehen, aus denen heraus sie entstanden sind: Nach 1945 waren es zunächst Alt-Nazis, die um ihr politisches Vermächtnis fürchteten und aktiv daran arbeiteten, ihr eigenes Handeln im Nationalsozialismus zu relativieren oder explizit zu rechtfertigen. Schon bald sollte ihnen eine Generation (Neo-)Nazis folgen, die den Krieg selbst nur im Kleinkindalter oder gar nicht erlebt hatten, diesen jedoch als heroischen Kampf verklärten und extrem rechte Helden- und Opfermythen fortschrieben. Parallel dazu entstand in Reaktion auf die Entnazifizierung die ›Schuldkult‹-Rhetorik, die sowohl von neonazistischen als auch nationalkonservativen Akteur*innen bemüht wurde. Noch heute gehört sie zum Standardvokabular rechter Periodika und so mancher AfD-Rede.

Während die Beschwörung eines ›Schuldkults‹ uns also bis in die Gegenwart begleitet, haben sich extrem rechte Geschichtserzählungen und das gesamtgesellschaftlich dominante Geschichtsverständnis über die Jahrzehnte immer weiter voneinander entfernt, so der Politikwissenschaftler Gideon Botsch.[2] Gab es in den 1950ern noch deutliche Überschneidungen mit dem bürgerlichen Verdrängungs- und Rechtfertigungsbedürfnis, sah sich die extreme Rechte in den 1960ern angesichts staatlicher Maßnahmen – wie dem neu geschaffenen Straftatbestand der Volksverhetzung und der voranschreitenden strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen in ihrem Geschichtsverständnis zunehmend isoliert. Spätestens seit den 1990er Jahren kann dies als »historisch fiktionale Gegenerzählung« verstanden werden, so Botsch. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass die Geschichtserzählungen der extremen Rechten in den 1950er und 60ern stärker an historischen Fakten orientiert waren. Viel eher entwickelte sich die gesamtgesellschaftliche Perspektive in Richtung einer kritischen Auseinandersetzung mit der Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus und entfernte sich damit immer weiter von den Interessen extrem rechter Geschichtspolitik.

Das allmähliche Auseinanderdriften lässt sich am Beispiel der Wehrmacht nachvollziehen: Historiker*innen, Museen und Geschichtslehrbücher stimmen heute überein, dass auch einfache Soldaten das NS-Regime freiwillig unterstützten und an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Diese Erkenntnis wurde unter anderem von den Wanderausstellungen »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« (1995-1999) und deren Überarbeitung »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944« (2001-2004) angestoßen. Diese Darstellungen liefen dem extrem rechten Geschichtsnarrativ derart zuwider, dass Neonazis Demonstrationen gegen die Ausstellungen organisierten, bei denen sie die angeblich ›saubere Wehrmacht‹ verherrlichten. Mit Slogans wie »Opa war in Ordnung« gelang es ihnen, Bündnisse mit dem parallel dazu agitierenden national-konservativen Spektrum zu schließen. Solche Allianzen zeigen, wie wirkmächtig der Mythos einer sauberen Wehrmacht auch außerhalb der extremen Rechten geblieben ist. Bis heute ziehen es nicht wenige Deutsche vor, ihre Groß- und Urgroßväter als unpolitische Opfer eines allgemein mörderischen Krieges in Erinnerung zu behalten. Allerdings sind (national)-konservative Akteur*innen mittlerweile meist bemüht, sich nicht mit offensichtlichen Neonazis gemein zumachen. Dies gelingt aufgrund der ideologischen Überschneidungen oft nur mäßig.

Die Glorifizierung einzelner NS-Größen hat – zumindest im Neonazismus – Tradition. Alt- und Neonazis verklären etwa den verurteilten Kriegsverbrecher Rudolf Heß als »Friedensflieger«. Nach dessen Suizid 1987 entstand die Mär, er wäre nach über 40 Jahren Haft im Greisenalter vom britischen Geheimdienst ermordet worden. Die seitdem stattfindenden ›Heß-Märsche‹ waren über viele Jahre ein zentrales Event im extrem rechten Aktionskalender und bleiben bis heute ein wichtiges Ereignis für den neonazistischen Erfahrungsaustausch. Beispielsweise erläuterte der Neonazikader Thomas Wulff[3] beim ›Heß-Marsch‹ 2018 in Berlin wie er sich in den 1980er-Jahren vor dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis ankettete, um Freiheit für Heß zu fordern, »dem einsamsten Menschen auf dieser Welt«.

Seit Mitte der 1990er Jahre mobilisieren Neonazis nach Dresden um sich anlässlich des Jahrestages des Alliierten Bombardements der Stadt am 13. Februar 1945 als die eigentlichen Kriegsopfer zu inszenieren. Bis circa 2012 handelte es sich zeitweise um den größten Neonaziaufmarsch Europas mit bis zu 6500 Teilnehmenden. Dieses Mobilisierungspotenzial verdeutlicht die besondere Bedeutung geschichtspolitischer Themen für die extreme Rechte. Drei Jahre später forderte die nun im Dresdner Stadtrat vertretene AfD ein »würdiges Mahnmal« zur Erinnerung an die »sinnlose« Bombardierung der Stadt durch die Alliierten. Dass hier der Fokus von den nationalsozialistischen Verbrechen weggelenkt werden sollte, zeigte Björn Höckes Auftritt bei einer Veranstaltung der Jungen Alternative (JA) 2017, ebenfalls in Dresden. Dort forderte Höcke, der 2010 selbst an besagtem Aufmarsch teilgenommen hatte, eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« und »eine Erinnerungskultur, die uns vor allen Dingen und zuallererst mit den großartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt.«[4] Für seinen Parteifreund Alexander Gauland ist die Zeit des Nationalsozialismus – laut einer Rede beim Bundeskongress der JA 2018 – lediglich ein »Vogelschiss« in der ansonsten heroischen deutschen Geschichte. So müssten sich die Deutschen »diese zwölf Jahre jetzt nicht mehr vorhalten« lassen, sie hätten stattdessen »das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen«.

Die Geschichte soll umgeschrieben, das kollektive Gedächtnis neu ausgerichtet werden.

 

Solche (nicht neuen) geschichtspolitischen Forderungen durch Mitglieder einer Partei, die sowohl auf Länder- als auf Bundesebene in den Kulturausschüssen der Parlamente sitzt, sind mehr als bloße Rhetorik. Die Geschichte soll umgeschrieben, das kollektive Gedächtnis neu ausgerichtet werden. Zwar hat die AfD keine zentrale Parteizeitung, die wechselseitige Beeinflussung zwischen ihr und Teilen der analysierten Periodika wird jedoch auch beim Thema Geschichtspolitik wiederholt deutlich. Gedenkpraktiken berühren eine Reihe grundlegender politischer Werte, wie die Legitimität zivilen Ungehorsams und des Kampfs gegen Rassismus und Antisemitismus.[5]

Nicht nur Alexander Gauland wäre gern stolz auf »Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen«. Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung 1998. | Foto: Christian-Ditsch.de

Geschichte im Fokus der extremen Rechten

Alle hier untersuchten Periodika scheinen das Mobilisierungspotential geschichtspolitischer Themen erkannt zu haben. Die Titelseiten der Jungen Freiheit (JF) zieren regelmäßig historische Themen. Außerdem verfügt sie – wie auch Zuerst! – über eine eigene Geschichtsrubrik. Compact hat historische Themen seit 2017 weitestgehend in die Sonderreihe Compact-Geschichte ausgelagert, die aktuell zwölf Ausgaben umfasst. Die Sezession veröffentlicht neben geschichtsphilosophischer Tiraden fleißig Rezensionen zu historischen Büchern.

Die Deutsche Militärzeitschrift (DMZ) vermittelt durch die Fetischisierung unterschiedlichsten Kriegsgeräts auf ihre Weise ein extrem rechtes Geschichtsbild. Sie gehört ebenso wie Zuerst! zur Unternehmensgruppe Lesen & Schenken des Verlegers Dietmar Munier. Ihre zweimonatlich erscheinenden Ausgaben werden ebenso wie die Zuerst! an vielen Bahnhofskiosken vertrieben. Die DMZ-Rubrik »Landser erzählen« ist Berichten ehemaliger Wehrmachtsoldaten gewidmet. Das Blatt richtet sich an »die Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkrieges, an die Soldaten und Reservisten der Bundeswehr und an alle zeitgeschichtlich interessierten Mitbürger«. Außerdem sollen »die ehemaligen Angehörigen der NVA« angesprochen werden. Zusätzlich existieren mit den Titeln DMZ-Zeitgeschichte (seit 2012) und Schwerterträger (seit 2017) Ableger, die sich schwerpunktmäßig der Militärgeschichte des Zweiten Weltkrieges widmen. Erstere versteht sich dabei explizit als »Fachzeitschrift über die Waffen-SS«. Bereits 2014 ging das eingestellte Magazin Der Freiwillige in der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) in der DMZ-Zeitgeschichte auf.

Auch die NPD und die Kameradschaften arbeiten sich regelmäßig an historischen Themen ab. Dabei verklären sie systematisch die Rolle deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg und schreiben Erzählungen im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr. Beispielsweise bemüht die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme (DS) anlässlich der Jahrestage der Bombardements deutscher Städte durch die Alliierten den relativierenden Ausdruck »Bombenholocaust.« Die N.S. Heute beschäftigt sich ausgiebig mit deutschen Kriegsgefangenen in den sogenannten Rheinwiesenlagern der Westalliierten oder lässt den Hitler-Stellvertreter Heß hochleben. Außerdem solidarisiert sich das Blatt unverhohlen mit Holocaustleugner*innen.

Traditionslinien

Während neonazistische Organisationen, wie die NPD oder die Kameradschaften, hochrangige Alt-Nazis zum Teil bis heute offen glorifizieren, lehnt die Anfang der 1970er Jahre entstandene sogenannte Neue Rechte[6] dies aus verschiedenen Gründen ab. Sie bezieht sich vielmehr auf Positionen verschiedener zutiefst anti-egalitärer, autoritärer und nationalistischer Autoren[7] aus der Zeit der Weimarer Republik. Die häufig unter dem Begriff Konservative Revolution zusammengefassten Feinde der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie gelten jedoch nicht grundlos als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Zudem versuchen extrem rechte Autor*innen aller hier analysierten Spektren an weit zurückliegende historische Narrative anzuknüpfen, um eine neue völkisch-nationale Identität aus der Wiege zu heben, die möglichst unbelastet von den NS-Verbrechen erscheint.

Zwar schreiben sie über die NS-Zeit – über Wehrmachtssoldaten und ihre Waffen, über alliierte Bombenangriffe, Kriegsgefangene und den nationalkonservativen Widerstand – allein die Einzigartigkeit des fabrikmäßigen nationalsozialistischen Mordens erwähnen sie kaum.

Besonders prominent ist dieser Ansatz in den Ausgaben von Compact-Geschichte. Die bis zu 100-Seiten-starken Hefte widmen sich jeweils einem spezifischen Rahmenthema. Während es in sechs der zwölf Ausgaben um Teilaspekte der Geschichte des Nationalsozialismus geht, kultivieren die übrigen Hefte mit Titeln wie »1000 Jahre Deutsches Reich« (2017) und »Deutsche Kaiser« (2020) eine identitätsstiftend nationalistische Geschichtserzählung. Diese Ausgaben zeichnen sich über weite Strecken durch einen stark herkunftsmythologischen Ansatz aus, der vor allem Held*innenerzählungen aneinanderreiht. Das dieser Methode zugrunde liegende Ziel offenbart der ehemalige Welt- und Focus-Autor Jan von Flocken bereits im Vorwort der ersten Ausgabe: »Unser Vaterland hat in den 1000 Jahren seiner Geschichte vor 1933 keine Scheusale wie Zar Iwan den Schrecklichen, keine geifernden Hassprediger wie Robespierre, keine Bartholomäusnacht, keine barbarischen Gewaltherrscher wie Heinrich VIII. oder Gangsterbosse wie Al Capone hervorgebracht. Gerade deshalb lohnt es sich, Michels Vergangenheit zu beleuchten.« Der Tenor des Autors: Andere Länder hatten auch ihre Verbrecher und die ersten 1000 Jahre lief es doch ganz gut in der deutschen Geschichte. Das führt zu wahren propagandistischen Stilblüten wie Al Capone im offenkundigen Vergleich mit Hitler.

Ein Krieg, der viele Väter hatte?

Auch wenn laut Compact-Autor Jan von Flocken in allen Ländern Verbrechen zu finden sind, sind sich die Autor*innen der hier untersuchten Zeitschriften meist nicht einmal sicher, ob sie den Beginn des Zweiten Weltkrieges durch den deutschen Angriffskrieg gegen Polen als solches gelten lassen wollen. Arne Schimmer schreibt in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme, »die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges« sei »viel komplexer […], als sie heute dargestellt wird« und verweist auf das geschichtsrevisionistische Buch von Gerd Schultze-Rhonhof »Der Krieg, der viele Väter hatte«. (3/2020) Das Interesse, die deutsche Kriegsschuld zu negieren und den Zweiten Weltkrieg als unvermeidliche Tragödie darzustellen, eint die europäische Neonaziszene. Das zeigt ein Bericht des kroatischen Nationalisten Ivan Bilokapić, seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender der NPD-nahen Stiftung Europa Terra Nostra (ETN), über eine Veranstaltung der Organisation anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens. Zu den Referent*innen gehörte Nick Griffin, der ehemalige Vorsitzende der British National Party. Im Artikel bezeichnet Bilokapić den Zweiten Weltkrieg als »mit Abstand tragischste[n] Konflikt, der den europäischen Kontinent heimsuchte«. Die Umschreibung des Krieges als Heimsuchung unterschlägt, dass zunächst Polen vom Angriffskrieg der deutschen Wehrmacht heimgesucht wurde. Doch indem deutsche und europäische Neonazis sämtliche Verantwortung einer vermeintlich übernatürlichen Gewalt zuschieben, können sie heute ein einträchtiges ›Europa der Vaterländer‹ ausrufen. An-schließend richtet Bilokapić seine Aufmerksamkeit auf den vermeintlich wahren Gegner, den antisemitisch codierten Internationalismus, und zitiert Nick Griffin mit den Worten: »Lassen wir vergangene Schande hinter uns sowie geschichtliche Belastungen und Tragödien, die unsere Vorväter trennten, denn solange wir uns trennen lassen, besteht keine Hoffnung, dem zu widerstehen, was unseren Völkern droht. Unsere Gegner arbeiten auf internationaler Ebene gemeinsam daran, uns zu zerstören, daher müssen auch wir einen übergreifenden nationalen Widerstand bilden, um Europas Nationen vor ihrem Untergang zu bewahren.« (4/2020)

Indem deutsche und europäische Neonazis sämtliche Verantwortung einer vermeintlich übernatürlichen Gewalt zuschieben, können sie heute ein einträchtiges ›Europa der Vaterländer‹ ausrufen.

Auf der Titelseite der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF), die selbst lieber als konservativ verstanden werden will, prangte im Juni 2019 die Überschrift »Tatort Versailles«. Im Untertitel hieß es weiter das »Friedensdiktat« sei der »jungen deutschen Republik« zum Verhängnis geworden und habe »die Saat für den Aufstieg Hitlers« gelegt. (27/2019) Mit direkten und indirekten Ernst-Nolte-Zitaten wird in diversen JF-Artikeln ein Narrativ konstruiert, in dem der Zweite Weltkrieg im ›großen Bürgerkrieg‹ aufgeht, der vermeintlich bereits 1917 begann. Die Strategie, den nationalsozialistischen Angriffskrieg als letzten Stein in eine durch die Novemberrevolution und den Friedensvertrag von Versailles angestoßene Dominokette einzufügen, ist noch subtil im Vergleich zu dem, was der Schriftsteller Wolfgang Bittner in einem JF-Interview verkündet: Beide Kriege seien »unter anderem von Briten, Franzosen und US-Finanzeliten provoziert« worden und »die These von der Alleinschuld Deutschlands« sei falsch. (47/2019)

Ähnlich wie die Junge Freiheit versucht der Historiker Stefan Scheil in der Sezession die nationalsozialistischen Aggressionen als Teil einer historischen Kausalkette zu erklären. Dabei bemüht er die auf Nolte zurückgehende Bürgerkriegs-These.[8] Der »Europäische Bürgerkrieg« sei, so Nolte, ein Krieg zwischen Bolschewismus und Faschismus gewesen. Begonnen hätte dieser bereits 1917 mit der russischen Revolution. Entsprechend sei der Krieg gegen die Sowjetunion, so Scheil in der Sezession, zwar ein Vernichtungskrieg gewesen, habe sich aber gegen das bis dahin »mörderischste Regime aller Zeiten« gerichtet. Unter Berufung auf Nolte schreibt Scheil, dass »der nationalsozialistische Faschismus« dabei »im Wesentlichen als Anti-Bolschewismus« aufzufassen sei, der »seinen Gegner fundamental bekämpfe, seine Methoden dabei mit aufnehme, aber den festen Rahmen des nationalen Denkens nie durchbreche.« (86/2018) Wer den NS wie Scheil als eine Reaktion auf den Bolschwismus beschreibt, muss sich mit dem Rassenwahn der Nazis freilich nicht weiter befassen. Scheil, seit April 2013 Mitglied der AfD und Mandatsträger, hat diverse Bücher zum Nationalsozialismus veröffentlicht – einige davon im traditionsreichen Wissenschaftsverlag Duncker & Humblot. Parallel dazu erschienen etliche seiner Bücher im extrem rechten Verlag Antaios von Götz Kubitschek. Die Zuerst! holt die »Expertenmeinung« des in Fachkreisen stark kritisierten Historikers immer wieder in Interviews ein.

Verschiedene Zuerst!-Autoren vertreten getreu dem Motto »Der Krieg, der viele Väter hatte« die Position, der Beginn des Zweiten Weltkrieges könne unmöglich einer einzigen Nation angelastet werden. So sei die Politik der polnischen Regierung und deren Verhalten gegenüber der deutschen Minderheit Ende der 1930er Jahre geradezu provozierend und aggressiv-bedrohlich gewesen – ermutigt von der Rückendeckung der britischen und französischen Regierung. Der Angriff des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen am 1. September 1939, der den Beginn des Krieges markiert, sei eine unausweichliche und quasi erzwungene Reaktion gewesen. Außerdem hätten Großbritannien und Frankreich daraufhin dem nationalsozialistischen Deutschland den Krieg erklärt und nicht umgekehrt. Xaver Warncke beschreibt wie ein scheinbar friedensbemühter Hitler die Berichterstattung »über polnische Gewaltakte« zurückgehalten und versucht habe, »die Polen an den Verhandlungstisch zurückzubringen«. (8-9/2019) Angesichts der Tatsache, dass der Angriffskrieg mit dem durch die SS fingierten Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz propagandistisch begründet wurde – bei dem es so aussehen sollte, als seien die Täter Polen – ist die Betonung vermeintlich »polnischer Gewaltakte« im Vorfeld des Krieges ein besonders drastischer Beweis für den unverhohlenen Revisionismus der Zeitschrift. Er ist beispielhaft für die typische Verdrehung hinlänglich belegter historischer Fakten zugunsten einer relativierenden Geschichtsschreibung.

Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer bestreitet im Compact-Geschichte-Heft »Der Krieg, der viele Väter hatte« solche revisionistischen Ziele zu verfolgen. Bei der Ausgabe handelt es sich um einen stark gekürzten Reprint des 2003 erschienenen gleichnamigen Buches von Gerd Schultze-Rhonhof. Dieser brachte es vor seiner Karriere als revisionistischer Autor immerhin zum Generalmajor der Bundeswehr. Elsässer schreibt im Vorwort: »Wenn Schultze-Rhonhof eine Mitverantwortung der Regierungen in Warschau oder Prag an der Katastrophe von 1939 benennt, bedeutet dies keinerlei Minderung der deutschen Schuld. Und kein vernünftiger Patriot will die Gebiete, die wir nach 1945 verloren haben, zurückhaben. Ganz im Gegenteil: Sie sind heute in Tschechien, Polen und Russland besser aufgehoben – weil die Regierungen dort entschlossen die Islamisierung verhindern, die das gesamte Abendland bedroht.« Die Begeisterung Elsässers für die polnische Regierungspartei PiS, den tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš sowie den russischen Präsidenten Vladimir Putin dürften viele seiner Leser*innen aufgrund von deren Anti-Migrationspolitik und regelmäßigen Streitigkeiten mit der EU teilen, ob sie deshalb jedoch wirklich die Ostgrenze der Bundesrepublik anerkennen, darf bezweifelt werden.

Schultze-Rhonhof wirft der Geschichtswissenschaft eine einseitige, durch die Alliierten aufgezwungene Haltung zur Schuldfrage vor. Compact versucht, wo immer möglich, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umzuschreiben. In dem so gezeichneten Bild blieb Hitler aufgrund des Versailler Vertrages vermeintlich gar nichts anderes übrig, als einen Krieg anzuzetteln. Wenn überhaupt, dann habe der Krieg »viele Väter« und die Schuld sei nicht nur bei Hitler, sondern auch bei Stalin, Churchill und der (einmal mehr antisemitisch codierten) »angloamerikanische[n] Hochfinanz« zu suchen. (8/2019) Letztlich bedient das Magazin und seine Geschichtsreihe verschiedene in der extremen Rechten virulente Erzählungen, die darauf abzielen, die Kriegsschuld und die Verbrechen der Nazis zu relativieren, um den eigenen aktuellen Nationalismus zu legitimieren. Hier ist das Blatt bei einer inhaltlichen Linie angekommen, die bis in die 2000er prominent von NPD und Kameradschaften vertreten wurde und heute ihre Entsprechung bei den AfD-Reden Gaulands oder Höckes findet.

Der »Versailler Diktatfrieden« dient der Deutschen Stimme als Schlagwort, um eine Erzählung kontinuierlicher Ungerechtigkeiten gegenüber den Deutschen zu etablieren. Die NPD-Parteijugend Junge Nationalisten (JN) begründete in der Zeitung ihr Engagement »[g]egen den Befreiungsmythos« des 8. Mai mit dem Verweis auf den Friedensvertrag und damit, dass »der Zweite Weltkrieg in nicht wenigen Aspekten als Fortsetzung des ersten« gelte. (6/2019) Hier wird die Überschneidung zur in der Neuen Rechten beliebten These eines von 1917 bis 1945 andauernden ›Bürgerkrieges‹ offenbar.


Worum ging es im ›Historikerstreit‹?

Der ›Historikerstreit‹ von 1986/87 bezeichnet eine Debatte über die Einzigartigkeit des Holocaust und die Auswirkungen des Gedenkens auf die nationale Identität der Bundesrepublik Deutschland in der Gegenwart. Außerdem wurde ein auslösender Zusammenhang zwischen dem sowjetischen Gulag-System und dem nationalsozialistischen Völkermord diskutiert. Im Zentrum der stand der Historiker und Philosoph Ernst Nolte (1923-2016) und einige von ihm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) veröffentlichte Artikel.

1986 erschien in der FAZ Noltes Artikel »Vergangenheit, die nicht vergehen will«[9], der als Auslöser der Debatte gilt. Darin moniert der Historiker das angebliche »Nicht-Vergehen« der deutschen NS-Vergangenheit. Normalerweise würden Ereignisse ihre Potenz für die Gegenwart verlieren, wenn sie Geschichte werden. Allein die Zeit des Nationalsozialismus sei immer noch gegenwärtig, obwohl sie der Vergangenheit angehöre. Die moralische Verurteilung jener Ereignisse stünde einer wissenschaftlichen, nüchternen Analyse entgegen, so Nolte. »Die der ›Endlösung‹ gewidmete Aufmerksamkeit« lenke von der Erforschung anderer historischer Vorgänge ab. Hier nennt er einerseits »wichtige[ ] Tatbestände[ ] der nationalsozialistischen Zeit, wie etwa »d[ie] Tötung ›lebensunwerten Lebens‹ und d[ie] Behandlung der russischen Kriegsgefangenen«. Anderseits beziehe sich die Ablenkung aber »vor allem [auf] entscheidende[ ] Fragen der Gegenwart«. Darunter versteht Nolte die Frage nach dem »Seinscharakter[ ] von ›ungeborenem Leben‹ oder des Vorliegens von ›Völkermord‹ gestern in Vietnam und heute in Afghanistan«.

Bereits 1980 hatte Nolte in einem Vortrag, der in gekürzter Fassung ebenfalls in der FAZ erschien, den Holocaust relativiert, indem er Auschwitz als »aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution« beschrieb. Die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands seien »eine verzerrte Kopie und nicht ein erster Akt oder das Original«[10] gewesen. 1986 führt er in besagtem Artikel aus, alle Verbrechen der Nazis seien »mit alleiniger Ausnahme des technischen Vorgangs der Vergasung« bereits von den Bolschewisten in der Sowjetunion begangen worden.[11]

Nolte gibt den nationalsozialistischen Verbrechen eine rationale äußere Ursache fernab von ihrer virulent antisemitischen und rassistischen Weltanschauung und relativiert die Singularität des Holocaust und den ihm innewohnenden planvollen Vorgang des industrialisierten Massenmordes in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, den er als vermeintlich »technisches« Detail beschreibt. Bis heute sind seine Thesen wichtige Bezugspunkte für die Geschichtspolitik der extremen Rechten und werden in diversen der untersuchten Zeitschriften bemüht.


Der zweite Teil des Artikels »Rechte Geschichtspolitik« erscheint am Mittwoch, den 12. Mai 2021. Die apabiz-Publikationsreihe magazine nimmt rechte Periodika unter die Lupe, beleuchtet zentrale Diskurse und schafft damit eine Grundlage für die argumentative Auseinandersetzung.

  1.  Für diesen Text haben wir schwerpunktmäßig die seit 2018 erschienenen Ausgaben folgender Periodika analysiert: Compact (inkl. Compact-Geschichte), Deutsche Militärzeitschrift, Deutsche Stimme, Junge Freiheit, N.S. Heute, Sezession und Zuerst!. In Einzelfällen griffen wir auf weitere frühere Ausgaben zurück.
  2.  Gideon Botsch: Fiktionen gegen Fakten. Zum Umgang der extremen Rechten mit Geschichte, in: Hans-Peter Killguss, Martin Langebach (Hg.): »Opa war in Ordnung!« Erinnerungspolitik der extremen Rechten, Köln 2016, S. 51-65, hier: S. 56.
  3.  Wulffs sowohl unter Neonazis wie auch darüber hinaus bekannter Spitzname ist »Steiner« nach SS-General Felix Steiner.
  4.  Höcke-Rede im Wortlaut in: Tagesspiegel vom 19.01.2017. Online unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/hoecke-rede-im-wortlaut-gemuetszustand-eines-total-besiegten-volkes/19273518.html
  5.  Weiterführend dazu: Verein für Demokratische Kultur in Berlin (VDK) e.V. und Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR): Nur Schnee von gestern? Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Gedenkstätten und Museen. Berlin 2019. Online unter: https://mbr-berlin.de/publikationen/nur-schnee-von-gestern-zum-umgang-mit-dem-kulturkampf-von-rechts-in-gedenkstaetten-und-museen-2020/
  6.  Der Begriff Neue Rechte ist ursprünglich eine von extrem rechten Akteur*innen gewählte Selbstdefinition. Der Begriff hat sich infolgedessen auch als wissenschaftliche und politisch-analytische Phänomenbeschreibung etabliert.
  7.  Da es sich fast ausschließlich um männliche Autoren handelt, wurde an dieser Stelle auf eine Schreibweise verzichtet, die weitere Geschlechtsidentitäten einschließt. Das gleiche gilt, wenn im Text von Autoren aktueller rechter Periodika nur im Maskulinum die Rede ist.
  8.  Vgl. Ernst Nolte: Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, München 1987.
  9.  Ernst Nolte: Vergangenheit, die nicht vergehen will, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06. Juni 1986. / Kritisch dazu u.a.: Peter Borowsky: Der Historikerstreit. Wie geht die deutsche Geschichtswissenschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit um? in: Ders.: Schlaglichter historischer Forschung Studien zur deutschen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburg 2005. Online unter: https://hup.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2008/9/chapter/HamburgUP_Schlaglichter_Historikerstreit.pdf
  10.  Ders.: Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus? Das Dritte Reich im Blickwinkel des Jahres 1980. In: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München 1987.
  11.  Ders.: Vergangenheit, die nicht vergehen will, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06. Juni 1986.