Foto: apabiz

Das richtige Buch zur richtigen Zeit

Das neu erschienene Buch »Kulturkampf und Gewissen« aus dem Hause des apabiz liefert einen aktuellen kritischen Beitrag über die »Lebensschutz«-Bewegung. Es fällt damit in eine Zeit, in der endlich wieder öffentlich über die Gesetzeslage zu Schwangerschaftsabbrüchen diskutiert wird und die Abschaffung des §218 neu gefordert werden muss.

vom apabiz

Am 8. März, dem internationalen Frauen*kampftag, meldete die taz: »Es werden weniger Ärzt*innen [,die Abtreibungen anbieten], auf Dauer ist die Versorgung gefährdet.« Die Autorinnen Dinah Riese und Hanna Voss haben in allen Bundesländern nachgefragt und bestätigen durch eine aufwendige Recherche die vorhandenen Indizien: Das Angebot des sicheren Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen verengt sich auch in Deutschland. Das mussten auch andere Beobachter*innen der »Lebensschutz«-Bewegung feststellen.

Die Symptome einer langen Entwicklung

Die Gründe für die Bedrohung des sicheren Zuganges sind vielfältig. Einer ist, dass viele der durch die feministischen Kämpfe um das Recht auf Abtreibung in den 1970er Jahren politisierten Ärzt*innen in Rente gehen. Das Angebot wird kleiner. Es folgt keine Generation nach, für die es zwar kein Vergnügen, aber eine moralische oder politische Verpflichtung ist, den sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu gewährleisten. Außerdem wird der Eingriff, der der häufigste gynäkologische Eingriff ist, immer noch nicht im Medizinstudium gelehrt. Sieht man von Ausschabungen als Notfalleingriff nach Fehlgeburten beispielsweise ab, so sind Schwangerschaftsabbrüche nicht einmal obligatorischer Teil der Fachartztausbildung: »Die Ausbildung absolviert man im Krankenhaus. Abbrüche lernt man also nur, wenn sie an diesem Krankenhaus auch gemacht werden«, zitieren Riese und Voss Elisa Tackmann von den Medical Students for Choice.

Ein weiterer Grund: Die Tabuisierung, die Stigmatisierung und bekanntermaßen die Kriminalisierung von Abbrüchen, die auch durchführende Ärzt*innen erfahren, hat nie aufgehört. Die »Lebensschutz«-Bewegung arbeitet kontinuierlich daran. Riese und Voss berichten: »Viele Ärzt*innen, aber auch Beratungsstellen erfahren regelmäßig Anfeindungen, finden Plastikföten in ihren Briefkästen, Todesanzeigen für ‚alle ungeborenen Kinder‘ in ihrer Regionalzeitung oder erhalten Morddrohungen. Die selbsternannten Lebensschützer*innen nutzen zunehmend den Paragrafen 219a, um Ärzt*innen anzuzeigen, die trotz des Verbots öffentlich darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen: Die Zahl der Ermittlungsverfahren stieg zuletzt von zwei bis 14 in den Jahren bis 2014 auf 27 im Jahr 2015 und 35 im Jahr 2016.« Die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel zu einer Strafe in Höhe von 6.000 Euro im November 2017 führte endlich zur öffentlichen Empörung und dem politischen Druck, der nun immerhin die Modifikation oder gar Abschaffung des sogenannten Werbeverbots – das de facto ein Informationsverbot ist – durch die Legislative erreichbar scheinen lässt. Dr. Hänel erhielt am 2. März 2018 den »Clara-Zetkin-Preis« der Partei Die Linke. Täglich gibt es neue Meldungen von Politiker*innen aller Parteien zum § 219a, die mögliche Abschaffung des Paragrafen ist jetzt erster Streitpunkt in der frischen Großen Koalition, auch innerhalb der evangelischen Kirche erhitzen sich die Gemüter über der Frage.

Fokus auf die Ärzt*innen

Eike Sanders und Ulli Jentsch vom apabiz[1] sowie die freie Autorin Kirsten Achtelik[2] – , begannen schon Ende 2016, ihren Fokus auf die Mediziner*innen als Akteure und Zielgruppe der »Lebensschutz«-Bewegung zu legen. Ein Auslöser waren die Streitfälle um die Kliniken in Dannenberg, wo ein bekennender Christ Chefarzt der Gynäkologie wurde und Abbrüche für das ganze Haus und damit den gesamten Landkreis verweigern wollte, bis er nach Druck durch Klinikkonzern und Öffentlichkeit die Klinik auf eigenen Wunsch verließ. Im Landkreis Schaumburg drohte nach einer Zusammenlegung mehrerer Krankenhäuser unter eine christliche Trägerschaft 2017 auch für eine ganze Region das Angebot wegzubrechen. Zwar konnten lokale Kompromisse erkämpft werden, aber die »Lebensschutz«-Bewegung als Akteur blieb weitestgehend unbeachtet. Die Autor*innen recherchierten, analysierten, diskutierten und schrieben ein gutes Jahr an dem schließlich letzte Woche erschienenen Buch »Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ‚Lebensschutz‘-Bewegung« , das zeitlich kaum besser passen könnte.

Der Kulturkampf der »Lebensschutz«-Bewegung

In »Kulturkampf und Gewissen« werden die aktuellen Rahmenbedingungen und Argumentationen der »Lebensschutz«-Bewegung, ihre Strategien und Akteur*innen im deutschsprachigen aber auch im internationalen Raum vorgestellt. Dabei wird von der Beobachtung ausgegangen, dass die christlich-fundamentalistischen Akteur*innen der »Lebensschutz«-Bewegung einen Kulturkampf für eine Retraditionalisierung der Geschlechter- und Familienmodelle ausgerufen haben und darin derzeit verstärkt medizinethisch, biopolitisch und menschenrechtsbasiert argumentieren. Ärzt*innen sind »gatekeeper« in der Durchführung oder Verweigerung reproduktionsmedizinischer Dienstleistungen als auch einflussreiche Stimmen in medizinethischen Diskursen über den »Beginn des Lebens«, die Legitimität von Schwangerschaftsabbrüchen, selektiven pränatalen Untersuchungen oder Sterbehilfe. Daher eignet sich diese Profession besonders für den Versuch, eine Diskurshoheit gerade in solchen komplexen gesellschaftspolitischen Fragen zu erlangen.

Die »Lebensschutz«-Bewegung stellt in diesen Auseinandersetzungen die eigenen medizinethischen Standpunkte als eherne, religiös herzuleitende und überstaatlich existierende Grundsätze dar. Christliche Moralvorstellungen seien angeblich seit Jahren durch staatliche Maßnahmen (z.B. durch Gleichbehandlungsrichtlinien) und durch feministische Kämpfe für Diversität in eine Minderheitenposition geraten, das Christentum wird in Folge dessen als verfolgte, rechtschaffene Minorität imaginiert, dessen Menschenrechte, insbesondere die Religions- und Gewissensfreiheit, verteidigt werden müssen. Die deutsche »Lebensschutz«-Bewegung versucht, Strategien der US-amerikanischen Pro-Life-Bewegung zu übertragen und in Kooperation mit deren europäischen Schwesterorganisationen auf EU-Ebene Präzedenzfälle zu schaffen: Um vorgeblich die Gewissensfreiheit von Christ*innen zu verteidigen, werden Fälle skandalisiert, in denen das Recht auf Verweigerung bestimmter medizinischer Leistungen (wie Schwangerschaftsabbrüche) zum Ziel der de-facto Einschränkung sexueller und reproduktiver Rechte instrumentalisiert werden.

Im Buch werden einige wesentliche Organisationen vorgestellt: explizite ärztliche »Lebensschutz«-Organisationen und Gruppen, die einen Schwerpunkt auf medizinethische Argumentationen – insbesondere im Zusammenspiel mit dem Weigerungsrecht für medizinisches Personal – legen. Die Bandbreite liegt zwischen kleinen, katholisch-fundamentalistischen Ärzt*innengruppen bis hin zu professionell arbeitenden Interessenvertretungen und gut vernetzten finanzstarken Lobbyvereinen, die auf der internationalen Ebene die juristische Auseinandersetzung suchen.

Streitfälle um Kliniken, juristische Verfahren gegen Ärzt*innen wie Kristina Hänel, »Lebensschutz«-Petitionen, auch auf EU-Ebene, oder die von Riese und Voss recherchierte abnehmende Zahl von Abbrüche anbietenden Gynäkolog*innen in Deutschland sind insofern auch Symptome einer Anti-Abtreibungs-Strategie, die Zustände wie in Italien oder Teilen der USA als Vorbild sieht. Eine feministische Kritik an den Paragrafen 218 und 219 ist daher unerlässlich. Um die Antworten auf die gesellschaftlich drängenden biopolitischen Fragen emanzipatorisch zu finden und nicht den »Lebensschützern« zu überlassen, kommt unser Buch genau zur richtigen Zeit.

Das Buch ist ab sofort im Buchhandel erhältlich.

Über den Verbrecher Verlag können Rezensionsexemplare und die Pressefahne bezogen werden.

Veranstaltungstermine und Lesungen sowie News finden sich auf der Facebook-Seite des Buches:
https://www.facebook.com/kulturkampf.gewissen/

Für Veranstaltungsanfragen bitte eine Mail an mail@apabiz.de schreiben

  1.  Auch, gemeinsam mit Felix Hansen, Autor*innen des Buches »Deutschland treibt sich ab. Organisierter ‚Lebensschutz‘, christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus, Unrast 2014.
  2.  Kirsten Achtelik veröffentlichte 2015 im Verbrecher Verlag zum Thema »Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung«.