Nicht anders als die anderen

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Rezension: Heidi Benneckenstein: »Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie«, Stuttgart: Klett-Cotta 2017

von Eike Sanders (apabiz) und Lara Schultz (a.i.d.a.)

Wenn es ein Fazit aus Heidi Benneckensteins Buch »Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie« gibt, dann die banale Erkenntnis, dass niemand Nazi sein muss. Ob, wie Heidi, in eine Neonazifamilie hineingeboren oder wie ihr Mann Felix, der als Jugendlicher seinen neonazistischen Lifestyle entwickelt hat: Ein Ausstieg ist möglich. Die andere Erkenntnis ist, dass niemand Aussteiger*innen-Bücher lesen muss. Erst recht nicht, um Wissen über die Neonazi-Szene vermittelt zu bekommen.

Die falschen Hoffnungen des Feuilletons

Pädagog*innen setzen sofort ihr Vertrauen auf positive Nachahmungseffekte, nicht umsonst sind Aussteiger*innengespräche in Bildungskontexten beliebt, nicht von ungefähr hat der Klettverlag eine vergünstigte Ausgabe in seiner Reihe »Zoom – näher dran« veröffentlicht. Diese ausgewählten Bücher beschäftigten sich mit »Themen, die Schülerinnen und Schüler betreffen und für die sie sich wirklich interessieren«, was »eine gute Voraussetzung für aktive und lebhafte Unterrichtsbeteiligung« sei. Darin schwingt die stetige Hoffnung auf die überzeugende moralische Überlegenheit von Aussteiger*innen mit, die doch, da sie mit der Szene und somit mit Freund*innen oder sogar der Familie gebrochen haben, sich von einem extrem rechten, menschenverachtenden Weltbild bewusst verabschiedet haben, und warnende Vorbilder sein müssten. Auch das Feuilleton bzw. »die Verlagsbranche« (so Leo Fischer in einer der wenigen kritischen Rezensionen im Neuen Deutschland) liebt die Ausstiegs-Literatur: Die Leser*innen können wohlig-schaudernd dem Bösen zuschauen und sich am Ende mit der geläuterten Erzähler*in, die »in die Gemeinschaft der Demokratinnen und Demokraten zurückkehren konnte«[1], identifizieren. Dabei könnten sie vermeintlich auch noch ganz hautnah und authentisch politisch komplexe Inhalte vermittelt bekommen. Unter den Gesichtspunkten einer gendersensiblen Perspektive könnte Heidi Benneckensteins Autobiografie aus der Menge der Geschichten herausstechen: Da Mädchen und Frauen nur selten als extrem rechte Akteurinnen wahrgenommen werden, bleiben sie auch als Aussteigerinnen meistens unsichtbar. Wie gerne würden viele die performativen Widersprüche zwischen nationalsozialistischem Geschlechterideal und gelebter neonazistischer Praxis verstehen. Und von einer Person, die so tief in der Nazi-Szene war, könnten sich Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Antifaschist*innen weitergehende Insider-Informationen über die extrem rechte Szene Bayerns wünschen. Aufgrund ihres Hineingeborenseins in die extreme Rechte erspart uns Heidi Benneckensteins Buch auch eine Nacherzählung der Motivation, in die Szene einzusteigen, die allzuoft zu einer politisch und pädagogisch höchst fragwürdigen Rechtfertigung gerät. Ihr Buch könnte sich also gleich der Dekonstruktion, nicht der Rekonstruktion der Ideologie widmen.

Anders als die anderen?

Auch wenn dieses eines der besseren Ausstiegs-Bücher[2] ist, erfüllt es ebenso wenig wie andere auch nur einen dieser Ansprüche: Keine neuen validen Details aus der Nazi-Szene, die Antifaschist*innen nicht schon längst bekannt wären. Keine wirkliche selbstkritische Reflexion über die eigene Lust an Macht, Überlegenheit und Gewalt, die die Zugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft und ihrer selbsternannten Elite verspricht. Selbst die Einblicke und Analysen zur Rolle von Frauen und Mädchen und den Geschlechterbildern in der extremen Rechten sind mehr oder weniger direkt aus dem überaus wichtigen Buch »Mädelsache!« (Röpke/Speit 2011) übernommen. Die Autorin bezieht sie aber nicht auf sich selbst: »So habe ich das auch erlebt. Die wenigen jungen Frauen, die es in der Szene gibt, werden wie Trophäen herumgereicht und bekommen die verdrängte Sehnsucht der Männer nach Liebe mit voller Wucht ab.« (S. 83/84) Zitate aus dem Ärzte-Song »Schrei nach Liebe« müssen wiederholt für die platte wie falsche Analyse von neonazistischer Gewalt als »logische Konsequenz einer verkorksten Kindheit« (S. 83) und fehlgeleiteter Sublimierung der Libido herhalten: »Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ne Kuschelrock-CD« (Fehler im Original). Heidi Benneckensteins späterer Mann Felix hingegen sei selbstverständlich anders (»natürlicher«) »als der Rest« der Jungs gewesen (S. 92), auch wenn ihre Beschreibung seines »großen Herzens« unter der »coolen« Schale (S. 104) dem von ihr belächelten Geschlechterklischee nicht unähnlich ist. Sie selbst sei aber immer schon eine selbstbewusste junge Frau gewesen, die sich von niemandem was sagen ließ.

Und was sie selbst auch angeblich von ihren Kameraden unterschied: Diese kamen ihr zufolge aus niedrigen Bildungs- und Einkommensschichten, waren Nazis geworden, um ihren sozialdemokratischen oder linksliberalen Eltern eins auszuwischen, waren eher unterbelichtete, schüchterne Typen, die den dicken Max machen, deren Nährboden für rechte Gesinnung persönliche Unzufriedenheit war, sie waren komplett ideologiefrei und zum politisch Diskutieren intellektuell nicht fähig. Heidi und Felix hingegen, die »anfangs noch versucht hatten, politische Debatten zu entfachen, mussten […] bald einsehen, dass wir dafür nicht die richtigen Kameraden hatten. Bei den meisten war das Interesse an Politik überschaubar ausgeprägt, uns blieb nichts anderes übrig, als uns damit abzufinden und im Gegenzug noch mehr zu saufen und wenigstens gelegentlich Sabotageaktionen durchzuführen.« (S. 109) Im Ruhrpott waren die Zustände radikal, dagegen waren »sämtliche Aktionen, die wir in München gemacht hatten, Kindergartenspiele gewesen.« (S. 116) Wer von den eigenen Kameraden im Knast war, war dies angeblich wegen Diebstahls oder Verkehrsdelikten, nie wegen rassistisch motivierter Gewalt. Dabei kannten die Benneckensteins wirklich einige Größen der bayrischen Neonazi-Szene. Die Autorin beschreibt immer wieder die Gewalt innerhalb der und durch die extreme Rechte, sie bereut ihren gewalttätigen Angriff auf einen antifaschistischen Fotografen, aber sie sei »geschockt« gewesen, als sie »zum ersten Mal von Rostock, Mölln und Solingen hörte« (S. 119) und der NSU sei »außerhalb« ihrer »Vorstellungskraft« gewesen.

Zwar gibt Benneckenstein unumwunden zu, damals ein »geschlossenes rechtsextremes Weltbild« gehabt zu haben und ihr Versuch, wenig beschönigend und selbstkritisch aus ihrem Leben zu erzählen, ist ihr hoch anzurechnen. Aber ihre Beschreibung der ideologischen Ausgestaltung ihrer Welt bleibt oftmals flach und sie spielt permanent dessen Bedeutung: »Ich war gegen Amerika und Juden. […] Ich verachtete alles, was mit Konsum, Trends und Mode zu tun hatte – zumindest tat ich so.« (S. 125) Auch unvermeidlich: »Anders als viele meiner Kameraden war ich keine lupenreine Rassistin. […] Ich erinnere mich an ein paar wenige Fälle, in denen ich doch mal ausfällig gegenüber Ausländern wurde, aber immer nur im Affekt […], eher in Form einer Übersprungshandlung als einer strategisch geplanten Aktion.« (S.126)

So widersprüchlich wie alle

Zuspitzend könnte man zusammenfassen: Heidi Benneckenstein war die nationalsozialistische Elite, war aber am Saufen wie die ostdeutschen Skins, sie hatte ein geschlossenes Weltbild, aber war keine Rassistin, sie wollte Politik machen, aber alles, was sie machte, war unpolitisch, die Szene war gewaltverherrlichend, aber den NSU hätte sie nie erwartet. Insofern haben die vermutlich eher unbewusst als gewollt formulierten offensichtlichen Widersprüche innerhalb ihrer Ideologie und ihres Lebens einen exemplarischen Charakter für eine jugendliche Neonazistin, denn die Widersprüche gab und gibt es selbstverständlich. Doch der Aufklärungsgehalt von Aussteiger*innen-Literatur ist an sich gering, die Analyse kann wohl nur von außen gelingen.

So lässt dieses Schwanken zwischen Warnen und Verharmlosen, zwischen Mainstream und Radikalität, das Beharren auf Ideologiefreiheit und selbst das nachträgliche Verharmlosen von ehemaligen Kamerad*innen auf eine noch lange nicht abgeschlossene Auseinandersetzung mit der eigenen Person sowie extrem rechter Ideologie schließen. Dass sich Heidi Benneckenstein auf diesem Weg befindet, ist begrüßenswert, aber dabei muss sie nicht die gesamte deutsche Gesellschaft begleiten. Es wäre an der Zeit, Sachbücher über gesellschaftlichen Rassismus, völkische Geschlechterbilder und neonazistische Organisierung breiter zu diskutieren, um etwas über die Gefahr von rechts zu lernen. Um deren Wirken in dieser Gesellschaft auch emotional zu verstehen, um Empathie und Solidarität zu entwickeln, wäre es weiterführender, den Betroffenen und nicht den Täter*innen zuzuhören.

Eine gekürzte Fassung dieses Textes erschien zuerst in monitor (Ausgabe 80) – Rundbrief des antifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz).

  1.  Leo Fischer: Gefährliche Würstchen, Neues Deutschland vom 18.11.2017
  2.  Hierzu empfehlen wir verschiedene ältere Texte des Antifaschistischen Infoblatts zum Thema »Aussteiger«, die dabei auch die Rolle des Verfassungsschutzes und des staatstragenden Ausstiegsprogrammes »Exit« problematisieren, die auch Felix und Heidi Benneckensteins Ausstieg begleiteten bzw. finanzierten. Bspw.: AIB Nr.66 (2/2005)