Das Foto zeigt einen Ausschnitt von gelblich gealtertem Papier-Archivalien.

Schriftgut und Quellen zur extremen Rechten – eine kleine Bestandsaufnahme

Nicht zuletzt im Zuge der Aufarbeitung des NSU-Komplexes und in diesem Zusammenhang bekannt gewordener Aktenlöschungen bei den Verfassungsschutzbehörden hat die Debatte um die Archivierung und Zugänglichkeit von (Behörden-) Schriftgut mit Bezügen zur extremen Rechten etwas Fahrt aufgenommen. Im Koalitionsvertrag spricht die Bundesregierung davon, »ein Archiv zu Rechtsterrorismus in Zusammenarbeit mit betroffenen Bundesländern« auf den Weg bringen zu wollen.

Von Vera Henßler

Staatliche und kommunale Archive sind Gedächtnisinstitutionen, die für die Aufbewahrung von Verwaltungsschriftgut und damit die nachträgliche Kontrolle des Verwaltungshandelns zuständig sind – eine Funktion, die sich unmittelbar aus dem Grundgesetz Art. 20 Absatz 3 herleiten lässt. Zu den archivischen Kernprinzipien gehört die sogenannte behördliche Anbietungspflicht. Die Bundes- und Landesarchivgesetze verpflichten grundsätzlich alle Bundes- und Landesverfassungsorgane, Behörden, Gerichte und sonstige öffentliche Stellen, sämtliche Unterlagen zu dem Zeitpunkt den Archiven anzubieten, zu dem sie nicht mehr für die laufende Aufgabenerfüllung benötigt werden. Per Nutzungsantrag ist es nach Ablauf etwaiger Sperrfristen allen Interessierten möglich, Archivalien einzusehen. Allerdings gehören Primärquellen[1] von extrem rechten Akteuren nicht explizit zum Sammlungsprofil staatlicher und kommunaler Archive. Diese dokumentieren zwar den staatlichen Umgang mit der extremen Rechten (Justiz, Polizei, Geheimdienste usw.), sie enthalten jedoch nur vereinzelt Quellen extrem rechter Akteure selbst, mit einigen Ausnahmen. So liegt ein sehr interessanter Bestand mit Blick auf die Frühgeschichte der NPD im Niedersächsischen Landeshauptarchiv vor. Hierbei handelt es sich um den Nachlass von Adolf von Thadden, Mitbegründer und in der Zeit der größten Wahlerfolge der Partei, den Jahren 1967 bis 1971, Bundesvorsitzender der NPD. Der Nachlass Thaddens ist einer der wenigen Nachlässe von hochrangigen Funktionären der extremen Rechten, der in Archiven öffentlich zugänglich ist. Weiterhin ist im Bundesarchiv der unerschlossene Bestand zur 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP) zu finden. Weitere Quellen zum Thema dürften in den Sammlungen ZSG 147 (Verbotene Vereine), die sich aus Materialien von Beschlagnahmungen verbotener Vereine, darunter der »Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten« (ANS/NA), der »Nationalistischen Front« (NF) sowie der »Wiking Jugend« zusammensetzt, sowie ZSG 1 (Druckschriften von Parteien und Verbänden) und ZSG 157 (Wahlkampfsammlung des Deutschen Bundestags) enthalten sein.

Darüber hinaus lassen sich Primärquellen der extremen Rechten vor allem in den darauf spezialisierten Facharchiven und Dokumentationsstellen finden, die hier, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, kurz vorgestellt werden sollen. Zum einen dokumentieren zahlreiche Bewegungsarchive die Geschichte Sozialer Bewegungen, darunter auch der extremen Rechten. Das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) archiviert seit 1988 Quellen und Materialien politischer Protestbewegungen. Auch das Archiv des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), das sich selbst als »halb-öffentlich« charakterisiert, sammelt Primärquellen und Sekundärliteratur zur extremen Rechten. Ein besonderes Sammlungsprofil ist im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein zu finden, das sich auf Quellen zur Geschichte »der deutschen Jugendbewegung sowie von Jugendverbänden und Jugendkulturen seit etwa 1890 bis heute« spezialisiert hat, zu denen auch nationalistisch orientierte Bünde zählen. Die Bibliothek für Zeitgeschichte (BfZ) der Landesbibliothek Baden-Württemberg beherbergt eine Sammlung zum Thema Neue Soziale Bewegungen aus dem Zeitraum 1965-2005, in der auch Materialien, insbesondere Graue Literatur, der extremen Rechten enthalten sind. Ebenfalls in Baden-Württemberg befindet sich die noch junge Dokumentationsstelle Rechtsextremismus des Landesarchivs, die auf Empfehlung des NSU-Landesuntersuchungsausschusses im Jahr 2020 gegründet worden ist. Grundlage des Bestandes ist die Sammlung des Journalisten Anton Maegerle, der seit den 1980er Jahren zum Thema recherchiert hat. Ein ähnlich gelagerter Bestand, allerdings für die Nachkriegsjahrzehnte, ist die Sammlung von Kurt Hirsch bzw. dem Pressedienst Demokratische Initiative (PDI) am Münchener Institut für Zeitgeschichte (IfZ). Der Antifaschist Kurt Hirsch recherchierte seit den 1950er Jahren systematisch zur extremen Rechten. Gemeinsam mit weiteren Mitstreiter*innen veröffentlichte Hirsch darüber in den Publikationen PDI und »Blick nach rechts«. Ein weiterer Teil der journalistischen Arbeiten von Kurt Hirsch liegt im apabiz e.V. vor.

Zentral für die Recherche extrem rechter Primärquellen sind zweifellos die antifaschistischen Facharchive. Neben dem apabiz beherbergen auch die weiteren antifaschistischen Archive wie die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.), das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V. (ABAG), das Antifa-Archiv Düsseldorf, der Bielefelder Verein Argumente und Kultur gegen rechts sowie die Zeitgeschichtliche Dokumentationsstelle Marburg (ZDM) Sammlungen mit Primärquellen zur extremen Rechten. Der Bibliotheksbestand der antifaschistischen Facharchive kann in einem gemeinsamen Verbundkatalog eingesehen werden.

Wesentlich komplexer verhält es sich mit digitalen Quellen der extremen Rechten, allen voran Webseiten und Social Media-Kanälen. Obgleich mit dem Internet Archive ein wertvolles Tool zur Recherche von nicht mehr vorhandenen Webseiten aller Art zur Verfügung steht, gibt es derzeit offenbar keine systematisierte und umfassende Archivierung von digitalen Präsentationen extrem rechter Akteure im deutschsprachigen Raum. Auch hier sind es wieder kleinere Projekte oder Organisationen, die thematisch oder regional ausgewählte Seiten und Kanäle meist für ihre eigenen Analysen archivieren. Die extreme Rechte veröffentlicht zwar auch heute noch zahlreiche Periodika und Graue Literatur, eine umfassende Analyse ihres Wirkens ist jedoch ohne die Berücksichtigung ihrer digitalen Präsenz nicht mehr denkbar.

Von dieser digitalen Leerstelle einmal abgesehen haben sich bundesweit zahlreiche Facharchive und Dokumentationsstellen dem Thema angenommen und sehen es als ihre Aufgabe an, die Geschichte und die Quellen der extremen Rechten zu dokumentieren und zugänglich zu machen. Anstatt die bestehenden Facharchive zu unterstützen und die Kompetenzen staatlicher Archive mit Blick auf die Unterlagen von Geheimdiensten auszubauen, plant die aktuelle Bundesregierung mit dem Aufbau eines Rechtsterrorismus-Archivs offenbar jedoch lieber ein eigenes Projekt. Dabei hätte die sehr heterogene Archivlandschaft durchaus Unterstützung nötig, sowohl mit Blick auf die Ressourcen, als auch auf die rechtlichen Grundlagen. Erst vor wenigen Jahren wurde mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes die Anbietungspflicht der Geheimdienste ein stückweit ausgehebelt. Im Jahr 2017 fand folgende Formulierung Eingang in das Gesetz: »Unterlagen der Nachrichtendienste sind anzubieten, wenn sie deren Verfügungsberechtigung unterliegen und zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegenstehen.« Insbesondere der zweite Punkt wurde sowohl auf parlamentarischer Ebene als auch durch Wissenschaftler*innen und Journalist*innen mitunter heftig kritisiert. Welche Gründe als zwingend erachtet werden können, obliegt demnach den Akten produzierenden Behörden selbst. Dass die Interessen der Verfassungsschutzbehörden und die originäre Zuständigkeit der staatlichen Archive für die Bewertung aller in ihren Bereich fallenden Akten mitunter schwer in Einklang zu bringen sind, hat nicht zuletzt der Umgang mit den Akten aus dem NSU-Komplex verdeutlicht. Die Frage, inwieweit dies mit einer archivischen Kontrollfunktion des Verwaltungshandelns noch vereinbar ist, drängt sich auf.

Während die staatlichen Archive für die Akten der Geheimdienste zuständig sind, lassen sich Schriften des rechtsterroristischen Milieus in den Facharchiven finden. Warum nun ein neues Rechtsterrorismus-Archiv? Kritik an den Plänen der Bundesregierung kam auch vom Verband
deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA). In einer Stellungnahme heißt es, Unterlagen sollten nicht aus dem Zusammenhang gerissen und neu zusammengestellt werden. Die gängige Archivpraxis garantiere vielmehr bereits jetzt die Überlieferung, der Aufbau einer neuen Institution sei unnötig. Tatsächlich arbeitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesarchivs derzeit an einem Konzept für den »Aufbau eines virtuellen Archivs, in dem alle verfügbaren Unterlagen aus staatlicher Hand, der zivilgesellschaftlichen Bewegungen und journalistischer Arbeit etc. im Rahmen des rechtlich Zulässigen als Digitalisate eingestellt werden.«[2] Die Planungen werfen viele Fragen auf. Inwieweit es sich »lediglich« um Behördendokumente oder auch um Primärquellen handeln soll und welche Rolle den Facharchiven dabei konkret zugedacht ist, bleibt abzuwarten.

  1.  Unter dem Begriff der Primärquelle werden hier alle Quellen subsumiert, die von extrem rechten Akteuren erarbeitet, gedruckt, hergestellt oder verfasst worden sind. Dabei handelt es sich sowohl um veröffentlichte Quellen (die mehrheitlich den Bestand der Facharchive ausmachen) als auch um interne Dokumente, Autografen oder Korrespondenz.
  2.  Vgl. Antwort auf die Mündliche Anfrage von Martina Renner auf der 65. Sitzung des Bundestages am 11.11.2022, https://dserver.bundestag.de/btp/20/20065.pdf#P.7454