Schöner Lesen ohne Nazis

Rezension: Verein für Demokratische Kultur in Berlin (VDK) e.V. & Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR): Alles nur leere Worte? Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Bibliotheken, Berlin 2023.

Von Kilian Behrens

Kultur- und Bildungseinrichtungen stehen zunehmend unter Druck. Eine aktuelle Veröffentlichung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) widmet sich dem Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Bibliotheken. Neben Analysen zu extrem rechten Netzwerken und deren Kampfbegriffen liefern die Autor*innen wichtige Tipps für die Praxis.

Zwischen August 2021 und Mai 2022 beschädigten Unbekannte mehrfach Bücher in der Zentralbibliothek des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg, die sich kritisch mit der extremen Rechten beschäftigen oder linker Theorie widmen. In den Jahren 2018/19 tauchten in Universitätsbibliotheken in Berlin und Frankfurt am Main wiederholt Flugblätter der rechtsterroristischen Atomwaffendivision auf. 2022 mauerten Identitäre nachts den Eingang der Wiener Bücherei zu, um eine Kinderbuchlesung im Rahmen des Pride Month zu stören. Diese Liste ließe sich erweitern. Doch schon der Ausschnitt zeigt: Bibliotheken sind voll und ganz angekommen im Kulturkampf von rechts. Umso erfreulicher, dass sich die MBR dem Problem annimmt und Hilfestellungen für engagierte Bibliothekar*innen formuliert.

Zum Einstieg bieten die Autor*innen einen knappen Überblick über rechte Akteur*innen und Netzwerke und deren Verständnis von Kultur. Deren Versuch, kulturelle Deutungshoheit zu erlangen, geschehe auch mittels eigener Publikationen, immer mit dem Ziel, rechte Positionen zu normalisieren und »die Grenzen dessen zu verschieben, was gelesen und gesagt werden kann«. (S. 8) Bibliotheken als Orte des Wissens und des Austausches geraten hier fast zwangsläufig in den Fokus. Dabei setzt das Spektrum maßgeblich auf Diffamierungen politischer Gegner*innen mittels Kampfbegriffen wie »Cancel Culture« oder »Genderwahn«, die leider immer stärker im politischen Mainstream ankommen. Das Kulturverständnis etwa der AfD, so fasst es die Broschüre prägnant zusammen, ist »völkisch, national und geschlossen. […] Kultur entsteht in ihren Augen gerade nicht durch Öffnung, Austausch oder auch durch Konflikt – in all dem werden nicht bereichernde Kräfte des Kulturellen gesehen, sie erscheinen der AfD im Gegenteil als defizitäre oder gar gefährliche und zersetzende Kräfte.« (S. 16)

Der zweite Teil der Veröffentlichung widmet sich den Herausforderungen, vor denen Bibliotheken in der Auseinandersetzung mit extrem rechten Kulturkämpfer*innen stehen. Hier geht es um alltägliche Fragen wie: Wie umgehen mit rechten Medien im Bestand? Müssen Bibliotheken politisch neutral sein? Und: Wer darf Räume anmieten? Auch auf der parlamentarischen Ebene versuchen extrem rechte Politiker*innen Einfluss auf die Einrichtungen zu nehmen. Zudem sehen sich diese zunehmend Angriffen sowohl im digitalen Raum als auch durch Sachbeschädigungen ausgesetzt. Diese besorgniserregenden Entwicklungen dokumentiert die Broschüre eindrücklich, bleibt hier jedoch zum Glück nicht stehen.

Konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis bestimmen den dritten und umfangreichsten Teil der 60-seitigen Broschüre. Dazu gehört neben der inhaltlichen Weiterbildung der Angestellten auch das gemeinsame Erarbeiten eines demokratischen Leitbildes. Dieses soll helfen, das eigene Selbstverständnis zu klären und nach außen zu kommunizieren. Weiterhin sei es ratsam, sich Klarheit über die wiederkehrenden, von Rechten instrumentalisierten Begriffe zu verschaffen. Denn wenn diese »den Versuch unternehmen, sich zum normalen Teil des demokratischen Spektrums zu erklären, wo sie unter Berufung auf die Meinungsfreiheit diskriminierende Positionen verbreiten und Widerspruch als ›Zensur‹ oder mangelnde Neutralität auslegen, ist es umso wichtiger, ein klares Bild davon zu haben, was unter Demokratie, Meinungsfreiheit, politischer Neutralität oder Zensur eigentlich zu verstehen ist und was diese Begriffe im Rahmen des bibliothekarischen Auftrags genau bedeuten.« (S. 30) So seien öffentliche Bibliotheken zwar zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet, keineswegs aber zu Wertneutralität oder dazu, antidemokratische Positionen unwidersprochen zu lassen.

Wichtig sei zudem ein souveräner Umgang mit der Anschaffung rechter Medien. Diese ist nicht pauschal abzulehnen, da gerade auch für die kritische Auseinandersetzung Originalquellen benötigt werden. Letztlich gelte es jedoch mit Blick auf Informationsfreiheit einerseits und der Wahrung der Menschenwürde andererseits besonnen abzuwägen, was den Weg in die Bücherregale finde und wie es dort präsentiert werde. Auf die Kontextualisierung komme es an, um extrem rechte und diskriminierende Inhalte nicht zu normalisieren. Über selbst gesetzte Schwerpunkte könnten die Institutionen auch eigene Standpunkte deutlich machen. Als Beispiel wird die Janusz-Korczak-Bibliothek in Berlin-Pankow genannt, welche ein eigenes Themenregal zu den Gebieten Rassismuskritik und Migration zusammengestellt hat.

Spannend sind neben den Empfehlungen auch die Stimmen von couragierten Bibliothekar*innen. Diese machen deutlich, dass sie an der Auseinandersetzung mit dem Thema gewachsen sind und auch zukünftig die Herausforderungen angehen werden. Diese Beispiele machen Mut und finden hoffentlich Nachahmer*innen.

Die Broschüre sei allen Freund*innen von Bibliotheken – ob sie nun dort angestellt sind oder nicht, regelmäßig Bücher ausleihen, eine Ausstellung besuchen, sich in der Cafeteria zum Quatschen treffen oder im Lesesaal für Klassenarbeiten, Klausuren oder schlicht aus Interesse lernen – wärmstens empfohlen. Es ist zu hoffen, dass die Lektüre zum Handeln motiviert. Denn: Bibliotheken sind wichtige Orte des Austausches. Sie sollten auf keinen Fall den Rechten überlassen werden.

Die Broschüre steht unter mbr-berlin.de kostenlos zum Download zur Verfügung.

Eine gekürzte Version dieser Rezension erscheint im Rundbrief des apabiz »monitor« Nr. 97.