Foto: L.A. Keuck

20 Jahre Netzwerkstellen in Ostberlin

In diesem Jahr feiern vier Netzwerkstellen im Berliner Osten ihr Jubiläum: 20 Jahre engagiert vor Ort gegen extreme Rechte und Rassismus und für eine menschenrechtsorientierte Kultur. Das nehmen wir zum Anlass einen Blick auf die Entwicklungen und Herausforderungen in diesem Arbeitsfeld zu werfen.

Von Annika Eckel (Fach- und Netzwerkstelle Licht-Blicke)

»Wollen Sie daraus nicht einen Antrag für eine Netzwerkstelle machen?«, fragte uns die Antragsberaterin Anfang 2002. »Für Pankow liegt uns noch keiner vor. Antragsfrist ist in einer Woche.« Eigentlich wollten wir, die damalige Geschäftsführerin der Pfefferwerkstadtkultur und ich, nur ein halbjährliches Erinnerungsprojekt mit Zeitzeug*innen der Gedenkstätte Sachsenhausen beantragen.

Das neue Bundesprogramm »CIVITAS-Initiative gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern« wollte mit den Netzwerkstellen ein weiteres Strukturprojekt fördern. Ein Jahr zuvor hatten die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und die Opferberatungsstellen ihre Arbeit aufgenommen. Nun sollten die Netzwerkstellen deren Arbeit um einen lokalen Fokus ergänzen. Um zivilgesellschaftliche Strukturen im Gemeinwesen zu stärken und modellhaft weiterzuentwickeln, wie es in den Leitlinien hieß. Einige Monate später gab es die Netzwerkstellen in Pankow, Lichtenberg, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und eine Zeitlang in Friedrichshain: Fünf Menschen bei fünf unterschiedlichen Trägern, mit unterschiedlichen Qualifikationen und mit dem Auftrag, »den Rechtsextremismus zurückzudrängen«.

Das damalige Bundesprogramm (von 2001 bis 2006) beschränkte sich auf die sogenannten neuen Bundesländer und damit auch auf die Ostberliner Bezirke. Man fokussierte das Problem mit extrem rechten Aktivist*innen und Strukturen auf Ostdeutschland, während Ereignisse im Westen außer Acht gelassen wurden. Im Osten fehlte laut Bundesprogramm vermeintlich eine Zivilgesellschaft, die sich für eine demokratische Kultur starkmachte. Es folgten in den kommenden 20 Jahren weitere Bundesprogramme, die sich irgendwann auch auf das ganze Bundesgebiet bezogen. Im Abschlussbericht für das Bundesprogramm CIVITAS 2006 heißt es: »Resümierend lässt sich festhalten, dass es den Strukturprojekten gelungen ist, neue Wege in der Auseinandersetzung mit dem komplexen Problemzusammenhang von fremdenfeindlichen Mentalitäten [sic!] und rechtsextremen Erscheinungen zu entwickeln und zu erproben. Insbesondere leisteten diese Projekte eine intensive Sensibilisierungsarbeit in den Kommunen.«

Die große Klammer der Bundesprogramme blieb stets: demokratisches Engagement fördern, Netzwerke aufbauen, für menschenverachtende Ideologien sensibilisieren und eine diverse Gesellschaft stärken. Menschen aus anderen Ländern, denen wir unsere Arbeit vorstellen, sind meist ganz überrascht ob der staatlichen Förderung solchen Engagements. Diese Förderstrukturen haben viel wichtige Arbeit geleistet, sei es bei den Protesten gegen extrem rechte Events, bei der Beratung von Betroffenen rechter Gewalt oder dem Empowerment gesellschaftlich marginalisierter Gruppen. Die in den Bundesprogrammen gewachsenen Projekte haben öffentliche Diskurse geprägt, kommunal, landes- und bundesweit.

Zugleich gibt es auch immer wieder Kritik auf unterschiedlichen Ebenen. So haben Wissenschaftler*innen und Fachprojekte auf die Gefahr hingewiesen, dass unterschiedliche Formen des Extremismus gleichgesetzt würden. So werde deren unterschiedliche Relevanz in Deutschland verwischt und der Blick auf den sogenannten »Rassismus der Mitte« verstellt. Engagierte aus Vereinen und Zivilgesellschaft kritisierten vor einigen Jahren, dass bei den Partnerschaften für Demokratie Mittel direkt an Kommunen gegeben werden, während diese ja selbst immer wieder das Problem mit extrem rechten Erscheinungsformen oder Rassismus abtun oder die AfD in Regierungsgremien vertreten ist.

Arbeitest du noch? Oder engagierst du dich schon?

Problematisiert wurden von den Projektträgern und Mitarbeitenden im Laufe der Jahre wiederholt die Arbeitsbedingungen. Vor allem zu Beginn der Bundesprogramme gab es jeweils nur eine jährliche Förderzusage und die Gelder kamen eher im März als im Januar. Das bedeutete, dass die Träger – nicht nur der Netzwerkstellen – Gehälter vorstrecken mussten. Konnten sie das nicht, mussten die Mitarbeitenden sich zumindest für die ersten Monate des Jahres arbeitslos melden. Es gibt keine tarifliche Festlegung für die Mitarbeitenden der Netzwerk- oder Koordinierungsstellen – immer wieder müssen Träger um die Einstufung ihrer langjährigen Mitarbeiter*innen ringen.

In der Auswertung des CIVITAS-Programms wird eine »Überpolitisierung« der Mitarbeitenden in den Strukturprojekten kritisiert. Gemeint ist eine Vermischung von persönlichem Engagement mit »berufsbezogenen Aufträgen«. Wenn wir ehrlich sind, würden die Bundesprogramme ohne dieses Engagement gar nicht funktionieren – weder damals noch heute: Zivilgesellschaftliche Bündnisse treffen sich eben meist nach Feierabend und Nazis protestieren gerne am Wochenende. Und die Unterstützung nach einem rassistischen Angriff braucht es zeitnah und nicht nur zu Bürozeiten. Dass Mitarbeitende auch mal einen Monat auf das Gehalt warten, sich abendlich weiterbilden zu anti-schwarzem Rassismus oder den Strukturen der lokalen Naziszene, gehört quasi zum Berufsbild dazu. Sicherlich braucht es klare Rollen der Mitarbeitenden – wie in allen Arbeitsfeldern. Es braucht aber eben auch Menschen, die selbst eine stabile Haltung haben und deswegen mit menschverachtendem Gegenwind und rechten Einschüchterungsversuchen ihren Umgang finden. Ohne das hohe persönliche, politische Engagement ist diese fachliche Arbeit nicht zu haben.

20 Jahre Netzwerkstellen – eine Erfolgsgeschichte?

Die Netzwerkstellen entstanden 2002 nicht im luftleeren Raum. Es gab lokale Strukturen in den »Kämpfen gegen Rechts«, wie Initiativen, antifaschistische Gruppen, Kirchen, Migrant*innenorganisationen, Einzelpersonen, Jugendzentren und viele mehr, an deren Wissen sowie Erfahrungen angeknüpft werden konnte. Mit Hilfe der Ressourcen der Netzwerkstellen konnte vielerorts Engagement gebündelt, weiterentwickelt und professionalisiert werden.

Extrem rechte Vorfälle sichtbar machen

In Pankow entstanden aus ihnen heraus 2005 die Berliner Registerstellen, die diskriminierende und extrem rechte Vorfälle dokumentieren und mittlerweile in allen Berliner Bezirken arbeiten. Um das Problem Rechtsextremismus zu beschreiben, wurden zu Beginn der 2000er Jahre lediglich Kriminalstatistiken und Verfassungsschutzberichte herangezogen. Das führte dazu, dass die Schilderungen von Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt sowie von Engagierten vor Ort mit den Argumenten weggewischt wurden, es gebe so gut wie keine Anzeigen, es handele sich um durchreisende Straftäter oder in dem Stadtteil gebe es gar keine rechte Kameradschaft. Dass extrem rechte Plakate und Schmierereien, das Abfotografieren von Bündnissitzungen durch Nazis oder rassistische Pöbeleien wesentlich das Klima im Kiez prägen, auch wenn sie meist nicht angezeigt werden, musste sichtbar gemacht und dokumentiert werden. Aus engagierten Akteur*innen vor Ort entstand eine Struktur, die heute gemeinsam mit berlinweiten Fachprojekten (RIAS, ReachOut, Amaro Foro, EOTO etc.) bis in die Kieze hinein die Problemlage mit menschverachtenden Erscheinungsformen in Berlin professionell und zuverlässig beschreiben kann.

In den Kiezen, auf der kommunalen Ebene, finden nach wie vor die wesentlichen Auseinandersetzungen mit der extremen Rechten und menschenverachtenden Einstellungen statt. Das ist in Ostberlin nicht anders als in Schwerin oder Dortmund-Dorstfeld. Diese kommunale Auseinandersetzung ist so wichtig, weil gerade hier Räume für progressive, menschenrechtsorientierte Entwicklungen entstehen oder verteidigt werden. Die Kehrseite davon sind Bedrohungen, Angriffe und Einschüchterungsversuche durch rechte Akteure die heute sichtbarer gemacht werden können als vor 20 Jahren. Aber sie sind auch nach wie vor Alltag für die Kolleg*innen in den Netzwerkstellen sowie Engagierte vor Ort. Die Aktionsformen gehen von Sachbeschädigungen wie verklebten Türschlössern oder Hakenkreuzen am interkulturellen Treff bis hin zu körperlichen Angriffen von rechten Aktivist*innen gegen Veranstaltungen oder Stadtteilfeste. Die stets präsente Möglichkeit einer solchen Bedrohung findet Eingang in den (Arbeits-)Alltag der Menschen, wenn beispielsweise nach Bündnissitzungen organisiert wird, wie alle sicher nach Hause kommen oder wenn Kolleg*innen sich auf rechten Feindeslisten wiederfinden und sich fragen müssen, wie sie sich und ihr Lebensumfeld gegen Gewalt schützen können.

2006 zog die NPD in die Bezirksverordnetenversammlungen in Ostberlin ein und erweiterte ihr Bedrohungsszenario von der Straße um die parlamentarische Ebene. Inzwischen versucht die AfD beständig unsere Arbeit zu diskreditieren, u.a. weil wir als staatlich geförderte Projekte unsere Neutralitätspflicht verletzen würden, wenn wir auf Webseiten schreiben, dass wir »Rechtsextremismus etwas entgegensetzen«. Träger und Mitarbeitende werden in BVV-Redebeiträgen sowie Anfragen im Abgeordnetenhaus als vermeintliche »Linksaktivisten« diffamiert. Oder es werden Unterlassungsaufforderungen verschickt, weil in Publikationen Äußerungen der Partei als rassistisch oder extrem rechts markiert werden.

Kundgebung gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus am Bahnhof Lichtenberg. | Foto: Licht-Blicke.

Rechten die Räume nehmen

Durch die Zusammenarbeit von Netzwerkstellen mit lokalen Bündnissen entstanden zahlreiche Aktionen mit dem Ziel, den öffentlichen Raum demokratisch zu besetzen. So findet in diesem Jahr zum 17. Mal das Fest für Demokratie am S-Bahnhof Schöneweide statt sowie zum 14. Mal das »Schöner leben ohne Nazis«-Festival in Hellersdorf. In ihrem Ursprung sind dies mitnichten nur nette Stadtteilfeste, sondern der Versuch, Angsträume zumindest für einen Tag zurückzudrängen. Bis heute sind sie wesentliche Identifikationspunkte und Netzwerktreffen für die Akteur*innen vor Ort.

Wie sehr dieses Engagement einen langen Atem braucht, zeigt die Auseinandersetzung mit extrem rechter Infrastruktur, seien es Kneipen, Vereinsräume oder Geschäfte. Durch zivilgesellschaftlichen Protest konnten Kneipen wie der »Henker« in Schöneweide oder die »Thor Steinar«-Läden in Friedrichshain, Pankow oder Mitte nicht unwidersprochen ihren Geschäften nachgehen oder als berlinweite Neonazi-Treffpunkte fungieren. Als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung haben die Netzwerkstellen, oft gemeinsam mit der MBR Berlin, den Druck auf extrem rechte Infrastruktur auf mehreren Ebenen erhöht. Es macht eben einen Unterschied, ob die Bezirksbürgermeisterin den Vermieter bei seiner Klage gegen den extrem rechten Verein unterstützt oder nicht.

Mit Blick zurück nach vorn

Über Jahre stand die Auseinandersetzung mit extrem rechten Akteuren im Fokus der Netzwerkstellenarbeit in Ostberlin. Die Diskurse und Auseinandersetzungslinien, an denen eine diverse »Gesellschaft der Vielen« gegen reaktionäre oder rechte Bestrebungen in Stellung gebracht werden muss, haben sich verschoben in den letzten 20 Jahren. Die Netzwerkstellen haben große gesellschaftspolitische Aushandlungsprozesse auf die lokale Ebene übersetzt und vorangebracht. Das ist ihre Stärke, auch wenn sie dabei immer im Spannungsfeld zwischen politischem Akteur und fachlicher Begleitung lokaler Strukturen stehen.

Durch die lokale Verankerung sowie die Kontinuität der Arbeit – im Netzwerk, zusammen mit vielen – haben sie vertrauensvolle Strukturen geschaffen, die es ermöglichen, Missstände zu benennen und Menschen zu empowern sich gegen menschenverachtende Erscheinungen in ihrem Lebensumfeld stark zu machen. Die Netzwerkstellen hatten und haben einen wesentlichen Anteil daran, wenn Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung ineinandergreifen. Wenn Verwaltung antifaschistisches Engagement wertschätzt und Politik das Wissen von Betroffenen rechter Gewalt ernst nimmt, dann können demokratische Handlungsstrategien und Räume entstehen mit denen auch die Auseinandersetzung mit extrem rechter Infrastruktur gelingen kann. Diese lokalen Netzwerke lösen nicht alles. Sie sind aber ein wichtiges Fundament und die Basis zur Aushandlung aktueller Diskurse um Weißsein und Rassismus oder den Forderungen nach Gleichberechtigung vieler gesellschaftlicher Gruppen. Es wird auch in den nächsten Jahren noch viel zu Netzwerken geben.