Foto: Vera Henßler / apabiz

Neutral bekommt ihr nicht

Initiativen widersprechen rechten Diskursstrategien

Mit dem Vorwurf, sich nicht »neutral genug« zu verhalten, zieht die Alternative für Deutschland immer häufiger gegen Projekte in Berlin und anderswo zu Felde. Unsere Gastautorin plädiert für mehr klare Haltung und deutlichere Unterstützung der angegriffenen Projekte.

Von Annika Eckel (Fach- und Netzwerkstelle Licht-Blicke)

In unserem Land ist kein Platz für Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Homophobie, Diskriminierung und Intoleranz. Ihnen treten wir klar und entschieden entgegen – mit Worten und Taten.« So lautet ein Auszug aus einer Resolution der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Berlin-Mitte, mit der im Oktober 2018 die Menschen aufgerufen wurden, zur #unteilbar-Demonstration zu gehen. Nun soll diese Erklärung rechtlich ungültig sein. Auf eine Beschwerde der AfD hin befand das bezirkliche Rechtsamt Anfang 2019, die Erklärung verstoße gegen das Bezirksverwaltungsgesetz, wonach sich die BVV nicht zu allgemeinen politischen Themen äußern dürfe. Dass Rassismus, Antisemitismus etc. keine »Sachverhalte mit Bezirksbezug« seien, irritiert nicht nur Bezirksverordnete in Mitte.

Deutlich wird an dem Vorgang eine wesentliche Strategie der AfD: Vorschriften oder Verordnungen werden äußerst restriktiv interpretiert oder im eigenen Sinne ausgelegt, das politische Mandat wird mit dem Ziel benutzt, politische Gegner*innen mundtot zu machen und die alleinige Definitionsmacht über Begriffe wie Neutralität, Demokratie oder ‚Volkswille‘ zu erlangen.

Dass demokratische Abläufe rechtlich geregelt sind und dass man sich auf diese Regeln beruft, ist selbstverständlich. Problematisch ist aber das rechtspopulistische Demokratieverständnis, das dahinter steckt. Grob vereinfacht steht die Demokratie auf zwei Säulen: Die der Volkssouveränität oder Volksherrschaft und der Verfassungssäule. Letztere schränkt die Herrschaft des Volkes zugunsten von Minderheitenschutz und Pluralismus ein – der Kern einer demokratischen Kultur. Indem Rechtspopulist*innen europaweit nur die Säule der unbedingten Volksherrschaft adressieren, sind sie bereits im Wesen ausgrenzend und antipluralistisch.

Andere Rahmen für das Handeln staatlicher und nicht-staatlicher Akteure in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen werden beispielsweise gesetzt durch den Beutelsbacher Konsens, durch das Indoktrinationsverbot an Schulen, die Berufsethik für Soziale Arbeit oder die Chancengleichheit der Parteien. Zugleich wird damit ein klarer Auftrag vermittelt. So legt das Berliner Schulgesetz in §3 Abs. 3 fest, »Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen durch die Entwicklung von interkultureller Kompetenz beizutragen und für das Lebensrecht und die Würde aller Menschen einzutreten«. Etwas spezifischer formulieren es die Leitlinien des Bundesprogramms »Demokratie leben!«, aus dem einige Projekte, die aktuell von der AfD angegriffen werden, finanziert werden: »Vereine, Projekte und Initiativen werden unterstützt, die (…) insbesondere gegen Rechtsextremismus und Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie z.B. Rassismus und Antisemitismus arbeiten.« Die Projekte sollen »eine wirksame Arbeit gegen [eine] demokratiegefährdende gesellschaftliche Entwicklung« leisten. Dass dazu eben auch gehört, auf rassistische, geschichtsrevisionistische und antimuslimische Weltbilder in Parteien hinzuweisen, passt der AfD wiederum überhaupt nicht.

Demokratisch bedeutet nicht neutral

Das Neutralitätsgebot legt die Pflicht der Staatsorgane und ihrer Vertreter*innen zur parteipolitischen Neutralität fest. Regierungsmitgliedern und Minister*innen ist es beispielsweise verwehrt, im Vorfeld von Wahlen in ihrer amtlichen Funktion für eine bestimmte Partei einzutreten. Der Wettbewerb der Parteien soll nicht aus einer so machtvollen Position heraus beeinflusst werden. Diese Neutralitätspflicht versucht die AfD jedoch auf zahlreiche gesellschaftliche Bereiche wie Schulen, staatliche geförderte Projekte oder Theater auszudehnen. In einem BVV-Antrag der AfD in Lichtenberg im November 2017 wird gefordert, der Fach- und Netzwerkstelle Licht-Blicke die Koordination des bezirklichen Runden Tisches für politische Bildung wieder abzunehmen und stattdessen eine »unabhängige neutrale Institution« auszuwählen. Begründet wird der Antrag damit, dass das Team von Licht-Blicke »deutlich erkennen [lasse, A.E.], welcher politischen Couleur es angehört.« Den Hinweis auf das Ziel des Projektes, »extrem rechten und rassistischen Erscheinungsformen entgegen zu treten«, deutet die AfD dahingehend, dass der politische Ansatz nicht neutral sei.[1]

Die AfD sieht sich scheinbar im Wettbewerb der Parteien benachteiligt, wenn antifaschistische und antirassistische Projekte oder Lehrer*innen gegen ihre Inhalte argumentieren. Die Neutralitätspflicht wird dahingehend interpretiert als beinhalte sie einen Verzicht auf eigene Werte und Stellungnahmen. Demokratische Diskurse sind aber ohne persönliche Haltungen, ohne Kontroverse nicht denkbar. Das Grundgesetz spricht sich, im Sinne eines Gegenentwurfs zum Nationalsozialismus, für eine streitbare Demokratie aus. Neben dem freien Meinungsaustausch leitet sich daraus auch eine Pflicht ab, für den Erhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzutreten sowie extrem rechten und rassistischen Umtrieben entgegen zu treten. Bürger*innen, egal wo sie angestellt sind, müssen rechtspopulistischen und diskriminierenden Bestrebungen also nicht tatenlos zusehen.

Demokratische Diskurse sind aber ohne persönliche Haltungen, ohne Kontroverse nicht denkbar.

Perfide ist, dass die AfD bei ihrem Verständnis der Neutralitätspflicht die Begriffe neutral und demokratisch gleichsetzt. Wer sich nicht neutral verhalte und alle Parteien und ihre Inhalte gleichermaßen zulasse, sei antidemokratisch. Das führt zu Verunsicherungen bis auf die lokalen Ebenen der Gesellschaft. Ist der Stadtteilverein antidemokratisch, wenn die AfD auf seinem Fest keinen Stand machen darf? Ist es das Jugendforum, wenn es keine Vertreter*in der AfD auf das Podium setzt? Nein, das sind sie nicht. Sie haben alles Recht dazu, diesen Leuten und ihren menschenverachtenden Inhalten kein Podium zu geben. Und die meisten tun das auch mit inhaltlich guten Stellungnahmen. Nach mehreren Diskussionsrunden schrieb beispielsweise das Berliner Jugendforum 2018, warum es die AfD nicht einlädt: »Diese Erfahrung von Demokratie ist nur in geschützten Räumen möglich, in denen die demokratische Werteordnung uneingeschränkt gilt. Anderenfalls ist es für die Community und die Veranstalterin des #jufo18 (…) nicht möglich eigenverantwortliches Handeln im Rahmen der Grundwerte und Grundrechte zu vermitteln.« Wohl wissend, wie die Reaktion der AfD ausfallen wird, heißt es weiter: »Es ist absehbar, dass sich Vertreter*innen der AfD als Opfer inszenieren werden, um den Mythos der Diskriminierten aufrechtzuhalten. Dieses Vorgehen lässt am Interesse eines inhaltlichen Austausches zweifeln.«

Einen Ausschluss inhaltlich zu begründen ist eine Selbstverständlichkeit in demokratischen Diskursen. Der Wind hat sich aber gedreht: Rechtfertigen müssen sich immer seltener die Akteure, die mit ihren geschichtsrevisionistischen oder rassistischen Inhalten selbst das demokratische Spielfeld verlassen, sondern jene, die sich im Sinne einer menschenrechtsorientierten Kultur auf die Grenzen berufen. Viele Initiativen mussten in letzter Zeit die Erfahrung machen, dass es mal einen Shitstorm auf facebook hagelt, mal die AfD eine Anfrage zur Finanzierung des Vereins in der BVV stellt inklusive einer Diffamierung als vermeintlich »linksextrem« oder weitere Einschüchterungsversuche folgen. Diesem Erklärungsdruck gerade auch in der Öffentlichkeit standzuhalten fällt kleinen Trägern oder Initiativen nicht leicht. Erst recht, wenn man die eigene wertvolle Arbeit dabei nicht aus dem Blick verlieren will. Die AfD hat in Berlin auf Landes- und Bezirksebene in der letzten Zeit immer wieder Projekte wie die Berliner Register, das apabiz, die MBR Berlin oder den Jugendclub JUP in Pankow ins Visier genommen und Anfragen zu Mitarbeiter*innen, Finanzierungs- oder Arbeitsweisen gestellt. Die betroffenen Träger haben diese Strategie richtig verstanden. Sie sehen darin »nicht die Forderung nach Transparenz. Vielmehr stellt sie den Versuch dar, unsere Arbeit zu delegitimieren.« Sie schreiben in ihrer Berliner Erklärung dazu: »Mit Sorge schauen wir auf die Diskursverschiebung nach rechts: Die Grenzen des Sagbaren im öffentlichen Raum haben sich verschoben und gesellschaftliche Fragestellungen werden unter den Bedingungen rechtspopulistischer Stichwortgeber*innen verhandelt.« Welche diskursiven Folgen das bereits hat, wird nicht zuletzt deutlich, wenn in Fortbildungen die Frage aufkommt, wie man denn gegen die AfD argumentieren könne ohne in den Verdacht zu geraten links zu sein?

Rechter Kulturkampf

Die Debatte um die Neutralitätspflicht ist eine von vielen Diskursstrategien rechter Akteure. Sie verbindet sich nahezu fließend mit jenen um Meinungsfreiheit und einer behaupteten linken Hegemonie der Political Correctness (PC). Diese Diskursstrategien sind nicht neu. Dass sie funktionieren, liegt nicht nur am vermeintlich strategischen Können der Rechten, sondern an der politischen Normalisierung von völkischem Denken, Leitkultur und Heimatliebe in Deutschland. Nur mit dieser lässt sich erklären, warum einige glauben, die »Rückgewinnung« von AfD-Wähler*innen gelänge durch die Übernahme von nationalistischen, rassistischen und sexistischen Inhalten. Die Reproduktion des ausschließenden Leitkulturgedankens scheint näher zu liegen als die Erarbeitung von politischen Konzepten, die der Vielfalt der Gesellschaft gerecht werden. Wenn Politiker*innen und zivilgesellschaftliche Akteure der rechtspopulistischen Stimmungsmache nicht mit einem deutlich progressiven Gegenentwurf begegnen, wird der durch rechte Tabubrüche erkämpfte Diskursraum immer als Einladung verstanden werden: Kommt mit euren (extrem) rechten Weltbildern in unsere Mitte.
Für die Rechten waren Diskussionen um eine politisch korrekte Sprache, die Repräsentanz von gesellschaftlichen Minderheiten und die Rechte von Frauen oder LGBTIQ*-Menschen schon immer Angriffspunkte auf die Demokratie. Ihre Argumentation verbinden sie mit einer bestimmten Auffassung von Meinungsfreiheit. So dürfe man angeblich bestimmte Dinge wegen der »PC-Diktatur« nicht mehr äußern. Darauf aufbauend werden dann faktenfreie Emotionen von der ewig unterdrückten weißen Mehrheit geschürt. Exemplarisch ist die Adventskampagne der Berliner AfD #JaZuWeißenMännern mit kurzen Porträts weißer Männer. Man wolle, so der Berliner AfD-Vorsitzende Georg Pazderski, damit »einer längst aus den Fugen geratenen Genderkampagne«, aber vor allem der »bei Grünen und Linken grassierende[n] Diskriminierung von weißen Männern«[2] etwas entgegensetzen. Der Resonanzraum für diese Inszenierung als bedrohte Mehrheit ist in den letzten Jahren in Europa stetig gestiegen.

Es geht auf der einen Seite um nichts weniger als um einen Kulturkampf, um einen Angriff auf die diverse Gesellschaft. Auf der anderen Seite brauchen wir aber einen realistischen Blick darauf, was eigentlich das wirkliche Potential der Rechten ist. In diesem Spannungsverhältnis geht es um die Frage von adäquaten und wirksamen Gegenstrategien, um Solidarität und die Definition demokratischer Werte im Alltag.

Stabil bleiben

Versteht man die Debatte um das Neutralitätsgebot als einen Teil rechtspopulistischer Diskursstrategien, wird klar, dass man sie nicht mit Rechtsgutachten oder juristischen Auseinandersetzungen (allein) wird gewinnen können. Die bisherigen Rechtsgutachten verweisen darauf, dass aus einer staatlichen Finanzierung von Projekten und Vereinen nicht unmittelbar eine Neutralitätspflicht für diese abgeleitet werden kann. Auch stünden Träger, die staatlich finanzierte Projekt durchführen, eben nicht im Wettbewerb mit anderen Parteien, weswegen eine dogmatische Konstruktion der Neutralitätspflicht immer abzuwägen sei mit dem Recht auf Meinungsfreiheit und der Frage, ob die Projekte überhaupt in der Lage seien in den Wettstreit der Parteien erheblich einzugreifen. Jeder Einzelfall müsse geprüft werden. Aufgrund der Förderleitlinien und des Selbstverständnisses haben gerade Projekte im Bereich der Demokratieentwicklung, der Antirassismusarbeit und der Rechtsextremismusprävention die Pflicht nicht neutral zu sein, sondern grundgesetzwidrige und demokratiegefährdende Entwicklungen anzusprechen. Dieser prüfende Blick richtet sich mitnichten nur auf die AfD. Die politische Bildungsarbeit und das antifaschistische Engagement dieser Projekte fokussiert sich seit vielen Jahren auf alle Orte in gesellschaftlichen Diskursen und Räumen, wo Menschen, zum Teil gewalttätig, Gleichwertigkeit abgesprochen wird. Der Schutz vor Rassismus und der Erhalt von demokratischen Standards sollte keine Frage der politischen Haltung sein, sondern eine Selbstverständlichkeit für Engagierte aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung. Für Akteur*innen aus den letzten beiden Bereichen muss das auch heißen, den Projekten und NGOs, die sie seit Jahren genau in diesem Sinne fördern, unermüdlich den Rücken zu stärken. Die gewachsene Landschaft von staatlich geförderten und antifaschistischen oder antirassistischen Projekten muss gerade jetzt gestärkt werden.