Rechte Richter

Rezension: Joachim Wagner: Rechte Richter. AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat? Berliner Wissenschafts-Verlag 2021, 194 Seiten, 29 Euro.

Von Thomas Jung (Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. – RAV)

Sind »rechte Richter«, Schöff*innen und Staatsanwält*innen eine Gefahr? Für den Rechtsstaat? Der Journalist und Jurist Joachim Wagner hat in seinem aktuellen Buch »Rechte Richter« diese Fragen aufgeworfen, umfangreiche Fakten dazu gesammelt und Antworten angeboten. Zunächst die Fakten: Wagner trägt zusammen, was man zu Berufsrichter*innen, die Mitglieder der AfD sind, aber auch zu Anhänger*innen rechter Strömungen wie den »Reichsbürgern« oder »Querdenken« nahestehenden Berufs- und Laienrichter*innen wissen sollte. In allen Bereichen, bis hin in die Verfassungsgerichte der Bundesländer, findet er rassistische, antisemitische, fremdenfeindliche oder rechtsextremistische Richter*innen und Staatsanwält*innen. Sehr ausführlich werden von ihm die Einzelfälle dargestellt. So penibel und detailliert, dass die Lektüre oft ermüdend wirkt. Nichts davon ist wirklich neu oder bislang unbekannt gewesen. Dennoch ist die umfangreiche Faktensammlung als Initialzündung für eine rechtspolitische Diskussion geeignet.

Bis zum Erstarken der AfD habe es – fußend auf dem deutschen Richtergesetz – ein Bild des »politischen Richters« gegeben, der politisch interessiert und aktiv sein könne, und der sich der (rechts-)politischen Bedeutung seiner Entscheidung bewusst sei, diese aber davon nicht beeinflussen lasse. Wagner bezeichnet dieses Richterbild als einen ungeschriebenen Verhaltenskodex. Richtiger wäre wohl die Benennung als »Schimäre«. Der »politische Richter« war schon immer auch ein existierendes Trugbild. Die AfD habe diesen Kodex des Richtergesetzes tatsächlich aufgekündigt und vor Gericht sowie außergerichtlich gegen ihn verstoßen. Das wird man kaum bezweifeln können. Gewissermaßen innerhalb des Justizsystems fordert Wagner gegen rechte Richter*innen: mehr Gebrauchmachen von Vorschriften. Bei Laienrichter*innen plädiert er für die Anwendung eines Paragrafen, der in fast allen Bundesländern bislang nur für Berufsrichter*innen gilt. Diese müssten »die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes« einzutreten. Bei den Berufsrichter*innen und Staatsanwält*innen müsse die Dienstaufsicht gestärkt werden und häufiger einschreiten (so am Beispiel der unsäglichen Familienrichter aus Weimar und Weilheim, die sich als Coronaleugner gezeigt hätten und mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten der Kindeswohlgefährdung die Maskenpflicht an Schulen generell untersagen wollten). Wagner berichtet aber auch, dass gegen einen der Amtsrichter sowohl ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Rechtsbeugung eingeleitet als auch ein Disziplinarverfahren zu erwarten sei.

Der Heilsbringer in Wagners politischer Welt soll jedoch der Verfassungsschutz sein, eine Behörde von berechtigt zweifelhaftem Ruf. Im Auswahlverfahren bei Bewerber*innen für die Justiz sei eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz angezeigt. Dass dies eine historische Nähe zum Radikalenerlass aus dem Jahr 1972 bedeutet, hält Wagner für hinnehmbar. Damals traf dieser Erlass die demokratische Linke in besonderer Weise. Den darin liegenden erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht erkennt er nicht einmal. Es mutet schon sehr naiv an, sich von einem Geheimdienst Lösungen für eine gesellschaftliche Problematik zu erhoffen. Aber Wagner hat – trotz seines durchaus glaubhaften Engagements gegen rechte Richter*innen – ein autoritatives Justizverständnis. So erklärt er die Angehörigen der Justiz vielfach pauschal als »Justizdiener«, was in einer demokratischen Gesellschaft begrifflich nur schwer erträglich ist. Und obwohl er die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft, sich gegen rechte Richter*innen und Staatsanwält*innen zu wehren, in dem Buch durchaus erwähnt, zieht er daraus nicht die möglichen Schlussfolgerungen. Beschrieben wird der Fall des AfD-Bundestagsabgeordneten und Staatsanwalts Thomas Seitz, der schließlich nach einer Initiative von 22 Freiburger Staatsanwält*innen wegen Äußerungen wie Flüchtlinge seien »Invasoren« und die Dritte Gewalt sei eine »Gesinnungsjustiz«, durch das Richterdienstgericht beim OLG Stuttgart aus dem Dienst entfernt wurde. Mehr Zivilgesellschaft statt mehr Geheimdienst wäre weniger obrigkeitsstaatliches Denken. Wenn aus der Gesellschaft gegen die »rechten Richter« kein Widerstand kommt, ist der Kampf bereits verloren. Die Justiz allein wird ihn nicht führen. Auch wenn man gern liest, dass die AfD-nahen Richter*innen oft in der Kantine isoliert würden.

 

Thomas Jung ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Notar bis Ende 2019: Er war Gründungsmitglied im RAV und ist dort aktuell noch im erweiterten Vorstand tätig.