Wenig gelernt. Nazi-Aussteiger in der Schule

Rezension: Antja Gansewig, Maria Walsh: Biografiebasierte Maßnahmen in der schulischen Präventions- und Bildungsarbeit. Eine empirische Betrachtung des Einsatzes von Aussteigern aus extremistischen Szenen unter besonderer Berücksichtigung ehemaliger Rechtsextremer, Nomos, Baden-Baden 2019, 474 Seiten, 98 Euro.

von Nico Schlüter

Mit dieser Publikation stellen die Autor*innen Gansewig und Walsh die Ergebnisse ihrer Studie über den Einsatz und die Wirkung von ehemaligen Neonazis in der schulischen Rechtsextremismusprävention vor. Die Durchführung erfolgte am Nationalen Zentrum für Kriminalprävention (NZK). Eine der beiden Autorinnen war zunächst im schleswig-holsteinischen Innenministerium beschäftigt, nach der Initiierung der Studie wechselte sie an das NZK.

Ausgehend von dem offensichtlichen Forschungsdesiderat, demzufolge der Einsatz von ehemaligen Neonazis in der schulischen Präventionsarbeit unzureichend beforscht ist, will die Evaluationsstudie zu einer empirisch fundierten Bestandsaufnahme gelangen. Ihre Erkenntnisse sollen nach Wunsch der Autorinnen zu einem reflektierten Umgang mit ehemaligen Neonazis in der schulischen Präventionsarbeit beitragen.

Für ihre Prozess-Wirkungsanalyse greifen die Autorinnen auf breites empirisches Material zurück. Neben einer Medienanalyse führen sie Expert*inneninterviews mit Mitarbeiter*innen verschiedenster Ausstiegsprojekte durch. Das Kernstück der Wirkungsanalyse bilden Teilnehmende Beobachtungen von eintägigen Schulveranstaltungen eines Ex-Nazis. Auch wenn er nicht explizit benannt wird, lässt die regionale Verortung in Schleswig-Holstein schnell erahnen, welche Person hier in ihrer neuen Selbstständigkeit begleitet wurde.

Im direkten Anschluss an die jeweiligen Veranstaltungen sind mithilfe eines Fragebogens die beteiligten Lehrkräfte und die Schüler*innen (über 450) befragt worden, Letztere nach sechs Monaten erneut. Im Hinblick auf das Hauptanliegen der Forschung, welche andauernde Wirkung die Veranstaltungen dieser ehemaligen Neonazis auf die Schüler*innen haben, lässt sich das Ergebnis kurz und knapp formulieren: Keine. Weder ließen sich signifikante Unterschiede auf der Einstellungsebene, noch ein messbarer Einfluss auf die Gewaltorientierung der Schüler*innen feststellen.

Über diese Erkenntnis hinaus bleiben einige Aspekte im Vorgehen, die an dieser Stelle kritisch besprochen werden sollen: Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass der Referent in seiner Person von den Schüler*innen sehr positiv bewertet wird. Gleichwohl verlagert sich das Auseinandersetzungsinteresse auf eben diesen persönlichen Bereich. Es wurden mehr als doppelt so häufig Fragen zum Lifestyle des Referenten wie zu seiner Hinwendung und Distanzierung von der extremen Rechten gestellt. In der Abfrage der Schüler*innen über ihre Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Anschluss an den Workshop zeigten viele eine Übernahme der entpolitisierenden Deutungsmuster des Referenten.

Die positive Wahrnehmung von ihm kommt vermutlich auch durch seine gewollt jugendkulturelle Selbstinszenierung zustande. Problematisch wird es, wenn Gansewig und Walsh Ausdrücke wie »Perle und Zi*« als »Jugendsprache« einordnen, statt sie in ihrem diskriminierenden Gehalt wahrzunehmen. Ein Hinterfragen, was es mit Jugendlichen macht, wenn Personen mit einem Lehrauftrag sich so äußern, bleibt aus. Und auch die Auseinandersetzung mit der potentiellen Betroffenheit von Schüler*innen durch rechte Gewalt und die Gefahr der Retraumatisierung wird zwar benannt, kann jedoch alleine durch einen Fragebogen nicht wirklich untersucht werden.

Dem Referenten indes scheint die Studie genutzt zu haben. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden folgt ihm anschließend auf einem seiner Social-Media-Kanäle. Seine dortige Selbstinszenierung bietet keine Hinweise auf kritische Reflexion der Studienergebnisse.

Problematisch ist wiederum der Umgang der Autor*innen mit Kritik an der geplanten Durchführung ihrer Studie, die im Vorfeld insbesondere von regional tätigen Fachkräften der Rechtsextremismusprävention geäußert wurde und die von Gansewig und Walsh als Wissenschaftsfeindlichkeit abgewehrt wurde. Und auch wenn ihre Hervorhebung der Bedeutung von Resozialisierung sicher ihre Berechtigung hat, so bleibt mindestens fraglich, ob Schule und damit jugendliche Teilnehmende wirklich einen geeigneten Ort dafür darstellen.

Der globalen Schlussfolgerungen der Autorinnen, dass es für eine optimistische Sicht auf solche Veranstaltungen keine Veranlassung gäbe, ist zuzustimmen. Ebenso der daran anschließenden Notwendigkeit einer Sensibilisierung von pädagogischen und politischen Akteur*innen für solcherart Bildungsveranstaltungen. Gleichwohl schafft es die Studie nur sehr begrenzt, hier neue Argumentationen empirisch hervorzubringen, die die bisherige Diskussion nachhaltig bereichern können.