Medienschau: »Berliner Zustände 2019« erschienen

Ende Juni veröffentlichten das apabiz und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) die neue Ausgabe des gemeinsam herausgegebenen Schattenberichts über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus »Berliner Zustände«. Verschiedene Medien berichteten in den vergangenen Wochen über die Publikation.

Im Schatten des rechten Terrors

Der Bericht »Berliner Zustände 2019« thematisiert rechtsextreme Straf- und Gewalttaten des vergangenen Jahres. Dabei steht besonders die mangelnde Aufarbeitung durch Polizei und Behörden im Fokus.

390 extrem rechte, rassistische oder antisemitische Angriffe hat es in Berlin im Jahr 2019 gegeben. Das ist ein Anstieg um 81 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahlen wurden von der Berliner Beratungsstelle »Reachout« erhoben und sind dokumentiert in »Berliner Zustände 2019«, einem sogenannten Schattenbericht über rechts­extreme Übergriffe in Berlin, den das Antifaschistische Pressearchiv und ­Bildungszentrum Berlin (Apabiz) und die Mobile Beratung gegen Rechtsext­remismus Berlin (MBR) herausgeben.

Ein Bezirk, in dem extrem rechte Straftaten zu einem immer größeren Problem werden, ist Berlin-Neukölln. Nach Angaben des Berliner Innensenators Andreas Geisel (SPD) wurden im vergangenen Jahr 153 solcher Fälle ­registriert. Neben Gewalttaten gehören dazu auch rassistische Sprüche, Bedrohungen und die Veröffentlichung von Feindeslisten. Im Vorwort des Schattenberichts schreibt die Journalistin Malene Gürgen von einem »Klima der Angst«, das unter Anwohnerinnen und Anwohnern wegen einer rechten Anschlagsserie herrsche. Mitverantwortlich dafür sei auch die mangelhafte Aufklärungsarbeit der Berliner Polizei. So dauerte beispielsweise die Auswertung einer Festplatte des Hauptverdächtigen etwa zwei Jahre. Dabei sei die Festplatte, anders als zunächst von der Polizei behauptet, nicht verschlüsselt gewesen.

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Die Verfasserinnen und Verfasser des Berichts betonen die steigende ­Gefahr durch Rechtsextremismus und kritisieren, dass Politiker sich nach rechtsextremen Gewalttaten immer wieder aufs Neue überrascht geben – sei es nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, nach dem Mord an Walter Lübcke oder nach dem Attentat in Hanau im Februar 2020: »Rechter Terror ist seit jeher festes Element der gewaltvollen Politik der extremen Rechten und damit auch Bestandteil der politischen Realität der Bundes­republik«, so Kilian Behrens vom Apabiz.

Mehr: Jungle World 2020/30


»Jagd auf Juden«

In einigen Bereichen ist die Zahl antisemitischer Vorfälle im vergangenen Jahr gesunken, doch eine grundsätzliche Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht.

Der Hass auf Jüdinnen und Juden bleibt auf einem hohen Niveau. Wie die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) mitteilte, gab es im vergangenen Jahr allein in Berlin 881 antisemitische Vorfälle. Darunter waren 33 Angriffe, 38 gezielte Sach­beschädigungen und 59 Bedrohungen. Im Vorjahr waren es 1 085 Vorfälle, die Zahl sank also um knapp 19 Prozent. Bundesweit stieg die Zahl antisemitischer Straftaten dagegen an. Die Behörden registrierten 72 antisemitische Gewalttaten im Jahr 2019. Insgesamt ermittelte die Polizei bei Delikten mit antisemitischen Hintergrund 1 019 Tatverdächtige.

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In dem gemeinsam vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (Apabiz) und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) herausgegebenen Jahresbericht »Berliner Zustände« wird als Schwerpunkt neben dem nazistischen Straßenterror in Neukölln auch der wachsende Antisemitismus genannt. »Ich habe den Eindruck, dass die Jagd auf Jüdinnen und Juden eröffnet ist«, wird der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde, Sigmount A. Königsberg, in dem Ende Juni veröffentlichten Bericht zitiert. Schon vor dem Anschlag in Halle registrierte der Politologe »eine Reihe von Angriffen«. Vor allem die Attacke auf den Rabbiner Yehuda Teichtal bleibt im Gedächtnis. Zwei Männer hatten den Rabbiner der orthodoxen Bewegung Chabad Lubawitsch im Beisein seines Sohnes auf dem Nachhauseweg von einem Gottesdienst auf offener Straße auf Arabisch beschimpft und bespuckt.

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Mehr: Jungle World 2020/30


»Begriff der ›neuen Qualität‹ ist eine Verlegenheitsphrase«

Aufarbeitung rechter Gewalt: Bericht zu »Berliner Zuständen 2019« lässt Betroffene zu Wort kommen. Ein Gespräch mit Simon Brost

In der vergangenen Woche wurde der »Schattenbericht Berliner Zustände 2019« veröffentlicht. In dem Papier, das die »Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin« gemeinsam mit dem antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Apabiz erstellt hat, geht es um rechte Gewalt, Rassismus und Antisemitismus. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Simon Brost: Wir wollten den Zustand der Stadtgesellschaft aus einem unabhängigen Blickwinkel sichtbarer machen. Dabei geht es in gewisser Weise auch um einen Gegenpol zu den Berichten staatlicher Behörden. Schließlich sind es die Selbstorganisationen von Migranten, zivilgesellschaftliche Fachprojekte und andere Engagierte, die in ihrer alltäglichen Arbeit als erste bedrohliche Entwicklungen für die demokratische Kultur wahrnehmen. Beispielsweise erinnert in der aktuellen Ausgabe die »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektas« an den bis heute unaufgeklärten, mutmaßlich rassistisch motivierten Mord an dem jungen Berliner im Jahr 2012. Rechte Angriffe auf die Erinnerungskultur haben wiederum uns als »Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus« im vergangenen Jahr viel beschäftigt. Mit Sorge beobachten wir, dass in den letzten Monaten Relativierungen der Verbrechen des Nationalsozialismus verstärkt auf Berlins Straßen verbreitet wurden.

Ein neues Phänomen sind die sogenannten Hygienedemos, bei denen gegen die Coronaauflagen protestiert wird. Wie schätzen Sie deren Gefährlichkeit aktuell ein?

Simon Brost: Bei den sogenannten Hygienedemos handelt es sich um eine seit Ende März andauernde, von Beginn an rechtsoffene Mobilisierung aus verschiedenen verschwörungsideologischen Milieus. Die Dynamik der Mobilisierung hat zuletzt abgenommen. Das ist vor allem auch ein Verdienst der vielfältigen Gegenproteste und öffentlichen Positionierungen von Anwohnerinitiativen und anderen Gruppen. Es ist aber definitiv noch zu früh für eine Entwarnung. Denn gleichzeitig radikalisieren sich einige Akteure zusehends. Es wird immer wieder versucht, Journalisten und kritische Beobachter einzuschüchtern.

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Mehr: Junge Welt vom 04.07.2020


»Rassismus ist das Hauptmotiv«

Das Antifaschistische Pressearchiv hat die »Berliner Zustände« veröffentlicht. 2019 gab es so viel rechte Gewalt wie nie.

Herr Metzger, in Berlin wurden im vergangenen Jahr 390 Menschen Opfer rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt, die größte Anzahl seit Beginn der Zählung vor 20 Jahren. Wird die Lage bedrohlicher?

Frank Metzger: Die Zahlen zeigen das und die Opferberatungsstelle ReachOut spricht von einem traurigen Rekord. Womöglich gibt es auch eine erhöhte Sensibilität in der Bevölkerung, Taten zu melden, dennoch kommt auch noch eine große Dunkelziffer hinzu. Auch deckt sich das mit Erfahrungsberichten von tatsächlich oder potenziell Betroffenen. Viele erleben mehr verbale Drohungen, bis hin zu Mordaufrufen. Das birgt die Gefahr, dass dies in tatsächliche Gewalttaten auf der Straße umschlägt.

Wer ist vor allem von diesen Angriffen betroffen?

Frank Metzger: Rassismus ist seit vielen Jahren das Motiv der meisten Gewalttaten. Diese sind antimuslimisch oder antiziganistisch motiviert oder richten sich gegen Geflüchtete oder Schwarze Menschen. Die zweite große Opfergruppe sind LGBTIQ. Darüber hinaus gibt es auch antisemitische Taten, solche gegen politische Geg­ne­r*in­nen, Wohnungslose oder Menschen mit Beeinträchtigungen.

Anders als in Hanau oder Halle war in Berlin kein Todesopfer zu beklagen. Wie groß ist diese Gefahr?

Frank Metzger: Die ist eindeutig gegeben, alles andere wäre Augenwischerei. In Berlin gab es im vergangenen Jahr zwei versuchte Tötungsdelikte. In einem Fall wurde mit einer abgebrochenen Flasche auf einen Wohnungslosen eingestochen. In einem anderen gab es Schüsse auf eine Tür zu einer Wohnung, in der eine geflüchtete Familie lebt. Tödliche Gewalt ist immanent mit rechter Ideologie verbunden. Hanau oder Halle sind keine neue Qualität.

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Mehr: taz vom 02.07.2020


Initiativen erstellen Schattenbericht

Berliner Initiativen haben eine neue Ausgabe der »Berliner Zustände« veröffentlicht.

In dem insgesamt 110 Seiten langen Schattenbericht für das Jahr 2019 gehen die Autorinnen und Autoren auf die grundlegenden aktuellen Entwicklungen in den Bereichen des Rechtsextremismus in Berlin ein – die Broschüre erscheint seit 2006 und bietet einen sehr kompakten und vielschichtigen Überblick über demokratie- und menschenfeindliche Tendenzen in der Hauptstadt. »Antisemitismus, Rassismus und extrem rechte Einstellungen, wie sie wieder verstärkt sichtbar waren, haben ihren Ursprung vielfach in der sogenannten Mitte der Gesellschaft«, sagte Bianca Klose, die Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, die die Broschüre zusammen mit dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz) herausgibt. »Statt denen Gehör zu schenken, die die schrillsten Töne von sich geben, bleibt es das Gebot der Stunde, diejenigen zu stärken, aber auch zu schützen, die im Alltag für Menschenrechte und Demokratie einstehen«, so Klose.

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Mehr: Neues Deutschland vom 30.06.2020


Linke demonstrieren gegen rechten Terror in Neukölln

Eine neue Anschlagsserie ereilt Berlin-Neukölln. Zusammenhänge mit früheren Anschlägen soll es nicht geben. Nun regt sich Protest.

Vor der »Damaskus«-Bäckerei auf der Sonnenallee wird am Freitagnachmittag Baklava verteilt, der Besitzer steht zwischen den Demonstranten. Der lange Demonstrationszug linker Gruppen macht hier einen Zwischenstopp. Der Laden war vergangene Woche Ziel von rechtsextremistischen Schmierereien geworden. Rund 1000 Menschen sind jetzt gekommen, vielleicht mehr.

Die Redner erklären sich solidarisch mit den Besitzern der Bäckerei, protestieren gegen Rassismus und rechtsextremistische Gewalt. Auch Familien mit Kindern stehen auf der Straße. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser jubeln die Menschen, die Balkone sind am Freitagabend voll. Immer wieder wird Kritik an den mangelnden Ermittlungserfolgen der Berliner Polizei laut.

Nach dem Brandanschlag auf einen polnischen Transporter und Nazi-Schmiererei an einer syrischen Bäckerei geht die Berliner Polizei vorerst nicht von einem Zusammenhang mit der 2016 begonnenen rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln aus.

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Neukölln ist nicht der einzige Hotspot rechter und rassistisch motivierter Gewalt in Berlin. Darauf verweist die am Freitag erschienene Broschüre »Berliner Zustände 2019 – Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus«. Seit 2006 wird die Broschüre herausgegeben vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz) und der MBR.

Teil der Broschüre ist die Jahresstatistik von »ReachOut«, der Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. 390 Angriffe zählte das Projekt 2019, die höchste Anzahl seit dessen Gründung vor knapp 20 Jahren und eine Steigerung im Vergleich zu 2018 um 26 Prozent. Laut »ReachOut« waren 55 Prozent der Fälle rassistisch motiviert, mindestens 509 Menschen wurden verletzt und bedroht, darunter 32 Kinder und 31 Jugendliche.

MBR-Chefin Bianca Klose sagte, es bleibe »das Gebot der Stunde, diejenigen zu stärken, aber auch zu schützen, die im Alltag für Menschenrechte und Demokratie einstehen«.

Mehr: Tagesspiegel vom 26.06.2020


Die Pressemitteilung von apabiz und MBR vom 26. Juni 2020 zum Erscheinen der »Berliner Zustände 2018« findet sich hier. Die Printausgabe ist beim apabiz und der MBR erhältlich. Als PDF-Datei stehen die »Berliner Zustände« 2018 hier zur Verfügung. Alle Artikel (auch der früheren Ausgaben) sind online unter schattenbericht.de zu finden.