Foto: apabiz

Seenot im Fruchtwasser

Bericht vom »Marsch für das Leben« in Berlin am 21. September 2019 – Die Gleichsetzung von einem geborenen Menschen mit einem menschlichen Zweizeller trägt immer neue Blüten: Dieses Jahr versuchten die Abtreibungsgegner*innen an humanistische, linke Bewegungen für die Seenotrettung im Mittelmeer oder auch fridays for future anzuknüpfen. Der Marsch wurde erfolgreich durch linke Gruppen blockiert.

von Eike Sanders

Gegenproteste und feministische Blockaden hielten den diesjährigen Marsch für das Leben christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner*innen gut eine Stunde auf. Der veranstaltende Bundesverband Lebensrecht (BVL) beschloss darauf hin, den kürzesten Weg zurück zu nehmen, um auf der Reichstagswiese mit reichlich Verspätung den Abschlussgottesdienst abzuhalten. Die Teilnehmer*innenzahl hatte sich dort dann drastisch reduziert, vermutlich weil viele Christ*innen Angst hatten, ihre Reisebusse zu verpassen, die sie zurück nach Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen brachten.

Im Durchschnitt dürften die Teilnehmer*innenzahl nicht bei den wie von Alexandra Maria Linder (Vorsitzende des BVL) behaupteten 8.000, sondern lediglich bei 5.500 Menschen gelegen haben. Dies sind dennoch deutlich mehr als in den vergangenen zwei Jahren. Dazu beigetragen hat der gesamtgesellschaftlich erstarkende Antifeminismus, befeuert auch durch die AfD, und die inzwischen professionalisierte Kampagnenarbeit gegen eine Lockerung des § 219a. Einzelne AfD-FunktionärInnen wie Beatrix von Storch (AfD), Joachim Kuhs und Ulrich Oehme (Vorsitzende der Christen in der AfD) wurden bei der Auftaktkundgebung gesichtet.

Die Reden drehten sich vermehrt um medizinethische Fragen, insbesondere um die in der selben Woche erfolgte Krankenkassenzulassung des pränatalen Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21, die auch von behindertenpolitischer und feministischer Seite stark kritisiert werden. Erwähnenswert ist die erstmalige Teilnahme von Norbert Geis (CSU) als Redner. Der inzwischen 80-jährige ehemalige Bundestagsabgeordnete, auch Autor für die Junge Freiheit, Kuratoriums- bzw. ehemaliges Vorstandsmitglied in rechts-katholischen Vereinigungen wie dem Forum Deutscher Katholiken oder »Kirche in Not«, hat in verschiedensten gesellschaftlichen Debatten rassistische, frauen*- und homofeindliche Positionen vertreten. Auf der Auftaktkundgebung betonte er in Bezug auf die Klimaschutzbewegung: »Wir wollen uns im Kampf um den Schutz der Schöpfung von niemandem übertreffen lassen.« Man sei nicht glaubwürdig, wenn man nicht den Menschen am Anfang seiner Existenz Schutz garantiere – das bezieht sich, wie bei der »Lebensschutz«-Bewegung üblich, auf die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle.

Der Passauer Bischof Stefan Oster verurteilte »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« und meinte explizit auch die »am tödlichsten bedrohte Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft«, die »heute das ungeborene Kind mit Behinderung« sei. Die Vorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Cornelia Kaminski, wetterte gegen die gemeinsame Verleihung des Leuchtfeuerpreis für die Sea-Watch-Ärztin Ruby Hartbrich und die Ärztin Kristina Hänel und ging in ihrer Gleichsetzung von geborenen Menschen und Föten so weit zu sagen: »Da schwimmen im Mittelmeer Menschen, die drohen zu ertrinken, die müssen gerettet werden, sehr gut. Lebensrecht und Lebensschutz gilt für alle Menschen. Da schwimmen Menschen im Fruchtwasser, die saugt jemand ab und tötet sie. Und beide bekommen dafür den selben Preis, das ist eine Perversion, die sich gewaschen hat.«

Wie Geis, Oster und Kaminski versuchten viele »Lebensschützer« auch auf Plakaten mehr oder weniger verkrampft an ökologische, linke und jugendliche Slogans und Bewegungen anzuknüpfen. Man feierte sich als »saturday for future« und trug Schilder mit »no children – no future« oder »stand against embryo-phobia«. Selbstgemalte Plakate wie dieses waren die wenigen Zeichen, die vom am selben Wochenende abgehaltenen »Impact«-Kongress der »Jugend für das Leben« in Berlin zeugten. Die Vorsitzende Fabiola Kaminski hatte von 50 beziehungsweise 80 Teilnehmer*innen gesprochen. Das sieht nicht aus wie der großspurig verkündete Aufbruch der selbsternannten »Pro Life Generation«.