Rezension: Die braune Saat

Quellensammlung zu rechten Aktivitäten in der DDR

von Svenna Berger

Knapp 9.000 neonazistische, rassistische und antisemitische Vorfälle, davon 200 gewalttätige Angriffe in 40 Jahren des Bestehens der Deutschen Demokratischen Republik. Das ist die Bilanz des Historikers Harry Waibel in »Die braune Saat«. Das Buch ist eine umfangreiche Sammlung von rechten Aktivitäten wie Schmierereien, Propaganda-Aktionen, Beleidigungen, Friedhofsschändungen und Gewaltstraftaten. Auch gibt es Einblicke in neonazistische Strukturen und Schwerpunkte in DDR-Bezirken.

Waibel recherchierte für sein Werk in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Auf über 300 Seiten trägt er seine Ergebnisse zusammen und zeigt, dass das MfS, das ZIJ, das Zentralinstitut für Jugendforschung und die DDR-Obrigkeit die rechten Entwicklungen im Land im Blick hatten. Öffentlich wurde dies jedoch nicht verhandelt, um dem Ruf des antifaschistischen Staates nicht zu schaden. Erst ab Ende der Achtzigerjahre änderte sich die öffentliche Debatte. Entsprechend liest sich das Buch als eine Aneinanderreihung von kurzen Akteneinträgen: Im Jahr 1988 gehören dazu z.B. ein Überfall auf eine Veranstaltung in der evangelischen Kirche von rechten Skinheads in Hennigsdorf, eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Punks und Skinheads in Merseburg, eine Meldung über eine Skinheadgruppe in Bernau, die Kontakt nach Potsdam und Berlin pflegte oder antisemitische Äußerungen in Schmölln.

Sammlung von Stasi-Quellen

Ohne Zweifel ist das Buch eine wichtige und in der Form bisher einzigartige Sammlung von Quellen zu rechten Aktivitäten in der DDR. Seit diesem Jahr gibt es außerdem eine Ergänzung: In einem 461 starken PDF sind nach Bezirken sortierte Einträge zu rassistischen, antisemitischen und neonazistischen Propagandaaktionen und Gewalttaten gesammelt, darunter der rassistische Mord an Antonio Manuel Diogo im Juni 1986. Auch wenn Waibel auf den wissenschaftlichen Anspruch seiner Arbeit verweist, mangelt es ihr an Sachlichkeit. Insbesondere in der Einleitung und im Fazit, in der er sich um Kontextualisierung bemüht, verfängt er sich in Polemik, zugespitzter Wortwahl und ungenauen Vergleichen: Schockierende Zahlen wie etwa die von 200 (!) Pogromen bzw. »pogromartigen Übergriffen« werden weder spezifiziert noch in Relation gesetzt. Verweise auf die BRD sollen das Bild des braunen Ostens verschärfen. So schreibt Waibel an einer Stelle, es habe in der BRD 2.000 Skinheads gegeben, zur gleichen Zeit 1.500 in der DDR und schlussfolgert daraus »ein relatives Übergewicht dieser ostdeutschen Neonazis«. Es hätte dem Buch gut getan, sich mit Aktivist*innen und Zeitzeug*innen aus der DDR zu unterhalten. Denn dann hätten die nahezu ausschließlich genutzten Stasi-Akten ins Verhältnis gesetzt werden können. Im Fall der Skinheads hatte das MfS eine recht ungenaue Vorstellung davon, was Skinheads seien, sie zählten als »negativ-dekadente Jugendliche«. Auch Linke, Punks und unabhängige Antifaschist*innen wurden von der Stasi darunter gefasst und teils sogar als Nazis denunziert.

Unzureichende Ursachensuche

Belegen will Waibel mit seiner Sammlung eine Kontinuität rechter Gewalt und Gesinnungen in der DDR-Gesellschaft seit dem Nationalsozialismus bis in die Gegenwart. Die Defizite des DDR-Systems, auf rechte Umtriebe nicht zu reagieren und sie durch autoritäre Führung zu stärken, seien Ursache für die heutige Dominanz von Rechtsaußen. »Die braune Saat« der Nazis sei, so Waibels Auffassung, aufgegangen. Eine These, die aus ostdeutscher Perspektive auf Kritik stößt. Von DDR-Dogmatiker*innen sei hier gar nicht die Rede. Sondern von linken Oppositionellen, die ´89 für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Straße gingen, die mit ansehen mussten, wie Nationalismus und Kapitalismus die Proteste torpedierten. Wesentliche Einschnitte ostdeutscher Biographien durch den Zusammenbruch eines politischen Systems werden von Waibel schlicht ignoriert. Dabei lassen sich neonazistischer Terror à la NSU und die rassistische Mobilisierung von AfD, Pegida und Co. ohne diesen Bruch nicht verstehen. Rechte Akteure ziehen ihre Stärken daraus, »ein politisches System gestürzt und anschließend den neuen Staat in Hoyerswerda und Rostock gezwungen zu haben, vor ihrem rassistisch motivierten Willen zurückzuweichen«, wie es David Begrich vor kurzem in einem Brief an die westdeutsche Linke anlässlich der rassistischen Proteste in Chemnitz feststellte. Waibels vereinfachtes »der Osten war schon immer braun« hilft dagegen nicht weiter.