Kommunalwahlen 2019: extrem rechte Antritte und Mandate

Am 26. Mai 2019 fanden neben den Europawahlen auch die Wahlen zur Bremer Bürgerschaft und die Wahlen zu nahezu allen Kommunalvertretungen in Bremen, Hamburg, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen statt. Insgesamt wurden rund 129.000 Mandate[1] in rund 12.400 Gremien neu besetzt.[2]

von Tilo Giesbers

Die extreme Rechte wurde erwartetermaßen auch bei diesen Wahlen deutlich von der AfD dominiert. Im Gegensatz zu in der Vergangenheit erfolgreichen Parteien des Spektrums wie etwa der DVU verließen sich wichtige AfD-Funktionär*innen nicht nur auf eine Fortsetzung ihrer derzeitigen Erfolgswelle, sondern hatten auch eine konkrete Vorstellung von der bedeutenden Rolle der kommunale Ebene. In seiner wegen islamfeindlicher Tiraden bekannt gewordenen Rede am 20. Januar 2018 in Eisleben (Sachsen-Anhalt) sprach der thüringische Partei- und Fraktionschef Björn Höcke von der AfD als »letzte evolutionäre Chance für unser Vaterland« und meinte dazu: »Wir werden die Macht bekommen – und dann werden wir das durchsetzen, dann werden wir das durchsetzen, was notwendig ist, damit wir auch in Zukunft noch unser freies Leben leben können.« Weitgehend unbeachtet nahm Höcke auch auf die Kommunalwahlen Bezug: »Die AfD ist ja von oben nach unten mit den großen Themen gewachsen, und zwar so schnell und kräftig gewachsen wie keine andere Partei vor ihr seit 1945. Eine unglaubliche, ja als historisch zu bezeichnende Erfolgsgeschichte, auf die wir zurückblicken können als AfD. Und jetzt, liebe Freunde, muss ein gegenläufiges Wachstum erfolgen: von unten nach oben. Jetzt müssen wir die kommunalpolitische Ebene in Angriff nehmen […] Wir müssen überall dort, wo wir gute Leute haben – und die Betonung liegt auf gute Leute, denn Qualität ist der Quantität vorzuziehen – überall dort müssen wir jetzt rein: in die Landratsämter, in die Kreistage, in die Stadträte, wir müssen Bürgermeister stellen. Das ist jetzt unsere Aufgabe.«

Das von Höcke angesprochene Wachstum »von unten nach oben« konnte bisher in vielen Bundesländern so nicht erfolgen, da die letzten Kommunalwahlen dort vor fünf Jahren in einer Phase stattfanden, in der der Parteiaufbau gerade erst begonnen hatte, und es größtenteils noch gar keine Gliederungen gab, die kommunale Wahlantritte hätten organisieren können. So existierte die AfD in Thüringen kommunalpolitisch bisher mit gerade einer handvoll Mandaten praktisch nicht. Auch in den anderen, vor allem den ostdeutschen, Ländern verfügte sie im Vergleich zu ihren Umfragewerten nur über wenige Mandate. Im Mai 2019 trat sie nun bei den Wahlen zu mindestens 1.081 Gremien an.

Das Personal

Wie dominant die AfD derzeit am rechten Rand ist, zeigt sich auch daran, dass erhebliche Teile der extrem rechten Wähler*innengemeinschaften, der Republikaner oder der Deutschen Sozialen Union auch personell von den »Alternativen« aufgesaugt wurden. Auch einige frühere Funktionäre von NPD/JN und anderen Neonaziorganisationen finden sich trotz theoretischer Unvereinbarkeitsbeschlüsse auf den Listen, ebenso wie »Identitäre«.[3]
Mindestens 7.162 AfD-Kandidierende[4] sind bekannt – ungefähr so viele wie bei allen Kommunalwahlen der letzten sechs Jahre zusammen. Die Verteilung in den Flächenländern war hierbei sehr unterschiedlich. In Baden-Württemberg gab es nach den uns vorliegenden Daten 1.669 AfD-Kandidaturen, in Sachsen mindestens 1.634, in Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland dagegen »nur« 299 bzw. 255.

Der Anteil von Frauen lag zwischen 12,9 Prozent in Sachsen und 24,3 Prozent in Rheinland-Pfalz. Insgesamt traten 1.259 Frauen für die AfD an, was einem Anteil von 17,6 Prozent entspricht.

Der Altersdurchschnitt der AfD-Kandidat*innen liegt in allen Ländern über 50 Jahren. Die 6.984 Kandidierenden, zu denen entsprechende Angaben vorliegen, sind im Durchschnitt 53,1 Jahre alt.[5] Auch im Jahr sieben nach Gründung der Partei kann die AfD also offenbar nur in geringem Maß junge Menschen an ihre Strukturen binden. Nur rund 400 Kandidierende sind unter 30 Jahre alt, ungefähr genauso viele 70 bis 74 Jahre alt, rund 300 weitere noch älter. Die älteste Kandidatin ist 92 Jahre alt.

Viele Personen kandidierten für mehrere Gremien, also etwa für Kreistag und Gemeinderat. Auch eine Betrachtung der Netto-Zahlen, also nach Abzug von Mehrfachkandidaturen, ergibt das Bild von stark männlich dominierten, älteren Kandidierenden. Die Kandidaturen verteilen sich auf insgesamt 5.167 Personen, darunter 939 Frauen (18,17 Prozent). Die 4.961 bekannten Altersangaben liegen im Schnitt bei 53,3 Jahren. Insgesamt kommt jede*r AfD-Kandidat*in auf rund 1,4 Kandidaturen. Während es in Baden-Württemberg 1,25 sind, kommen AfD-Kandidat*innen in Sachsen-Anhalt auf 1,73 Antritte.

Im Ergebnis der Wahlen konnte die AfD die bundesweite Zahl ihrer kommunalen Mandate ungefähr verdreifachen. Zu den rund 1.000 aktuellen Sitzen[6] in den übrigen sechs Bundesländern kommen statt der bisher rund 350 mindestens 3.361 neue in den zehn Bundesländern, in denen im Mai gewählt wurde, hinzu. Dort hat sich die Zahl also fast verzehnfacht.

Das Geschlechterverhältnis der Mandatsträger*innen ist noch einmal deutlich männlicher als bei den Kandidierenden. Nur 415 der Mandate (12,3 Prozent) werden von Frauen gehalten. Netto sind 336 der 2.435 Gewählten, also 13,8 Prozent, Frauen. In vielen Fällen waren Frauen nur auf hinteren Listenplätzen zu finden. Andere wurden von den Wähler*innen nach hinten durchgereicht, indem noch schlechter platzierte Männer gewählt wurden. Ähnlich ging es in einigen Fällen auch Menschen mit nichtdeutschen Namen.

Der Altersdurchschnitt der Gewählten ist mit mehr als 52 Jahren kaum geringer als der der Kandidierenden.

Die Regionen

Die regionale Verteilung der Mandate ist sehr unterschiedlich. Die 1.669 Kandidierenden in Baden-Württemberg kommen auf 275 Sitze, annähernd ebenso viele in Sachsen auf 1.094. Im Osten (ohne Berlin) hält die AfD laut Wahlergebnis statt vorher etwa 230 nun 2.728 Mandate. In den alten Bundesländern sind es statt vorher rund 1.000 nun 1.522 Sitze. Das Ost-West-Verhältnis von vorher rund eins zu vier hat sich damit zugunsten des Ostens auf sieben zu vier gedreht.

Während die Partei für mehrere Kreistage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht kandidierte, holte sie auf dieser Ebene anderswo, etwa in Ostsachsen, bis zu 30 Prozent. Standen AfD-Kandidat*innen in den Städten und Gemeinden im Südwesten auf rund jedem zwanzigsten Stimmzettel, war es in Sachsen jeder zweite. Die Partei hat ihre Strukturen in der Fläche in den letzten Jahren – wenn auch in unterschiedlichem Maße – weiter auf- und deutlich ausgebaut.

Trotzdem stehen der AfD auch in Gegenden, in denen sie bei der Bundestags- oder Europawahl stärkste Kraft wurde, nicht flächendeckend Kandidierende zur Verfügung. Die Gründe hierfür dürften vielfältig sein. Teilweise mag dies daran liegen, dass es vor Ort Wähler*innengemeinschaften gibt, die eine ähnliche Politik betreiben. In vielen Fällen geht es den AfD-Funktionär*innen zudem eher um grundsätzliche Änderungen, die in Kommunen nicht erreicht werden können. Prestigeträchtige, finanziell gut ausgestattete Mandate gibt es hier auch nur in wenigen Fällen.

Auch in der extremen Rechten selbst wird dies diskutiert. Der Autor Benedikt Kaiser etwa wertet die AfD-Antritte zu den Kommunalwahlen in der aktuellen Ausgabe der »neurechten« Zeitschrift Sezession von Götz Kubitschek als »bescheiden«.[7] Die nach der Bundestagswahl mögliche »Kärnerarbeit« hätte »schlicht nicht statt[gefunden].« Als Grund nennt er ein »Streben in die Landesmetropolen und ‚Hauptparlamente‘«. Es fände »keine alternative Nachbarschaftspolitik statt, die freilich die unverzichtbare Grundlage einer jeden basisnahen Bewegung darstellt. Fallen überregional mobilisierfähige Themen weg, kann eine Landtagsfraktion verloren werden, lokale Verankerung hingegen bliebe, versiegen auch die Geldflüsse in der Landeshauptstadt.« Was Kaiser nicht erwähnt, sind die Folgen interner Debatten und Machtkämpfe. In Magdeburg etwa traten vor fünf Jahren neunzig (!) AfD-Leute zu den Kommunalwahlen an. Dieses Mal waren es noch ganze vierzehn, von denen nur drei bereits 2014 kandidiert hatten.

Die AfD hat ihre Strukturen in der Fläche in den letzten Jahren – wenn auch in unterschiedlichem Maße – weiter auf- und deutlich ausgebaut.

In vielen Fällen – ausschließlich im Osten – holte die Partei mehr Mandate, als sie Kandidierende aufgestellt hatte, so dass insgesamt 272 Sitze unbesetzt bleiben. In mehreren Fällen holten einzeln antretende AfDler sogar fünf Mandate. Die frei bleibenden Sitze verfallen, so dass die Gremien kleiner werden. In den übrigen Bundesländern sind mindestens 49 weitere AfD-Mandate derzeit unbesetzt.

Die Zahl der realen AfD-Mandate wird letztlich noch etwas geringer ausfallen als nach den Wahlergebnissen. Mehrere frisch Gewählte haben erklärt, ihr Mandat nicht anzunehmen oder sind – wie etwa in Halle (Saale) – nach der Wahl aus der Partei ausgetreten.

Die AfD-Abspaltungen wie die Liberal-Konservativen Reformer (LKR) von Bernd Lucke, die »Blauen« von Frauke Petry oder der Aufbruch deutscher Patrioten Mitteldeutschland (AdPM) von André Poggenburg traten nur vereinzelt an. Nur wenige den »Blauen« zuzurechnende Listen erhielten Mandate. Alle diese Parteiversuche sind offensichtlich gescheitert. Mit Blick auf die Landtagswahlen vor allem in Sachsen heißt das auch, dass sie nur wenige Stimmen von der AfD abziehen werden.

Die NPD

Der desolate Zustand der NPD ist auch bei diesen Wahlen deutlich sichtbar geworden. Die Neonazipartei hat einerseits offenbar nach wie vor mit den Folgen der verschiedenen Strategiedebatten wie etwa der um die »seriöse Radikalität« (Holger Apfel) zu kämpfen. Vor dem Hintergrund des damaligen Verbotsverfahrens war die NPD zumindest öffentlich (relativ) gemäßigt aufgetreten. Zwar wurde die Partei nicht verboten, ihre Verfassungsfeindlichkeit aber wurde festgestellt, so dass ihr in der Folge die Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung entzogen werden sollen. Spätestens nach dem Verlust der Landtagsfraktionen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern (2014 bzw. 2016) zogen sich einige Kader und viele Mitglieder zurück, da sie in der NPD keine politischen Erfolge mehr erwarteten. Die Mitgliederzahl fiel innerhalb von zehn Jahren von rund 7.000 auf nun unter 4.000. Mittlerweile wird die Partei zwischen der sich stetig radikalisierenden AfD als übermächtiger Konkurrenz auf der einen und den Neonaziparteien Die Rechte und Der Dritte Weg auf der anderen Seite zerrieben.

Tatsächlich wird die AfD für Aussagen gewählt, die sich die NPD lange Zeit nicht getraut hätte. Der damalige NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, meinte schon im Wahlkampf 2016 resignierend über Björn Höcke: »Der kopiert meine Reden, fischt am rechten Rand, und ich gehe für meine Reden ins Gefängnis.«

Bei den jetzigen Wahlen trat die NPD zwar in allen zehn Ländern an, allerdings auf eher bescheidenem Niveau. Einige der schon aus der Vergangenheit bekannten »Tarnlisten« sind mittlerweile verschwunden. Dafür kamen neue hinzu. Auch Einzelkandidaturen ohne Parteiangabe sind zu finden. In einigen dieser Fälle ist unklar, ob die Betreffenden noch NPD-Mitglieder sind. Andere sind im Laufe der letzten Wahlperiode ausgetreten und treten nun allein – etwa in Schulzendorf und Brieselang (Brandenburg) sowie in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) – oder auf den Listen neu gebildeter Wähler*innengruppen an wie in Schneidlingen und Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) oder Gribow (Mecklenburg-Vorpommern).

Dass die Partei in Sachsen noch stärker als anderswo mit den genannten Konflikten und der AfD-Konkurrenz zu kämpfen hat, dürfte der Grund dafür sein, dass es in Thüringen mehr Kandidierende als dort gab. Nur noch 188 Gelistete in Sachsen stehen 240 in Thüringen gegenüber. Erheblichen Anteil haben hier die 94 Kandidat*innen des Bündnisses Zukunft Hildburghausen (BZH) um Tommy Frenck. In Sachsen traten NPDler*innen ohne Partei-Label u.a. als Wir Für Hier – Die Heimatliste (Sebnitz), Freie Liste für Geithain oder Neue Liste Jahnsdorf an. In Mecklenburg-Vorpommern finden sich die Freien Wähler Torgelow, in Baden-Württemberg neben der altbekannten Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) um Jürgen Schützinger in Villingen-Schwenningen auch die Deutsche Liste (DL) um den früheren NPD-Bundesvorsitzenden Günter Deckert in Weinheim.

Tatsächlich wird die AfD für Aussagen gewählt, die sich die NPD lange Zeit nicht getraut hätte.

Unter Mitzählung aller genannten Kategorien kommen NPD und ihr nahestehende Gruppen auf 869 Kandidierende, davon 157 Frauen (18,1 Prozent). Der Altersdurchschnitt liegt – soweit bekannt – mit 46,3 Jahren – wie bei vorhergehenden Wahlen auch – deutlich unter dem der AfD. Die Kandidaturen verteilen sich hier auf 577 Personen, davon 103 Frauen (17,9 Prozent), die im Schnitt 45,6 Jahre alt sind.

Im Ergebnis können NPD und Co gerade noch 140 Mandate für sich verbuchen, darunter 14 Frauen (10 Prozent). Die Gewählten sind im Schnitt 44,5 Jahre alt. Selbst in früheren Hochburgen in Sachsen sind sie fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Im Kreistag Sächsische Schweiz-Osterzgebirge etwa kommen sie statt vorher fünf auf gerade noch einen Sitz. Nur in Einzelfällen und fast ausschließlich bei fehlender AfD-Konkurrenz und / oder unter anderem Namen kann die Neonazipartei noch Erfolge einfahren. So kommt die Liste des früheren NPD-Landesvorsitzenden Mario Löffler in Jahnsdorf auf drei Mandate, die AfD nur auf zwei. Die NPD-nahe Wählergemeinschaft Wir von hier in Lanz (Brandenburg) konnte sich von zwei auf vier Sitze steigern. In Gägelow (Mecklenburg-Vorpommern) zog mit Sven Krüger ein langjähriger Neonaziaktivist über die Liste der Wählergemeinschaft Heimat in den Gemeinderat ein.

Netto haben in diesem Spektrum 115 Personen im Durchschnittsalter von 46,6 Jahren Mandate erhalten, davon dreizehn Frauen (11,3 Prozent). Bundesweit verfügen NPD und Umfeld nun über noch maximal 204 Mandate, davon 136 im Osten. Nur punktuell traten neben der NPD auch Die Rechte und Der Dritte Weg an. Für letztere erreichte Tony Gentsch im Kreistag des Vogtlandkreises und im Stadtrat Plauen je einen Sitz. In Erfurt dagegen ging die Partei leer aus.

Weitere Rechtsaußen-Kandidaturen

Auch andere Einzelbewerber*innen und Listen aus dem Neonazimilieu fanden sich auf den Wahlzetteln. Ein paar Beispiele: Mit Stefan Behrens sitzt zukünftig ein Musiker der Neonazihool-Band Kategorie C im Gemeinderat von Schwanebeck im Harz. Mit Ralf Städing verteidigte ein weiterer früherer Neonazi-Musiker (Wiege des Schicksals) sein Mandat in Postlow (Mecklenburg-Vorpommern). und mit Alexander Schwarz zog ein früherer Bassist der Rechtsrock-Band White Resistance (Weißer Widerstand) für die AfD in den Stadtrat Zwickau ein.

In Wurzen trat das Neue Forum Wurzen rund um den neonazistischen Kampfsportler Benjamin Brinsa erfolgreich zu den Wahlen an. Brinsa sitzt nun im Stadtrat. In Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) scheiterten dagegen sowohl die Neonazi-Liste Freiheitliches Bündnis Güstrow als auch die NPD an der AfD-Konkurrenz.

Die Republikaner und die Deutsche Soziale Union (DSU) existieren nur noch vereinzelt. Erwähnenswert ist hier lediglich die Listenverbindung der DSU mit Pro Chemnitz, die ihr Ergebnis von drei auf fünf Mandate steigern konnte. Aus dem Bereich der zerbröselnden Pro-Bewegung trat außerdem Pro Heilbronn (Baden-Württemberg) an und erreichte wieder ein Mandat. Pro Arnstadt (Thüringen), deren früherer Bürgermeister offen mit Pro Deutschland anbandelte, stellen mit acht Sitzen weiterhin die stärkste Fraktion im dortigen Stadtrat. Eher ein Kuriosum stellt die Deutsche Volksunion Rhein-Pfalz e.V. dar, die ihr Mandat in Altrip (Rheinland-Pfalz) verteidigen konnte. Der Verein war aus der Weigerung entstanden, die Fusion der früheren Partei mit der NPD mitzutragen.

Eine besondere Schwierigkeit in der Analyse sind die vielfältigen Freien Wähler*innengemeinschaften, die das Gros der Kandidierenden in kleineren Gemeinden stellen. Da Namen nichts oder kaum etwas zu politischen Inhalten aussagen, ist dieses Feld sehr unübersichtlich. Für Sachsen sind die inhaltlich zwischen AfD und CDU angesiedelten Freien Wähler e.V. von Bedeutung. Sollten sie den Sprung in den Landtag schaffen, könnte das die dortigen Machtverhältnisse verkomplizieren.

Und schließlich sind klar reaktionäre Einstellungen auch in den »etablierten« Parteien verbreitet. Das Problem ist also viel größer, als es die hier genannten Zahlen erscheinen lassen.

Kommunale Basis

Zurück zu Höcke: Seine Eislebener Worte müssen als Drohung verstanden werden. Sie zeigen das Selbstbewusstsein einer extremen Rechten, die sich kurz vor der Machtübernahme wähnt. Doch warum ist die kommunale Ebene so wichtig?

Im Wesentlichen geht es um die Verankerung der Partei in der Fläche. Mandate und Fraktionen geben der AfD in den Städten und Gemeinden Gesichter. Sie wird ansprechbar und kann sich als »Kümmerer« gerieren, indem sie – was in Landtagen nicht ginge – kleine, lokale Probleme aufgreift: sei es ein kaputter Gehweg, der desolate Spielplatz um die Ecke oder die fehlende Fußgängerampel an der örtlichen Schule. Fraktionen in größeren Städten oder Kreistagen verfügen auch über Büros und können ganz nebenbei politisch Gleichgesinnte mit Jobs versorgen, die sich dann hauptamtlich um die politische Agenda kümmern können.

Wie diese Agenda aussieht, konnte in den Landtagen, dem Bundestag und einigen kommunalen Räten schon in den vergangenen Jahren beobachtet werden. Egal, welches Thema vordergründig behandelt wird: Nahezu jede Initiative wird von der AfD dazu genutzt, zumindest implizit gegen Geflüchtete, politische Gegner*innen, sozial Benachteiligte, nicht-heteronormative Menschen, zivilgesellschaftliche Initiativen, Kulturprojekte, Gewerkschaften, Kirchengemeinden, unabhängige Presse, gegen die freie Gesellschaft insgesamt zu agitieren. Antisemitische Stereotype und NS-Relativierungen fehlen ebenso wenig wie der Ruf nach einem starken, repressiven Staat mit entsprechenden Kompetenzen für Polizei, Geheimdienste und Militär.

Dabei ist ein teilweise koordiniertes Vorgehen sichtbar. Kampagnen von Landes- oder Bundespartei werden von Anfragen in Kommunen begleitet. Anträge der Kommunalfraktionen wiederum werden von Anfragen im jeweiligen Landtag flankiert. Und zunehmend finden sich gleichlautende Initiativen in verschiedenen Gremien. Höcke zeigte sich nach den Wahlen mit Blick auf Thüringen zufrieden und erklärte, dass die Ergebnisse »eine Vervielfachung unserer Ansprechpartner für Wähler vor Ort ermöglichen. Dies wird zweifelsohne für eine weiter steigende Akzeptanz unserer Partei sorgen und unseren Einfluss auf die Politik im Freistaat damit verstärken.«[8]

  1.  Eine genaue Zahl ist bisher nicht bekannt, da es in Baden-Württemberg analog bspw. zur Bundestagswahl auch in den Kommunen Ausgleichsmandate gibt.
  2.  Nur einige wenige Vertretungen wurden aufgrund von Gebietsreformen schon vorher, ein paar Räte von Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz werden wegen Fusionen erst im Herbst gewählt. Ein paar dutzend Wahlen zu Vertretungen in Gemeindeteilen mussten mangels Bewerber*innen verschoben werden, einige wurden etwas später in Einwohner*innenversammlungen durchgeführt. Und wegen eines AfD-Kandidaten, der durch ein Strafurteil seine Wählbarkeit verloren hatte, mussten in Sachsen-Anhalt drei (Teil-)Wahlen ebenfalls verschoben werden.
  3.  Für detaillierte Betrachtungen des Personals der AfD und anderer extrem rechter Kandidat*innen fehlt hier der Platz. Verschiedene Wissenschaftler*innen und antifaschistischen Medien haben dazu Analysen veröffentlicht, u.a. für Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen.
  4.  Die Wahlen in Föritztal (Thüringen) im Oktober 2018 sowie mehrere AfD-Kandidat*innen auf anderen Listen oder als Einzelbewerber*innen sind mitgezählt. Aufgrund der punktuell in Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg sowie in weiten Teilen von Rheinland-Pfalz durchgeführten Mehrheitswahlen, bei denen Angaben zu Parteien größtenteils fehlen, gibt es eine relativ hohe Dunkelziffer.
  5.  Da in den meisten Fällen nur Geburtsjahre bekannt sind, wird für die Berechnung angenommen, dass alle Kandidierenden am Wahltag Geburtstag haben.
  6.  Aufgrund der oft nicht aktuellen Informationssysteme vor allem kleinerer Gemeinden ist die Zahl der Mandatsniederlegungen und Parteiaustritte nicht genau zu beziffern. Hinzu kommen schwer messbare Übertritte zur AfD. Mit Stand vom Frühjahr kam die AfD in den betreffenden Ländern noch auf bis zu 985 Mandate. Weitere mindestens 118 Sitze werden nach Aus- und Übertritten nicht mehr für die AfD gehalten.
  7.  Benedikt Kaiser: Zweierlei Deutschland, zweierlei AfD?; in: Sezession #90, Juni 2019, Schnellroda.
  8.  https://afdkompakt.de/2019/05/28/wahlen-in-thueringen-sind-bestaetigung-unseren-kurses-in-thueringen/