Die Ausstellung an ihrem ersten Ort in der Zionskirche.  Foto: Maja Wypychowska

»Immer wieder?« Bühne frei für unsere neue Ausstellung

Am 29. März eröffneten wir gemeinsam mit dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. unsere Ausstellung »Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945«. Die zehn Stationen der Ausstellung dokumentieren anhand von verschiedenen Ereignissen der letzten Jahrzehnte unterschiedliche Aktionsfelder der extremen Rechten sowie Formen des gesellschaftlichen Widerspruchs. Eine Station widmet sich dem Neonazismus in Ost-Berlin.

Von Vera Henßler

Die Ost-Berliner Zionskirche ist gut besucht an diesem Herbstabend im Oktober 1987. »Aus lauter Langeweile«, wie es auf dem handgemalten Konzertplakat heißt, haben alternative Jugendliche ein Konzert in der Kirche organisiert. Es spielen die West-Berliner Band »Element of Crime« und die Ost-Berliner Punkband »Die Firma«. Weit über tausend Menschen kommen, selbst auf dem Altar drängeln sich die Leute. Doch der Abend wird vielen nicht nur wegen des Konzerts in Erinnerung bleiben. Als er die Kirche verließ, sei draußen bereits eine Schlägerei im Gange gewesen, berichtet ein Augenzeuge einige Wochen später vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte. Eine Gruppe von 30 Neonazis sei immer wieder auf Konzertbesucher*innen losgegangen, Flüchtende wurden verfolgt. Auch das Horst-Wessel-Lied wurde angestimmt. Auf Nachfrage des Richters zitiert der Zeuge textsicher die erste Strophe.

Der Überfall vom 17. Oktober 1987, über den bereits am nächsten Morgen der West-Berliner Radiosender RIAS berichtete, war eine Zäsur im Umgang mit der extremen Rechten in der DDR. Das Selbstverständnis als antifaschistischer Staat stand einer offenen Auseinandersetzung mit den immer offensiver auftretenden Neonazis lange im Weg. Zwar beobachtete das Ministerium für Staatsicherheit (MfS) auch die Aktivitäten rechter »Skinheads«, die dem Staat neben »Punks«, »Grufties«, »Poppern« oder »Heavy‘s« als »negativ-dekadente Jugendliche« galten. Eine öffentliche Erwähnung oder gar Auseinandersetzung mit extrem rechten Erscheinungsformen in der DDR gab es bis dato jedoch nicht. Das änderte sich allmählich nach dem Überfall auf das Konzert, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden. Die rechten Aktivitäten rückten nun in den Fokus der Justiz. Allein in der Hauptstadt der DDR wurden im IV. Quartal 1987 22 Verfahren gegen 58 Täter wegen »politisch akzentuiertem Rowdytum« eingeleitet, wobei »Skinheads« als »neue Erscheinung« besondere Beachtung fanden.[1] Interessant ist eine Einschätzung, die sich in diesem Zeitraum ebenfalls in der Akte der Generalstaatsanwaltschaft finden lässt: »Durch fehlenden ernsthaften gesellschaftlichen Widerstand gegen diese Erscheinung wurden Täter in ihrem Auftreten bestärkt.«

Im Vorfeld des ersten Gerichtsprozesses gegen vier der rund 30 Angreifer im November und Dezember 1987 stimmte sich die Generalstaatsanwaltschaft mit der SED darüber ab, welcher Zuschauerkreis vorgesehen ist, darunter der Zentralrat der FDJ, »acht Genossen« der Bezirksverwaltung des MfS und »ein Vertreter der Jungen Welt zur Berichterstattung«.[2] Einem Aktenhinweis der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entnehmen: »Radio DDR hat HV aufgenommen.« Dieser Audiomitschnitt von der Hauptverhandlung, zwölf mittlerweile digitalisierte 90-Minuten-Kassetten, kann im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft angehört werden. Darin wird deutlich, wie die Atmosphäre in diesem Herbst 1987 gewesen ist: Die Angst der Zeug*innen, den Tätern auf der Straße erneut zu begegnen (mehrere beantragen den Ausschluss der Angeklagten bei der Vernehmung), die Empörung des Richters über die neonazistischen Parolen, die hohe Relevanz, die der Richter den Äußerlichkeiten der Angeklagten beimisst (»Wie nennt man diese Jeanshosen? Marmor-washed? Haben Sie das selbst gemacht?«) oder die Selbstsicherheit eines Angeklagten, der vor Gericht zugibt, bei der Vernehmung gelogen zu haben, »weil ich keine Lust hatte, da noch mehrere Tage zu verbringen und mich nur über dieses eine Thema zu unterhalten«. Doch auch wenn Neonazismus in der DDR plötzlich ein Thema war, blieb das zentrale Narrativ, der Faschismus sei ein kapitalistisches Phänomen und damit ein Import aus dem Westen, weiterhin bestehen. So hieß es von Seiten der Verteidigung in einem zweiten Prozess Anfang 1988 gegen acht weitere Angreifer: »Wir leben direkt an der Nahtstelle zwischen dem Kapitalismus und dem sozialistischen Lager und es ist also kein Wunder, wenn also solche kapitalistischen Erscheinungsformen der Jugend, wie wir sie hier erlebt haben, eben auch auf unser Land überschwappen (…).«[3] Doch es gab auch Akteure, die das anders sahen. Als Reaktion auf den Überfall gründeten sich in verschiedenen Städten der DDR im Umfeld der Bürgerrechtsbewegung unabhängige Antifa-Gruppen, die öffentlich auf den erstarkenden Neonazismus in der DDR aufmerksam machten und deswegen unter scharfer Beobachtung des MfS standen. In einem 1989 publizierten Aufsatz in der unabhängigen Zeitschrift Kontext plädierte der Autor und Bürgerrechtler Konrad Weiß statt »überzogener Gegenmaßnahmen« für eine Demokratisierung der DDR. Die Ursachen für den »neuen Faschismus« seien im Autoritarismus der DDR selbst zu suchen.

Das Konzert und der Überfall auf die Zionskirche, der Prozess und die verschiedenen Reaktionen sind Teil unserer Ausstellung »Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945«, die Ende März in der Zionskirche eröffnet wurde. An insgesamt zehn Stationen werden zehn verschiedene Handlungsfelder der extremen Rechten dargestellt, und gesellschaftliche Gegenreaktionen abgebildet. Die Ausstellung arbeitet dabei sowohl mit Illustrationen, als auch mit Fotos, Dokumenten, Periodika oder Flyern. Bei der Konzeption der Stationen gemeinsam mit dem Aktiven Museum konnten wir an mancher Stelle auf unsere eigenen Fotos und Archivalien zurückgreifen. Aber auch Recherchen in anderen Archiven oder Bilddatenbanken förderten einige Dokumente zu Tage, die nun in der Ausstellung zu sehen sind. Fünf Stationen sind mit einem Bildschirm ausgestattet, auf dem sich Videos, O-Töne wie aus dem besagten Gerichtsprozess, unser interaktives Portal Rechtes Land, Redeauszüge von extrem rechten Demonstrationen, die wir dokumentiert haben oder auch Interviews sehen und hören lassen. Für Themenneulinge erläutert ein Glossar an jeder Station zentrale Begriffe.

Die Ausstellung will zum einen die Kontinuitäten der extremen Rechten in der Stadt aufzeigen, zum anderen aber auch auf die gesellschaftlichen Reaktionen eingehen. Seit der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 und den flüchtlingsfeindlichen Mobilisierungen scheint die extreme Rechte in der Bundesrepublik präsent wie nie zuvor. Tatsächlich ist sie jedoch kein neues Phänomen – auch nicht in Berlin. Bereits wenige Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus entstehen deutschlandweit erneut extrem rechte Parteien und Organisationen. Sie vertreten einen radikalen Nationalismus und lehnen die Demokratie ab. In West-Berlin lassen sich diese Aktivitäten schon sehr früh nachvollziehen. In Ost-Berlin setzt in den späten 1980er-Jahren eine öffentliche Auseinandersetzung um den erstarkenden Neonazismus ein. In der Zusammenschau aller zehn Stationen wird erkennbar, dass extrem rechte Akteure schon immer versucht haben, gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen und ihre »Feinde« kompromisslos zu bekämpfen: auf dem Wege der außerparlamentarischen und parteipolitischen Organisierung, durch eine strategische Besetzung von Räumen, mit Demonstrationen und Aufmärschen, durch Angriffe auf Gedenkorte, in den Fußballstadien und immer wieder auch durch Gewalt und Terror. Die Ausstellung soll eine breite Öffentlichkeit daran erinnern, dass extrem rechte Phänomene in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu keiner Zeit eine randständige Erscheinung gewesen sind. Nicht zuletzt ist sie aber auch ein Denkmal für die zahllosen Menschen, die sich nach 1945 in Berlin und andernorts für eine offene und demokratische Gesellschaft eingesetzt haben – und auch in Zukunft immer wieder einsetzen werden.

Der Katalog zur Ausstellung kann für 5 Euro plus Porto bei uns und beim Aktiven Museum bestellt werden. Außerdem steht pädagogisches Begleitmaterial für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen ab 15 Jahren zum Download bereit.

Aktuelle Informationen zu Veranstaltungen und weiteren Ausstellungsorten finden sich unter: apabiz.de/immer-wieder

 

 

  1.  Bundesarchiv, DP3/347
  2.  Bundesarchiv, DP3/393
  3.  Deutsches Rundfunkarchiv, DRA 2039771