Kein Schlusswort, sondern Gegenerzählung

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Rezension: Antonia von der Behrens (Hrsg.): Kein Schlusswort. Nazi-Terror – Sicherheitsbehörden – Unterstützernetzwerk. Plädoyers im NSU-Prozess, VSA-Verlag, Hamburg 2018. 328 Seiten. 19,80 €

von Sebastian Schneider (NSU-Watch)

Trotz einiger Störversuche und einer längeren Unterbrechung, die durch Verteidiger*innen verursacht wurden, hielten die Nebenkläger*innen und ihre Vertreter*innen im NSU-Prozess kürzlich ihre Plädoyers. Dass ihre Schlussvorträge, so der Begriff für Plädoyers im Gesetz, für viele Betroffene keine Schlussworte sein sollten, sondern Auftakt für die dringend notwendige weitere Aufklärung, wurde immer wieder deutlich. Einige Nebenklage-Plädoyers sind der Öffentlichkeit daher von der Nebenklage auch online oder gedruckt zugänglich gemacht worden.

Eine besondere Rolle nehmen dabei zwölf Plädoyers ein, die »als Gegenerzählung zum staatlichen Narrativ« gemeinsam konzipiert wurden und inhaltlich aufeinander aufbauen. Diese Plädoyers sind nun gesammelt im Hamburger VSA-Verlag erschienen. In ihrer instruktiven Einleitung benennt Rechtsanwältin Anna Luczak das Ziel dieser ebenso umfangreichen wie pointierten Gegenerzählung: »Die Nebenkläger*innen und ihre Vertreter*innen, deren Texte in diesem Buch versammelt sind, haben sich im Laufe des Verfahrens eng zusammengeschlossen. Die Nebenkläger*innen wollten, dass in diesem ersten und bis heute einzigen Gerichtsverfahren zum NSU-Komplex gemeinsam mit der Feststellung der persönlichen Schuld der Angeklagten auch das Netzwerk des NSU, die Kenntnisse der Verfassungsschutzbehörden und die strukturell rassistisch geführten Ermittlungen aufgeklärt werden. Die Vertreter*innen der Nebenkläger*innen eint dieser Auftrag ihrer Mandant*innen sowie ihr eigener, in diesem Zusammenhang notwendig politischer Anspruch an ihre Arbeit.«

Der von Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens herausgegebene Band umfasst die bewegenden und kämpferischen Plädoyers der Nebenkläger*innen Elif Kubaşık, Gamze Kubaşık, Arif S. und Muhammet Ayazgün sowie die Plädoyers von acht Anwält*innen. Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center für Constitutional und Human Rights in Berlin, stellt in seinem Vorwort richtig fest: »Sowohl bei der Zurückweisung von Verschwörungstheorien bei gleichzeitigem Aufrechterhalten der Forderungen nach umfassender Aufklärung wie politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung wird uns die Veröffentlichung der Plädoyers einer Gruppe von Nebenklägeranwält*innen im vorliegenden Band helfen.«

Zur Gruppe der Nebenklagevertreter*innen, deren Plädoyers in »Kein Schlusswort« versammelt sind, gehörte auch die Münchner Anwältin und Antifaschistin Angelika Lex, die am 9. Dezember 2015 verstarb und das Ende des Prozesses nicht mehr erleben konnte. In jedem der Plädoyers ihrer Kolleg*innen wird Lex zitiert und ihre Arbeit gewürdigt. Darüber hinaus enthält der Sammelband eine Rede, die sie auf einer großen antifaschistischen Demonstration zu Prozessbeginn hielt. Dort beendete sie ihre Rede mit den Worten: »Denn auf dieses Gericht alleine wollen wir uns nicht verlassen, denn einen Vertrauensvorschuss für diesen Rechtsstaat, dass er dieses dunkle Jahrzehnt alleine aufarbeitet, den gibt es von uns nicht!« Ein Satz, der auch nach fast fünf Jahren NSU-Prozess nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt hat.

»Kein Schlusswort« ist eines der bisher wenigen echten Standardwerke zum NSU-Komplex. Anwältin von der Behrens schloss ihr Plädoyer mit den Worten: »Das hiesige Verfahren hat also nicht die nötige Aufklärung erbracht. Dieser Umstand ist zu kritisieren, aber nicht überraschend. Die Machtverhältnisse zwischen unseren Mandanten und uns auf der einen und den Sicherheitsbehörden auf der anderen Seite sind zu ungleich. Die Aufklärung von Verbrechen mit staatlicher Verstrickung braucht Jahrzehnte, wenn sie denn jemals gelingt. Sie braucht eine aktive, die Geschädigten und die Forderung nach Aufklärung nicht vergessende Öffentlichkeit, sich diesen verpflichtet fühlende Parlamentarier, Journalisten und Anwälte. Sie braucht Whistle Blower aus dem System oder das Aufbrechen von Interessengegensätzen im Sicherheitsapparat, die Leaks von relevanten Informationen zur Folge haben. Die Forderung nach Aufklärung darf mit dem Ende dieses Verfahrens nicht verstummen und sich von den der Staatsräson geschuldeten Widrigkeiten nicht beirren lassen.« Soviel ist bereits jetzt klar: Eine aktive, die Betroffenen und die Forderung nach Aufklärung nicht vergessende Öffentlichkeit, kommt an diesem Sammelband nicht vorbei.

Dies ist eine gekürzte Fassung einer Rezension, die zuerst auf nsu-watch.info erschienen ist.