Täterin sein und Opfer werden?

Rezension: Agnes Betzler, Katrin Degen: »Täterin sein und Opfer werden? Extrem rechte Frauen und häusliche Gewalt«,

Gibt es einen Zusammenhang von häuslicher Gewalt gegen Frauen und Neonazismus? Sowohl ein tendenziell patriarchales bis zutiefst frauenverachtendes Weltbild als auch die Befürwortung von Gewalt an sich sind zwei von mehreren Bestandteilen eines extrem rechten Weltbildes, doch ob sie sich bedingen, ist weitestgehend spekulativ. Die im September 2016 im Marta-Press-Verlag veröffentlichte Studie gibt erste Anhaltspunkte zu einer Beantwortung dieser Frage. Eine abschließende Antwort oder provokante Thesen bietet das Buch allerdings nicht. Das sollte es auch nicht, denn es ist tatsächlich die allererste wissenschaftliche Untersuchung zu diesem schwierigen Thema.

Eine Erkenntnis ist: 11 Prozent aller frauenspezifischen Zufluchtsstätten in Deutschland haben bereits Erfahrungen im Umgang mit extrem rechten Frauen, das ergab die quantitative Erhebung der Sozialpädagoginnen Agnes Betzler und Katrin Degen. Die Dunkelziffer dürfte aus verschiedenen im Buch erläuterten Gründen weitaus höher liegen. An diesen Orten werden einige derjenigen Frauen sichtbar, die einerseits Täterinnen sind – im Sinne von Trägerinnen einer extrem rechten Ideologie und Szeneangehörigkeit – und gleichzeitig als Opfer von häuslicher Gewalt Zuflucht in Frauenhäusern gesucht haben.

Die Autorinnen führen zunächst über mehrere Kapitel zu der zentralen Fragestellung hin, indem sie den Forschungs- und Diskussionsstand zu Frauen in der extremen Rechten auf der einen und zu häuslicher Gewalt auf der anderen Seite zusammenfassen. Das ist für ein Fachpublikum streckenweise nichts Neues, aber notwendig, um sich von weit verbreiteten Vorurteilen und Kurzschlüssen abzuheben.

Die anschließenden selbst erhobenen repräsentativen Ergebnisse über die Anzahl der frauenspezifischen Zufluchtsstätten in der BRD, die Erfahrungen im Umgang mit extrem rechten Frauen haben, werden ausgeführt und analysiert. Aus dieser quantitativen Ersterhebung folgt eine qualitative Hauptstudie: Die Autorinnen führten Interviews mit Mitarbeiterinnen über ihre Erfahrungen mit extrem rechten Frauen in ihrer Institution, die sich durchaus spannend lesen und einen interessanten Einblick in kleine Ausschnitte aus dem Leben von ex-trem rechten Frauen bieten. Gleichzeitig sparen die Autorinnen nicht an Platz für die Erläuterung der Methodik ihrer Studie, wie es für eine akademische Abhandlung notwendig ist, um Nachprüfbarkeit und Vergleichbarkeit mit eventuell folgenden Erhebungen zu gewährleisten.

Aus den beschriebenen Fällen leiten Betzler und Degen eine Kategorisierung der extrem rechten Frauen in den Frauenhäusern ab, die verdeutlicht, dass es nicht die eine Art der rechten Frau und nicht die eine Art von Opfer gibt. »Rechte Frauen [sind] auch aktiv handelnde, eigenständige Trägerinnen einer Ideologie und nicht nur Opfer eines rechtsextremen Partners« (S. 235) – diese Erkenntnis der Ambivalenz und Gleichzeitigkeit klingt einfach, ist aber sowohl in der feministischen und/oder antifaschistischen Theoriebildung als auch in der sozial-pädagogischen Praxis nicht immer Standard. Deutlich wird aber auch die Wechselwirkung zwischen der Frau und den mehr oder weniger geschulten und sich (eventuell) antirassistisch / antifaschistisch positionierenden Mitarbeiterinnen, d.h. eine Komponente der Untersuchung war die Frage des Verhaltens der extrem rechten Frau in der Einrichtung und des Umgangs mit ihr durch die Mitarbeiterinnen. Dies macht das Buch vor allem auch für die Praxis interessant. Die Erkenntnis, dass Opfer auch Täterinnen sein können, ist notwendig, um ein gewalt- und diskriminierungsfreies Miteinander und die Sicherheit der anderen Bewohnerinnen gewährleisten zu können. Auch wenn die Autorinnen zu dem Schluss kommen, dass allgemeine Regelungen nicht sinnvoll wären, ist ein Sensibilisierungsbedarf für das Thema offensichtlich.

Weitere Studien, die das Thema sowohl durch Interviews mit den betroffenen rechten Frauen, als auch die Entwicklungen in der rechten Szene und deren Ideologie berücksichtigen, wären für weitere Erkenntnisse über den Zusammenhang von häuslicher Gewalt und Rechtsextremismus dringend notwendig – für die Aufklärung, die Prävention und die Intervention, aber auch für eine feministische und antifaschistische Praxis, die sich immer noch mit den Ambivalenzen in Bezug auf Frauen in der extremen Rechten schwer tut. Insofern ist es sehr dankenswert, dass Agnes Betzler und Katrin Degen hier einen ersten Schritt in ein unerforschtes Feld gemacht haben.

Eike Sanders

Agnes Betzler, Katrin Degen: »Täterin sein und Opfer werden? Extrem rechte Frauen und häusliche Gewalt«, Marta Press, September 2016.