Martin Lohmann (rechts) und Olaf Richter (Mitte) in Annaberg-Buchholz  Foto: Kilian Behrens / apabiz

Wie Essig und Öl

Zum Verhältnis von »Lebensschützern«, Christentum und der AfD

Die »Lebensschutz«-Bewegung steht im Zwiespalt zwischen einem parteifernen christlichen Politikverständnis, das sich an der Pro-Life Bewegung in den USA orientiert, und der derzeitigen Entwicklung der politischen Landschaft nach rechtsaußen. Eine Anbindung an die AfD ist nur für einige Teile attraktiv. In Sachsen scheint es mal wieder ein bisschen anders zu sein.

von Eike Sanders

Am 6. Juni 2016 fand zum siebten Mal in Annaberg-Buchholz ein »Schweigemarsch für das Leben« statt, dieses Jahr mit rund 350 Teilnehmenden plus geschätzten 150 Kindern unter 16 Jahren. Thomas Schneider aus Breitenbrunn, der seit Jahren und offensichtlich immer noch Vorsitzender des Kreisverbandes Erzgebirge und Stellvertretender Landesvorsitzender der Christdemokraten für das Leben (CDL) in Sachsen ist, organisierte erneut den Marsch. Erstmalig meldete er die Veranstaltung als Vorsitzender des neuen Vereines Lebensrecht Sachsen e.V. an. Spekulationen, dass diese Umstrukturierung einer organisatorischen Öffnung hin zur AfD geschuldet sei, dürften für die Person Thomas Schneider zutreffen, sind aber auch symptomatisch für die uns bekannten sächsischen Verhältnisse. Die Verbindungen zwischen der »Lebensschutz«-Bewegung, dem evangelikalen Fundamentalismus, der Neuen Rechten und damit auch der AfD, sind hier real und personell.

Netzwerker am rechten Rand

Thomas Schneider engagiert sich schon lange am rechten Rand der CDU und war 2011 Mitinitiator der Aktion Linkstrend stoppen Sachsen.[1] Während er 2002-2011 die Geschäftsstelle des evangelikalen idea e.V. Ostdeutschland leitete, ist er nun für die Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen AG Welt e.V. und den Lichtzeichen-Verlag tätig. Die AG Welt e.V. will »Menschen Orientierung geben, die sich auf dem freien Markt der Weltanschauungen verirrt haben und sich nicht mehr zurechtfinden. […] Die AG WELT bekennt sich zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift und ist auf Grundlage der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz tätig.« Schneider selbst hält Vorträge zu den Themen »Die Angst vor dem Islam: begründet oder unbegründet?« und »Gender, Sexualität und Familie«. Seine eigene Homepage besteht zu einem erheblichen Teil aus übernommenen Beträgen der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) und idea-Artikeln, sein facebook-Profil wimmelt von AfD-Artikeln und -Bildern. Vor ein paar Wochen schrieb Schneider: »Fast alle deutschen Politiker leiden an Kontrollverlust. Oder kennt jemand einen Politiker außerhalb der AfD, der sich gegen die verfehlte EU-Politik stellt?« (Post vom 22.6.2016). Schneiders zweiter Arbeitgeber, die Lichtzeichen Verlag GmbH, ist unter anderem für den Onlineauftritt der JF verantwortlich, hat aber auch nach Eigenangaben die Webseite des AfD-Kandidaten (Berlin-Steglitz) Hans-Joachim Berg gestaltet.

Schneider ist gut vernetzt in der »Lebensschutz«-Bewegung, zuletzt war er auf dem »Marsch für das Leben« in Berlin als Fotograf unterwegs. Für seine früher doch sehr kleinen Märsche in der sächsischen Provinz mit nur rund 150 Teilnehmenden konnte er diverse prominente VertreterInnen der Bewegung als RednerInnen gewinnen. Dieses Jahr reiste Martin Lohmann vom Bundesverband Lebensrecht (BVL) an, um die Anwesenden auf die Werte seiner »Kultur des Lebens« einzuschwören: »Nein zum Töten. Ja zum Leben. Das Ja zum Leben ist extrem gut, liebe Freunde des Lebens. Immer. Extrem gut. Das Töten hingegen ist extrem extremistisch und radikal falsch.« Immer wieder nahm er Bezug auf die rund 500 demonstrierenden Pro-Choice Aktivist*innen (»Emanzipation ist viel geiler«) vor Ort, die seiner Meinung nach »irre geleitet[e]«, »komatisiert[e]Schreihälse« und »Touristen« seien, »weil man ihnen den Auftrag gegeben hat, sie wissen ja gar nicht, auf welcher Veranstaltung sie hier sind.« Lohmann wiederholte Phrasen, die er schon 2015 in Berlin benutzte: »Wir brauchen keinen Extremismus mehr, weder einen rot lackierten braunen Extremismus noch einen braun lackierten roten Extremismus. Kein Extremismus mehr in Deutschland!«

Schneiders (meta-)politische Identität ist christlich. Dies spiegelt sich in seiner Bezugnahme auf klerikale Größen, den Redebeiträgen auf dem Marsch – dieses Jahr sprach der Superintendent des evangelisch-lutherischen Kirchenbezirks Annaberg Dr. Olaf Richter – und der Verteilung des Buches »Pro Life – Argumente gegen die Tötung Ungeborener« von Randy Alcorn wieder, einem Bestseller aus dem USA, das mit seiner Übersetzung ins Deutsche »die schläfrige Christenheit in Deutschland wachrufen« möchte.

Gegenseitige Skepsis

Die zahlreich vorhandenen offenen Sympathiebekundungen aus der »Lebensschutz«-Bewegung für die AfD gehen bisher von Einzelpersonen aus, es ist keine gemeinsame organisatorische Annäherung zu erkennen – weder biedert sich die AfD der »Lebensschutz«-Bewegung an, noch schwören »LebensschützerInnen« ihre MitstreiterInnen auf die AfD als Vollstreckerin ihrer Ziele ein. Derzeit muss die Frage, ob sich die »Lebensschutz«-Bewegung mit der AfD verbündet – trotz aller ideologischen Übereinstimmungen und realer Schnittmengen – mit Nein beantwortet werden.

Auch von Seiten der AfD ist das Verhältnis zum christlichen Bekenntnis weiterhin uneindeutig. Der rund 100 Mitglieder[2] umfassende Arbeitskreis Christen in der AfD (ChrAfD) gründete sich bereits Beginn 2015 und harrt immer noch einer Anerkennung als offizielle Parteivereinigung auf Bundesebene. Einen Hinweis auf die Gruppierung sucht man auf der Internetseite der AfD vergeblich.[3] Trotz eines Weltbildes, das in vielen Punkten der Kulturkritik der »Lebensschutz«-Bewegung entspricht, konnten sich klare Abtreibungsverbotsforderungen bei der Verabschiedung des Grundsatzprogramms der Partei nicht durchsetzen, man hatte Angst als »rückwärtsgewandte Abtreibungsgegner«[4] dazustehen. Eingebettet in schwammige moralische Positionierungen heißt es letztendlich: »Die AfD steht für eine Kultur des Lebens und ist im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung der Meinung, dass der Lebensschutz bereits beim Embryo beginnt. Wir fordern daher, dass bei der Schwangerenkonfliktberatung das vorrangige Ziel der Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens ist. […] Die AfD wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibungen zu bagatellisieren, staatlicherseits zu fördern oder sie gar zu einem Menschenrecht zu erklären.« All dies entspricht den Grundzügen des Grundgesetzes und der §218 und §219 StGB seit 1993.

Getrennt zusammen

Wenn in Sachsen eine offenere Anbindung der »Lebensschützer« an Parteien wie bei Thomas Schneider zu beobachten ist, so ist dies derzeit der Sonderfall. Die deutsche »Lebensschutz«-Bewegung orientiert sich weiterhin und verstärkt an der US-amerikanischen Pro-Life Bewegung. Deren Ziel ist es, einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft in Bezug auf die Frage um die juristische und vor allem die moralische Legitimität von Schwangerschaftsabbrüchen zu erreichen. In Deutschland ist der Bundesverband Lebensrecht unter Martin Lohmann mit seinem jährlichen »Marsch für das Leben« in Berlin mit mehreren Tausend Teilnehmenden das Erfolgsmodell der »Lebensschutz«-Bewegung. In all den Jahren seines Bestehens hat er sich sowohl parteipolitisch als auch konfessionell unabhängig behauptet. Parteifahnen und -abzeichen fehlen auf den Märschen und den Webseiten der über 60 expliziten »Lebensschutz«-Organisationen in Deutschland. Martin Lohmann und der BVL werden trotz ihrer christlich motivierten Opposition zum Islam an einer pegida-mäßigen Radikalisierung und eine Ausweitung auf offen rassistische und neonazistische Positionen durch AfD-AnhängerInnen nicht interessiert sein. Er möchte sich seine Inszenierung als zutiefst bürgerliche, konservative gefährdete Christen-Minderheit nicht kaputt machen lassen. Zu unchristlich sind große Teile der AfD. Und sicherlich meinen viele ChristInnen, die Abtreibung verdammen und real oder potenziell bereit sind, dafür auf die Straße zu gehen, ihr christlich-humanitär (oft rassistisch-paternalistisches) begründetes Engagement für eine »Willkommenskultur« auch für Geflüchtete noch ernst genug.

Gleichzeitig haben aber auch weder Lohmann als Person, noch die Bewegung in ihrer Heterogenität ein Interesse daran, die wachsende Anzahl an AfD-WählerInnen und FunktionärInnen zu verlieren. Eine offene Distanzierung von extrem rechten ProtagonistInnen wie Thomas Schneider und Beatrix von Storch ist nicht zu erwarten, eine offene Positionierung für die AfD als Heimat der ChristInnen ist aber auch aus beiden Richtungen nicht opportun. Für die ChristInnen bleibt die Parteienpräferenz individuelles politisches Engagement, für die AfDlerInnen das Glaubensbekenntnis ihrer Mitglieder Privatsache. Eine Analyse, die AfD und Lebensschützer als eine Sauce begreift, verkennt den Wert der Trennung: Von diesem Abkommen der Uneindeutigkeit profitieren derzeit beide Seiten mehr als von einer offenen Verschwesterung. Und so bleiben die »Lebensschutz«-Bewegung und die AfD wie Essig und Öl: sie passen gut zusammen, verbinden sich aber nicht.

 

  1.  Vgl: Rechtsruck gegen den »Linkstrend«, in: AIB #93 (4/2011) www.antifainfoblatt.de
  2.  Ulli Jentsch: Die »Lebensschutz«-Bewegung und die AfD, in: Alexander Häusler (Hrsg.): Die Alternative für Deutschland. Programmatik, Entwicklung und politische Verortung, Wiesbaden 2016, S. 99-107.
  3.  Zum Weiterlesen: ebd.
  4.  So Ulrich Neymeyr in der Antragsbegründung LT327