Demonstration der Identitären Bewegung am 17. Juni in Berlin-Mitte  Foto: Christian Ditsch

»Wer sich auf die Bewegung einlässt, gewinnt ein Schicksal«

Am 17. Juni veranstaltete die Identitäre Bewegung ihre erste Demonstration in Berlin. Unter dem Motto »Aufstand gegen das Unrecht« demonstrierten rund 150 Personen in Berlin-Mitte. Wir haben dies zum Anlass genommen, uns die Identitären genauer anzuschauen.

von Vera Henßler

Die Identitäre Bewegung hat ihre Ursprünge in Frankreich und wurde spätestens im Oktober 2012 darüber hinaus bekannt. Damals besetzten einige Dutzend Personen der Génération Identitaire, der Jugendorganisation des extrem rechten Bloc Identitaire, über mehrere Stunden das Dach einer in Bau befindlichen Moschee in Poitiers. Dabei entrollten die Identitären ein Banner mit der Zahl 732 und dem Symbol der Bewegung: dem griechischen Lambda auf gelbem Grund. Dieser symbolische Rückbezug auf historische Ereignisse spielt bei fast allen Aktionen der Identitären eine wichtige Rolle. Im Jahr 732 errang Karl Martell in Poitiers den Sieg gegen die Mauren. Der symbolisch und pathetisch aufgeladene Aktionismus der Identitären ist seitdem Kennzeichen der Bewegung und knüpft auch an ältere Versuche der Neuen Rechten an, die 2007 durch Götz Kubitschek unter dem Label Konservative Subversive Aktion initiiert worden waren. Nicht nur deswegen ließen sich die Identitären als vermeintliche Jugendbewegung der Neuen Rechten beschreiben, wäre da nicht der Umstand, dass die Aktionen der Identitären in Deutschland von einem relativ kleinen Kreis umgesetzt werden – von einer Bewegung kann also derzeit keine Rede sein. Dennoch: Stilmittel, die in den neurechten Altmännerzirkeln immer wieder diskutiert worden waren, werden nun durch die zumeist jugendlich-männlich dominierten Identitären umgesetzt. Dass diese innerhalb der Neuen Rechten bestens vernetzt sind und von der älteren Generation unterstützt werden, verdeutlichen die Diskussionen, die in den neurechten Publikationen und Zirkeln wie der Sezession und dem Institut für Staatspolitik (IfS) geführt werden.

Wie die Texte der Neuen Rechten sind auch die Publikationen der Identitären stets pathosgeladen. Ein exemplarisches Beispiel ist der Artikel »Neugeburt des Mythos« aus einer 2013 erschienenen Publikation der Identitären Generation aus Österreich. Darin fabuliert der Autor über den Mythos als »Todfeind« der Aufklärung. Ein »gemeinsamer Mythos Europa« sei es, der derzeit allein von den Identitären herbeigesehnt werde und das »Europa der Vaterländer« in eine gemeinsame Zukunft führen werde: »Der Mythos ist keine Sache der Erklärung, der ratio und der argumentativen Überredung. Doch die mobilisierende Kraft des Mythos für die Gemeinschaft ist ebenso unmittelbar und raumgreifend wie jene symbolische und mitreißende Aktion, welche die identitäre Idee aus Frankreich nach ganz Europa katapultiert hat. Wie der Mythos Bedeutung und Sinn spendet, so wird das Leben des Tatmenschen und Aktivisten zum Abenteuer und Epos. (…) Statt mit tollen Parties, ‚Goodies‘, Karrierechancen und Geld junge Menschen zu ködern, wie das alle Parteien betreiben, bietet die Bewegung ihren jungen Neuankömmlingen nichts, was von dieser Welt und dieser Zeit ist. Sie ist eine anspruchsvolle Geliebte und fordert uns alles ab. Wer sich auf sie einlässt, der hat keine Karriere mehr, gewinnt aber dafür ein Schicksal.«[1] Dem Pathos inhärent ist die Vorstellung einer Vorreiterrolle der Identitären für die rechte Bewegung in Europa – ein elitärer Zirkel, der weiß, was Sache ist. Erst am Ende des Textes scheint durch, worum es geht, nämlich um eine »Front der Patrioten«, mit der jetzt die letzte Chance einer »Reconquista« bestehe. Da ist er wieder, der historische Bezug. Einen Hauptfeind hat die Identitäre Bewegung im Islam ausgemacht – vor dem es Europa zu bewahren gelte.

»Auch die Identitäre Bewegung ist eine Alternative für Deutschland«

Unter dem Kampagnenmotto »Der große Austausch«, einer von dem Franzosen Renaud Camus in seinem Buch »Revolte gegen den großen Austausch« geprägten Formel, warnen die Identitären vor einem drohenden Volkstod – das »Volk« solle ausgetauscht werden. Die gewählte Rhetorik offenbart, dass hinter der Asylpolitik ein gezielter Plan vermutet wird – eine Denkfigur, die auch etliche weitere ProtagonistInnen der völkisch-nationalistischen Bewegung teilen. Etwa Alexander Gauland, AfD-Vize aus Brandenburg, der jüngst auf einer Kundgebung in Elsterwerda zur Asylpolitik konstatierte: »Es ist der Versuch, das deutsche Volk allmählich zu ersetzen durch eine aus allen Teilen dieser Erde herbeigekommene Bevölkerung.« Gauland ist nur ein Beispiel dafür, dass die identitäre Rhetorik längst in der rechten Bewegung angekommen ist. Während inzwischen einige Landesämter für Verfassungsschutz dazu übergegangen sind, die Identitären zu beobachten, haben die rechten Hardliner der AfD beschlossen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. So erklärte die Patriotische Plattform (PP), ein Zusammenschluss von AfD-Mitgliedern und Unterstützern um den AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt, dass an der Demonstration der Identitären in Wien am 11. Juni auch zwei Vorstandsmitglieder der PP teilgenommen hätten: »Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeiten zwischen Identitärer Bewegung und AfD und auch die Identitäre Bewegung ist eine Alternative für Deutschland.«[2] In Reaktion auf diesen offenen Schulterschluss haben Teile der AfD aus Sachsen-Anhalt, darunter etliche Landtagsabgeordnete, einen offenen Brief unter dem Titel »Ruf der Vernunft« veröffentlicht. Darin verwahren sie sich dagegen, dass »eine Organisation, wie die Patriotische Plattform (PP), den Anschein erweckt, für die Mehrheit der AfD zu sprechen«. Während es den InitiatorInnen zunächst um eine strategische Abgrenzung nach rechtsaußen geht, indem man sich auch gegen eine Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung ausspricht, wird gleichzeitig eine »pauschale Distanzierung von bürgerlichen Protestbewegungen« abgelehnt. Damit stellen sich die UnterzeichnerInnen des Briefes zwischen die Rechtsaußenprotagonisten der Partei wie die PP, die explizit eine Zusammenarbeit mit PEGIDA oder den Identitären einfordern, und Teile der Parteispitze um Frauke Petry, die immer eine gewisse Distanz zu PEGIDA bewahrt haben. Erst im Mai hatte der Bundesvorstand der Partei einen entsprechenden Beschluss gefasst, Distanz zu wahren, der nun vom rechten Flügel vor dem Bundesschiedsgericht der AfD angefochten wird.

Lokal gibt es etliche Überschneidungen zwischen der AfD bzw. ihrer Jugendorganisation Junge Alternative und der Identitären Bewegung, etwa in Berlin. Jannik Brämer ist einer der Protagonisten der lokalen Identitären und zugleich Schatzmeister der Berliner Jungen Alternative. Bei den anstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) tritt Brämer für die AfD als BVV-Kandidat im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf an. Bis vor kurzem zeichnete Brämer zudem für die Internetseite der Identitären Bewegung in Deutschland verantwortlich. Während einige Protagonisten der Berliner Identitären aktuell auf den Listen der AfD kandidieren, fielen sie in der Vergangenheit durch Störungen des parlamentarischen Betriebes auf. So traten die Berliner Identitären das erste Mal im März 2013 aus dem virtuellen Raum in die Öffentlichkeit. Die Aktion richtete sich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in einer ehemaligen Seniorenunterkunft im eher bürgerlich geprägten Stadtteil Reinickendorf. Während einer Sitzung der BVV entrollten einige Aktivisten ein Transparent mit der Aufschrift »Für unsere Alten Spott und Kälte. Für Asylanten Lob und Knete.« An der Störaktion war auch Jörg Sobolewski beteiligt. Sobolewski ist Kandidat der AfD auf der Berliner Landesliste und bekleidet derzeit das Amt des Vorsitzenden der Deutschen Burschenschaft (DB) für die Berliner Burschenschaft Gothia. Die Gothia hat in diesem Jahr den Vorsitz der DB inne. Diese ist innerhalb der Burschenschaftsszene wegen ihrer politischen Ausrichtung nicht unumstritten: Etliche Burschenschaften haben die DB in den vergangenen Jahren aufgrund ihrer extrem rechten Ausrichtung verlassen. Die Gothia stellte in den letzten Jahren wiederholt ihre Räumlichkeiten für Veranstaltungen des IfS zur Verfügung, auch die Junge Alternative nutzte die Räumlichkeiten der Gothia für ihre Treffen. Diese Gemengelage steht beispielhaft für das Milieu, aus dem sich die Identitären, ebenso wie der rechte Flügel der AfD, rekrutieren. Dass diese personellen Überschneidungen auch mal Verwirrung stiften können, verdeutlicht die Beantwortung einer schriftlichen Anfrage des Berliner Abgeordneten Hakan Taş zu den Berliner Identitären. [3] Nach Angaben der Senatsverwaltung für Inneres und Sport hätten diese am 31. Oktober in Berlin-Mitte eine Demonstration durchgeführt. Wer dort eigentlich demonstrierte, war jedoch die AfD, die im Rahmen ihrer »Herbstoffensive« dazu aufgerufen hatte, Merkel die rote Karte zu zeigen. Unter den rund 200 DemonstrantInnen befanden sich auch mehrere Protagonisten der Berliner Identitären Bewegung.

Aktionsjahr 2016

Auch wenn die Identitären zunehmend in den Fokus der Berichterstattung rücken, ist der deutsche Ableger nach wie vor nicht mit den besser aufgestellten Identitären in Österreich oder gar Frankreich vergleichbar. Die Zahl der Aktivisten ist überschaubar. Anfang März waren rund 120 Identitäre zu einem »Deutschlandtreffen« zusammengekommen. Nils Altmieks, der seit einiger Zeit als Sprecher der Identitären in Deutschland fungiert, wird seitdem stellvertretend von Sebastian Zeilinger aus Bayern unterstützt. Martin Sellner, Aushängeschild der Identitären in Wien, rief zu diesem Anlass dazu auf, »Gesicht zu zeigen«, und »seine Ängste in Bezug auf soziale Reputation und Karriere zu überwinden«.[4] So habe es die Identitäre Bewegung in Österreich geschafft, durch eine Etablierung in der Öffentlichkeit vor sozialer Isolierung zu schützen. Auch innerhalb der neurechten Zirkel wurde die Präsenz in der Öffentlichkeit schon vor einigen Jahren als Zielmarke vorgegeben, um langfristig erfolgreich zu sein: »Irgendwann muss man im öffentlichen Raum präsent sein, real, körperlich.«[5] Diesen Versuch starteten die Berliner Identitären am 17. Juni.

»Wir sind die erste Reihe des patriotischen Widerstands«

Einmal mehr bezogen sich die Identitären mit ihrer Demonstration gezielt auf historische Ereignisse: Am 17. Juni 1953 waren in der DDR rund eine Million Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die erhöhten Arbeitsnormen und soziale Missstände zu protestieren. Der Aufstand wurde militärisch niedergeschlagen. Von dem in der Mobilisierung pathetisch gesetzten historischen Bezug – in dessen Tradition (»Volksaufstand gegen die Herrschenden«) man sich wohl wähnte, blieb auf der Demon-stration allerdings wenig übrig. Während die Wiener Identitären am 11. Juni immerhin rund 800 AnhängerInnen auf die Straße mobilisieren konnten, folgten dem Aufruf in Berlin nur rund 150 Personen. Die maue Beteiligung wurde durch die Redner dahingehend umgedeutet, dass die Identitären als Speerspitze, als Elite auf der Straße stehen, stellvertretend auch für alle, die sich aufgrund der »linken Meinungsdiktatur« noch nicht trauen würden. So hielt Sellner, der nach Berlin gekommen war, im Rückblick auf die drei in Folge stattgefundenen Demonstrationen der Identitären in Paris, Wien und Berlin fest: »Und wichtig war, bei jeder Demo, ich war bei allen dreien dabei, haben wir genau gezeigt, dass wir wissen, wann wir Stärke zeigen müssen, wann wir, ja, uns zurückhalten müssen, wir haben gezeigt, dass wir Disziplin haben. Und diese Disziplin macht uns als identitäre Aktivisten allen anderen überlegen, wir sind die erste Reihe des patriotischen Widerstands.«

In diese »erste Reihe des patriotischen Widerstands« hatten sich neben den Identitären aus Berlin-Brandenburg und einigen Identitären aus Bayern, die mit schwarz-gelben Fahnen im bayerischen Rautenlook erschienen waren, auch Identitäre aus dem Harz eingereiht. Dahinter verbergen sich ehemalige Aktivisten der Jungen Nationaldemokraten (JN), die einige Monate lang im sachsen-anhaltischen Wernigerode Kundgebungen organisiert hatten. Zwei von ihnen waren bereits vor fünf Jahren in Berlin: Am 14. Mai 2011 hatten rund 100 Neonazis versucht, einen ausschließlich intern mobilisierten Aufmarsch unter dem Motto »Wahrheit macht frei« in Berlin-Kreuzberg durchzuführen.[6] Die von Sebastian Schmidtke angemeldete Veranstaltung konnte aufgrund von Gegenprotesten nicht durchgeführt werden. Von Seiten der Neonazis kam es dabei zu massiven Angriffen auf vier junge Gegendemonstranten, die auf der Straße saßen. Mit dabei waren auch Michele K. und Michael M. – die heute als Identitäre Bewegung Harz auftreten. Gegen letzteren steht aufgrund der Übergriffe in Kreuzberg ein Prozess noch aus.
Es bleibt offen, ob die Berliner Identitären nach dieser eher schlappen Demonstration mit wenig Medienresonanz doch lieber wieder zu unangekündigten Störaktionen zurückkehren werden. Dass wir auch in Zukunft noch von ihnen hören werden, haben sie bereits mit dem bevorstehenden »Sommer des Widerstands« angekündigt, von dem die Demonstration am 17. Juni der Auftakt gewesen sein soll.

 

 

 

  1.  »Die Neugeburt des Mythos«, in: »Aufbruch«, Identitäre Generation, Wien 2013, S. 11.
  2.  »Wir sind Identitär«- Beitrag auf patriotische-plattform.de vom 14.06.2016 (Fehler im Original).
  3.  Schriftliche Anfrage vom 06. Juni 2016: »Die rechte Identitäre Bewegung in Berlin«, Drucksache 17/18661.
  4.  Zitiert nach: Blaue Narzisse: »Neu aufgestellt ins nächste Jahr«
  5.  Im Rahmen eines Kamingespräches einiger neurechter ProtagonistInnen um die Jahreswende 2013/2014, das in Ellen Kositzas und Götz Kubitscheks Rittergut in Schnellroda stattgefunden hat und später in Kubitscheks Verlag Antaios publiziert wurde, sind sich die GesprächsteilnehmerInnen weitestgehend einig, dass die Identitären nur dann eine breitere Resonanz bekommen, wenn sie auch außerhalb des virtuellen Raumes agieren.
  6.  Vgl. dazu ausführlich unser Dossier »Scheitern in Kreuzberg«: klick