Die Bedrohung wächst

Rassistische Mobilisierungen in Berlin und Brandenburg

2015 hat es in Berlin und Brandenburg einen massiven Anstieg extrem rechter, vor allem rassistisch motivierter Straßenaktionen gegeben. Parallel dazu stieg das Ausmaß rechter Gewalt dramatisch an und erreichte neue Höchstwerte. Für das laufende Jahr 2016 zeichnet sich ab: Dieser bedrohliche Trend ist längst noch nicht beendet.

von Frank Metzger und Kilian Behrens

Am 12. März 2016 fand unter dem Motto »Merkel muss weg« mit etwa 2.000 Teilnehmenden einer der größten Aufmärsche der extremen Rechten1 in Berlin seit etlichen Jahren statt. Das Ausmaß hatte nicht nur die Polizei, sondern auch Antifaschist_innen überrascht und war im Vorfeld unterschätzt worden. Aufgerufen hatte Enrico Stubbe, Bundesvorstandsmitglied von Pro Deutschland und Dauergast bei den wöchentlichen Protesten von Bärgida (»Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes«). Ähnlich wie dort versammelte sich eine absurde Mischung: Neben antimuslimischen RassistInnen, verschwörungsideologischen AntisemitInnen, Hooligans und AfD-Mitgliedern waren eine Vielzahl auch überregional angereister Neonazis gekommen. Letztere wurden widerspruchslos vom Rest der Anwesenden akzeptiert – die Kameradschaft Northeim um den langjährigen Neonazi-Aktivisten Thorsten Heise konnte[1] sich gar offensiv mit eigenem Transparent präsentieren. Diese spektrenübergreifende Einheit trotz offenkundiger Widersprüche ist exemplarisch für die seit etwa anderthalb Jahren bundesweit stattfindenden extrem rechten Straßenaktivitäten. Rassismus und Asylfeindlichkeit, völkischer Nationalismus, die Ablehnung etablierter Parteien und Medien sowie von EU und USA kombiniert mit einer Pro-Russland-Haltung sind die einende Klammer. Das gilt auch für die meisten Veranstaltungen in Berlin und Brandenburg im vergangenen Jahr. Rassismus und Asylfeindlichkeit hatten die mit Abstand größte Mobilisierungskraft. Themen mit direktem NS-Bezug, die in der extremen Rechten sonst traditionell eine wichtige Rolle spielen, hatten 2015 hingegen kaum Relevanz.

Berlin 2015 – ein Blick zurück

Fast fünfmal pro Woche gab es in 2015 extrem rechte Demonstrationen und Kundgebungen im Berliner Stadtgebiet.2 Nach Auswertungen des apabiz lassen sich 95 Veranstaltungen mit mindestens 50 Teilnehmenden belegen. Der Wert steigt auf 234, zählt man auch kleinere Aktionen hinzu. Lokale Schwerpunkte waren die Bezirke Marzahn-Hellersdorf mit insgesamt 63 und Berlin-Mitte mit 59 Veranstaltungen, gefolgt von Treptow-Köpenick (45), Lichtenberg (24) und Pankow (22). Die Summe der Teilnehmenden ist in Mitte mit 12.200 und in Marzahn-Hellersdorf mit 3.000 Personen am Höchsten. Insgesamt haben rund 19.250 Personen an entsprechenden Veranstaltungen teilgenommen. Die auffallend hohen Zahlen für Berlin-Mitte sind bedingt durch die wöchentlichen Demonstrationen von Bärgida sowie drei Demonstrationen im Rahmen der »Herbstoffensive« der Alternative für Deutschland (AfD).

Vor allem die bereits in 2014 auffälligen östlichen Stadtrandbezirke sind die brisanten Problemregionen, die weiterhin Sorge bereiten. Im Vergleich zum Ende des Jahres 2014, als sich zahlreiche »Nein-zum-Heim«-Gruppen formierten und ein vorläufiger bedrohlicher Höhepunkt der Straßenmobilisierung in Berlin erreicht war, ließ die Beteiligung an den rassistischen Protesten 2015 stark nach. Noch im Dezember 2014 folgten bis zu 1.000 Menschen den Aufrufen der neonazistisch geprägten Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf. 2015 schrumpfte die Beteiligung im Bezirk sukzessive auf durchschnittlich unter 50 Personen, dieser harte Kern führte jedoch weiterhin über das ganze Jahr verteilt Kundgebungen durch. Auch in den Bezirken Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Pankow waren es vor allem die NPD und örtliche »Nein-zum-Heim«-Initiativen, die gegen Geflüchtete Stimmung machten. Eine trennscharfe Unterscheidung ist jedoch in den meisten Fällen aufgrund personeller und inhaltlicher Überschneidungen kaum möglich. In der Regel beteiligten sich hier selten mehr als wenige Dutzend Personen. Auch Bärgida konnte die anfängliche Beteiligung von etwa 400 Personen nicht festigen und zog über Monate hinweg kaum mehr als 120 TeilnehmerInnen auf die Straße. Trotz der geringen Gruppengröße sind zwei Aspekte bemerkenswert. Das ist zum einen die anhaltende Ausdauer, mit der sich die Teilnehmenden Woche für Woche zusammenfinden. Zum anderen überrascht es, dass die verschiedensten extrem rechten Akteure ihre an anderer Stelle offen zum Tragen kommenden Animositäten und offensichtlichen inhaltlichen Widersprüche dauerhaft ausblenden und bei Bärgida gemeinsam auf die Straße gehen. Dabei ergeben sich so skurrile Konstellationen wie eingangs beschrieben. Mit Ausnahme der AfD-Demonstration am 7. November 2015 mit etwa 3.800 Teilnehmenden waren größere Mobilisierungserfolge der extremen Rechten mit mehr als 500 Personen in Berlin im vergangenen Jahr kaum zu beobachten. Vielmehr ist man mit einer unübersichtlichen Szenerie kleinerer Demos und Kundgebungen konfrontiert, bei denen bekannte AktivstInnen jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um ihren Rassismus auf die Straße zu tragen und damit vor allem in der Umgebung von Asylunterkünften ein Bedrohungsszenario aufrecht erhalten.

Same Procedure in Brandenburg

In Brandenburg vollzog sich analog dazu eine sehr ähnliche Entwicklung. Wie das Aktionsbündnis Brandenburg in einer Anfang Februar 2016 veröffentlichten Auswertung zeigt, haben die Straßenaktivitäten der extremen Rechten massiv zugenommen.3 So fanden insgesamt 105 Aktionen mit einer Anzahl von mindestens 50 Teilnehmenden statt. Im Vergleich dazu waren es 2014 lediglich zehn. In den vergangenen 15 Jahren lag der Wert generell weit unter den 2015er Zahlen und pendelte zwischen vier bis elf Aktionen jährlich. Werden auch diejenigen mit geringerer Größe hinzu gezählt, sind in Brandenburg für das Jahr 2015 insgesamt 210 Aktionen mit einer Gesamtteilnahmezahl von etwa 23.300 Menschen zu verzeichnen. Die größten Versammlungen waren am 31. Oktober in Lübbenau, als rund 700 Menschen einem Aufruf der Initiative Zukunft Heimat folgten und am 25. November in Cottbus mit rund 650 Menschen bei einer AfD-Demonstration. Auch wenn die Zunahme rassistischer Straßenaktionen in Brandenburg ein landesweites Problem darstellt, sind auch hier regionale Schwerpunkte festzustellen. Im Landkreis Oder-Spree und im Havelland wurde am häufigsten demonstriert, am seltensten dagegen in der Landeshauptstadt Potsdam und in Barnim. Die in der Summe höchsten Teilnahmezahlen sind mit insgesamt über 4.300 Personen aus Cottbus zu vermelden.

Beim Großteil der Straßenaktionen lässt sich auch in Brandenburg weiterhin der Trend feststellen, dass Neonazis und andere extreme Rechte nur indirekt ihre Gesinnung zeigen und mit der Tarnung unverfänglich anmutender, vermeintlicher »Bürgerinitiativen« die Proteste organisierten. Doch auch unter eigenem Label führten neonazistische Strukturen 2015 offensive und unmissverständliche Straßenaktionen durch. Am 7. Juni etwa organisierten Brandenburger Neonazis mit dem Tag der deutschen Zukunft (TDDZ) in Neuruppin sogar einen Aufmarsch mit bundesweiter Beteiligung, an dem rund 550 Personen teilnahmen. Der TDDZ ist seit 2009 ein bedeutsames Szene-Event. Unter diesem Motto fanden seitdem Aufmärsche in verschiedenen meist nordwestdeutschen Bundesländern statt. 2015 konnte der TDDZ erstmals durch Gegenproteste erfolgreich blockiert werden. Bei den Veranstaltungen, die die NPD und JN in Brandenburg 2015 unter eigenem Parteilabel organisierten, handelte es sich in der Regel um kleinere Kundgebungen. Insgesamt waren dies 63 meist rassistische Aktionen. Damit war die NPD weiterhin der wichtigste Akteur im neonazistischen Spektrum Brandenburgs. Anders als in Berlin, organisierte auch die Neonazipartei Der III. Weg eigene Kundgebungen.

Rassistische Gewalt in Berlin und Brandenburg eskaliert

Auch wenn sich ein direkter Zusammenhang in den meisten Fällen nur schwer belegen lässt, ist unbestreitbar festzustellen, dass parallel zu den Straßenaktivitäten tätliche Angriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte in alarmierendem Maße angestiegen sind und mancherorts zum bedrohlichen Alltag gehören. Dies bestätigen die am 8. März 2016 veröffentlichten Zahlen zu extrem rechter und rassistischer Gewalt in Berlin, die von Reach Out, der Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, in Kooperation mit den in fast allen Bezirken tätigen Registerstellen zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin zusammengetragen wurden4. Diese verzeichnen nach derzeitigem Kenntnisstand für 2015 einen besorgniserregenden Anstieg um 80% auf 320 Angriffe (2014: 179), bei denen 412 Menschen (2014: 266) verletzt oder bedroht wurden. Rassismus war dabei mit 175 Taten das mit Abstand häufigste Tatmotiv. Allein 39 Angriffe wurden im direkten Umfeld von Unterkünften für Geflüchtete registriert. Wie schon bei den Straßenaktivitäten sind bei den konkreten Gewalttaten ebenfalls die östlichen Stadtrandbezirke die bedrohlichen Schwerpunktregionen. Besonders hebt sich auch hier Marzahn-Hellersdorf ab, wo insgesamt 71 Angriffe verübt wurden.

Am 1. März 2016 veröffentlichte der Verein Opferperspektive die Zahlen zu rechter Gewalt in Brandenburg für das Jahr 2015.5 Die bezifferten 203 rechten Angriffe bedeuten das höchste Niveau seit 15 Jahren und einen besorgniserregenden Anstieg um 120%. Betroffen waren mindestens 415 Personen. Bei 136 Fällen beziehungsweise 67% war Rassismus das Tatmotiv. Bei ebenfalls zwei Drittel beziehungsweise 137 der Taten wird als Straftatbestand Körperverletzung benannt. Hinzu kommen 10 Brandstiftungen. Während es in den überwiegenden Fällen rassistischer Brandstiftungen bisher kaum Festnahmen oder gar Verurteilungen gab, scheint es nun im Falle des Brandanschlags auf eine als Notunterkunft geplante Sporthalle in Nauen vom August 2015 einen Ermittlungserfolg zu geben. Am 1. März 2016 wurden gegen fünf Neonazis polizeiliche Razzien durchgeführt. Zwei dringend Tatverdächtige wurden verhaftet und eine Neonazistin kurzzeitig festgenommen, eine weitere Person blieb zunächst flüchtig. Die Neonazis sollen für einen rassistischen Brandanschlag in Nauen auf ein Auto eines Polen im Mai 2015 verantwortlich sein. Außerdem werden der Gruppe der rassistische Brandanschlag auf die Sporthalle zugerechnet sowie ein Zusammenhang mit weiteren Straftaten geprüft. Der langjährige NPD-Aktivist Maik Schneider sitzt als eine der zentralen Personen in Untersuchungshaft. Schneider ist eine Schlüsselfigur der Brandenburgischen Neonaziszene und überregional bestens vernetzt. Laut Behördenangaben wird im Zuge der Ermittlungen der Tatvorwurf der »Bildung einer kriminellen Vereinigung« geprüft.

Kein Grund zur Entwarnung

Bereits die ersten drei Monate des laufenden Jahres 2016 verheißen nichts Gutes. Die Zahlen der rassistischen Mobilisierungen und Gewalttaten in Berlin und Brandenburg bleiben auf einem anhaltend hohen Niveau. Positiv stimmt, dass der Pegida-Ableger in Potsdam aufgrund breiter und anhaltender antifaschistischer Proteste zum Teil erfolgreich blockiert und somit kaum Fuß fassen konnte. Bärgida trifft sich nach wie vor jeden Montag und auch die NPD und neonazistische »Nein zum Heim«-Initiativen zeigen sich anhaltend aktiv. Vor allem für Berlin sind die Prognosen bezüglich der Häufigkeit derartiger Proteste alles andere als beruhigend. Im Zuge des Wahlkampfes für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September werden zu den ohnehin zahlreichen Veranstaltungen noch etliche Kundgebungen und Demonstrationen von NPD, Pro Deutschland und AfD dazukommen. Die Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen im März werden ein selbstsicheres Artikulieren rassistischer und nationalistischer Positionen weiter bestärken und so ihre Entsprechung in der Demonstrationspolitik finden.

Die aktuellen Entwicklungen in Berlin und Brandenburg sind dabei im Kontext einer bundesweiten Zunahme extrem rechter Proteste und Gewalttaten zu sehen. Auch wenn im Vergleich zu anderen Regionen die Aktivitäten in Berlin und Brandenburg relativ gering sind, darf das nicht über die konkrete Bedrohung hinwegtäuschen. Weiter befeuert wird die Situation durch die Übernahme asylfeindlicher und rassistischer Positionen im öffentlichen Diskurs. Mit der Fixierung auf den gemeinsamen Nenner – die Feindschaft gegen Asyl, »den« Islam und die aktuelle Politik der Bundesregierung – scheint eine neue rechte Bewegung möglich. Diese bezieht ihr Identitätsangebot vor allem aus klassischen Motiven wie Volk und Nation. So schaffen es extrem rechte Akteure mehr und mehr, die sonst bekannten Konfliktlinien innerhalb der Szene zu überwinden. Ein Ende dieser Entwicklung scheint vorerst nicht in Sicht.

 

  1.  In diesem Artikel fungiert der Begriff »extreme Rechte« als Sammelbezeichnung für ein sehr heterogenens Milieu, das sich durch Ideologien der Ungleichwertigkeit auszeichnet. Das Spektrum reicht dabei vom neonazistischen Lager von NPD und parteiungebundenen Gruppen bis hin zur AfD, die aufgrund von rassistischen und nationalkonservativen bis hin zu völkischen Positionen hier erfasst wird.