Neben der Partei selbst machte auch der Verein "Recht und Freiheit" offensiv Wahlkampf und warb mit Plakaten sowie einem großflächig verteilten "Extrablatt" für die Partei. Die AfD streitet einen direkten Kontakt zum Verein ab.  Foto: apabiz

AfD erntet Früchte asylfeindlicher Mobilisierungen – Wahlen in Berlin

Es war nicht anders zu erwarten: Am 18. September ist die AfD auch in Berlin mit 14,2% in das Abgeordnetenhaus (AGH) sowie in alle Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) eingezogen. Dabei profitierte sie auch von den asylfeindlichen Mobilisierungen der vorangegangen Jahren. Dass dies nicht zwangsläufig so sein muss, verdeutlichen hingegen die Zahlen rund um 18 geplante Unterkünfte. Hier lagen die AfD-Ergebnisse teilweise gar unter dem landesweiten Durchschnitt.

Für die NPD endete der Wahlabend in einem Debakel und verdeutlichte einmal mehr den desolaten Zustand der Partei. Das Ergebnis von gerade einmal 0,6 Prozent (9453 Stimmen) ist im Vergleich zur Abgeordnetenhauswahl 2011 ein Minus von 1,5 Prozentpunkten. Auch bei den Wahlen zu den BVVen sah es nicht besser aus. Kein einziger Sitz entfiel auf die Partei, die bisher mit jeweils zwei Mandaten in drei Bezirken vertreten war. Teilweise lag man hier sogar noch hinter Pro Deutschland, die landesweit nur 0,4% erreichten. In Reaktion auf das desaströse Abschneiden wählte die Berliner NPD am 8. Oktober einen neuen Vorstand. Als neuer Vorsitzender wurde mit knappen 20 von 36 Stimmen Uwe Meenen gewählt, der bereits ab Februar 2010 für zwei Jahre Vorsitzender gewesen war. Der bisherige Landeschef Sebastian Schmidtke ist künftig lediglich Beisitzer.

Pro Deutschland zog am Tag nach der Wahl umgehend Konsequenzen aus dem miserablen Wahlergebnis. Der Bundesvorsitzende Manfred Rouhs zeigte sich in einer Stellungnahme enttäuscht und kündigte an, dass Pro Deutschland »im kommenden Jahr weder bei den drei anstehenden Landtagswahlen (…), noch bei der Bundestagswahl« antreten werde.

»Perception is reality« – Das Spiel der AfD mit der Angst

Die AfD hingegen zog mit 25 Mandaten ins AGH ein, darunter fünf Direktmandate. Darüber hinaus kann die Partei zukünftig in sieben Bezirken je einen Stadtrat stellen und verfügt damit bundesweit erstmalig über politische Entscheidungsgewalt. Die AfD hatte die heiße Wahlkampfphase fast ausnahmslos mit restriktiven Forderungen und Positionen zu den Themen »Flüchtlinge« und »Innere Sicherheit« bestritten, die sich auch schon bei anderen Wahlen ausgezahlt hatten. So forderte sie in ihrem Wahlprogramm einen kompletten Aufnahmestopp für Geflüchtete. Der Berliner Spitzenkandidat Georg Pazderski ging in den Talkrunden und bei AfD-Veranstaltungen mit dem Slogan »perception is reality« (»Wahrnehmung ist Wirklichkeit«) hausieren und behauptete stetig, dass sich »der Bürger nicht mehr sicher« fühle.

Die Berliner Morgenpost berichtete am Tag nach der Wahl, dass die Ergebnisse der Wahllokale rund um Heime für Geflüchtete in den »am stärksten betroffenen Kiezen (…) sehr uneinheitlich« ausfallen. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, schaut man sich die Wahlergebnisse rund um die Containerunterkünfte an. In den meisten Ortsteilen, in denen in den vergangenen Jahren gegen den Bau solcher Unterkünfte Proteste stattgefunden haben, wurde die AfD stärkste Partei (Zweitstimmen). Hier war es auch, wo die AfD die Direktmandate fürs AGH gewann. Vielfach sind dies die gleichen Kieze, in denen 2011 bereits die NPD ihre Hochburgen hatte und deutlich höhere Ergebnisse als im Bezirksdurchschnitt erzielen konnte. Die AfD hat damit vor allem dort profitiert, wo seit Jahren die rassistische Stimmung von der NPD und lokalen »Nein-zum-Heim-Initiativen« angeheizt wurde. Eine Mehrzahl dieser Kieze zeichnet sich durch eine »ungünstige« Sozialprognose aus, wie dem Berliner Sozialstrukturatlas zu entnehmen ist.

Hochburgen in der Ostberliner Peripherie

Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf, der seit 2013 ein Schwerpunkt rassistischer Mobilisierungen gewesen ist, holte die AfD mit 23,6% das beste Zweitstimmenergebnis aller Parteien. In den Wahllokalen rund um die im Juli 2015 eröffnete Containerunterkunft am Blumberger Damm erreichte die AfD Ergebnisse bis zu 33,5% und holte im Wahlkreis das Direktmandat. Den statistischen Daten zum Wahlkreis ist zu entnehmen, dass knapp 75% der Menschen dort in »einfacher Wohnlage« leben, die Region hat berlinweit mit den höchsten Anteil an Arbeitslosigkeit. Bereits 2011 erreichten dort die Direktkandidaten von Pro Deutschland, Die Freiheit und der NPD zusammengenommen über 15% der Erststimmen. Auch in der Gegend rund um die Geflüchtetenunterkunft in der ehemaligen Schule erreichte die AfD von allen Parteien das beste Ergebnis.

Ähnlich im nördlichen Lichtenberg: Auch diese Region war bei den Wahlen 2011 Hochburg extrem rechter Parteien, auch hier hatte es ab Dezember 2014 Proteste gegen den Bau einer Containerunterkunft gegeben. Dem AfD-Direktkandidaten Kay Nerstheimer gelang der Einzug ins Abgeordnetenhaus. Die Personalie Nerstheimer wurde nach den Wahlen bundesweit medial aufgegriffen, weil er auf seiner Facebook-Seite unter anderem gegen Geflüchtete und Homosexuelle gehetzt hatte. Auf die umfassende Berichterstattung reagierte die AfD kurz nach der Wahl, schloss Nerstheimer aus der Fraktion aus und kündigte einmal mehr ein Parteiausschlussverfahren an. In Berlin war die Personalie jedoch bereits im Vorfeld der Wahlen in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Die Lokalpresse hatte mehrfach darüber berichtet, dass Nerstheimer sich 2012 im Internet als Leader der German Defence League (GDL) zu erkennen gegeben und angekündigt hatte, eine Miliz aufzubauen.

Motive und Stimmungslagen

Dass die AfD trotz offenkundiger Einbindung einiger Funktionäre in ein extrem rechtes Netzwerk1 14,2% erreichte und Nerstheimer in seinem Wahlkreis das beste Ergebnis holte, lässt verschiedene Interpretationsversuche zu.

1) AfD-WählerInnen sind die Kontakte einiger Funktionäre der Partei in die extrem rechte Szene gänzlich egal oder nehmen diese zumindest hin. Dafür sprechen gleich mehrere Umfrageergebnisse von infratest dimap. So seien nur 26% der Berliner AfD-WählerInnen von der Partei überzeugt. Hinzu kommt, dass 51% der Berliner AfD-WählerInnen sogar der Meinung sind, die AfD distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen.

2) Dreht man das letztgenannte Ergebnis um, ließe das den Schluss zu, dass ein Teil die AfD nicht trotz sondern gerade wegen ihrer Nähe zur extremen Rechten gewählt hat. Bestärkt wird dies durch weitere Ergebnisse von infratest dimap, wonach über 90% der AfD-WählerInnen deren Politik zu »Ausländern und Flüchtlingen« und ihr erklärtes Ziel, »die Ausbreitung des Islam in Deutschland [zu] verhindern«, begrüßen.

3) Auch eine dritte Möglichkeit ist relevant: Ein Teil der AfD-WählerInnen könnte von der Problematisierung Nerstheimers in den Medien nichts mitbekommen haben. Durch die starke Fragmentierung der Medienlandschaft und die in den letzten Jahren stark zugenommene Relevanz von sozialen Netzwerken für die politische Meinungsbildung werden die etablierten Medien von einem bestimmten Milieu kaum noch zur Kenntnis genommen.

Keine Regel ohne Ausnahmen

Während auch für Berlin gilt, dass die AfD ehemalige WählerInnen aller anderen Parteien für sich gewinnen konnte, ist gleichzeitig signifikant, dass die Ergebnisse dort besonders hoch sind, wo 2011 bereits die NPD oder auch Pro Deutschland gute Ergebnisse erzielten und somit eine grundlegende Skepsis bis hin zu offener Ablehnung von Migrant_innen und Geflüchteten seit vielen Jahren die Stimmung prägt. Allerdings fällt auch auf, dass die rassistischen Mobilisierungen im Vergleich zu 2014 und 2015 in diesem Jahr an Dynamik eingebüßt haben und insbesondere die öffentlichkeitswirksamen lokalen Mobilisierungen gegen einzelne Unterkünfte zurückgegangen sind. Die meisten asylfeindlichen Veranstaltungen finden derweil im Zentrum statt und richten sich etwa unter dem bundesweit in diesen Kreisen populären Slogan »Merkel muss weg« zunächst gegen die Politik der etablierten Parteien. Ob der Erfolg der AfD auch dazu beiträgt, die rassistische Dynamik von der Straße in die Parlamente zu spülen und ihr damit die Mobilisierungsfähigkeit zu nehmen, ist sicherlich eine These, die zu überprüfen wäre.

Ein Blick auf die Ergebnisse im Umkreis der 18 sogenannten »Tempohomes«, Containerunterkünfte für Geflüchtete, die bis Ende 2016 gebaut werden sollen, verdeutlicht, dass entsprechende Baupläne mitnichten zwangsläufig zu überdurchschnittlicher Zustimmung für die AfD führen. Dies zeigt sich etwa rund um die geplanten Standorte in Spandau, Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf. Erneut sind es die Wahllokale rund um die Standorte im Ostteil der Stadt, in denen die AfD meist überdurchschnittliche Zustimmung erfuhr. Aber auch hier gibt es Ausnahmen: Im besser situierten Biesdorf, einem Ortsteil von Marzahn-Hellersdorf, erreichte die AfD im Bezirksvergleich ein eher unterdurchschnittliches Ergebnis – hier wurde die CDU stärkste Partei.

Frank Metzger und Vera Henßler