»Einsamer Wolf« oder »Einzeltäter«?

Eine unvollständige Übersicht

Seit dem Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) wird in Wissenschaft, Politik und Medien zunehmend diskutiert, an welchen Konzepten sich der moderne Neonazi-Terrorismus orientiert. Die Bildung von Zellen und der sogenannte »führerlose Widerstand« (leaderless resistance) waren daher im monitor bereits öfter ein Thema.[1] Auch die Rolle des sogenannten Lone Wolf-Terrorismus wird wieder verstärkt diskutiert, weil dieser Form des Terrors eine immer größere Rolle auf Seiten der extremen Rechten zukommt. Der jüngste Mordanschlag auf die CDU-Politikerin Henriette Reker [2] und die Taten des Anders Breivik sind dafür Belege.

Insgesamt ist der Diskurs im englischsprachigen Raum dem deutschen um viele Jahre voraus. Die Frage, woher sich ein Terrorismus speist, der sich im eigenen Land entwickelt hat, also als »domestic«oder »homegrown« bezeichnet wird, wurde in den USA seit dem verheerenden Attentat von Oklahoma City 1995 diskutiert und erforscht. Die islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 haben die Gefahr dieses extrem rechten, »homegrown« Terrors in den Hintergrund gedrängt und zeitweilig beendet.

Mehrere Studien warnen erneut vor der wachsenden Gefahr der Gewalt durch die extreme Rechte. Statistiken bestätigen diese Warnung und zeigen, dass es im Schnitt rund zehn Todesopfer pro Jahr [3] durch Lone Wolves gegeben hat. Gemeinsam ist den Studien die Definition: es handelt sich bei Lone Wolf-Terrorismus um politische Gewalt, die durch einen einzelnen Täter ausgeübt wird, der individuell vorgeht, eine politische Überzeugung hat, nicht einer organisierten Terrorgruppe angehört und ohne einen direkten Befehl oder direkte Führung von außen operiert und auch seine Ziele und Taktik sowie Propaganda eigenmächtig bestimmt. [4]

Ein schwieriger Punkt der Diskussion ist die Frage der Abgrenzung, die zwischen einem ideologischen Einzeltäter und einer ihn inspirierenden Gruppe oder Ideologie besteht. Die empfehlenswerte Studie des Southern Poverty Law Centers (SPLC) behandelt daher sowohl Lone Wolf-Terroristen als auch anderen Leaderless Resistance-Terrorismus. Schwierig ist für uns, dass sogenannte Jihadisten auch untersucht werden, sie werden allerdings, anders als im deutschen Diskurs, nicht als ausländische Terroristen definiert, wenn sie aus dem US-amerikanischen Kontext kommen, sondern eindeutig als »domestic« Terroristen.

Besonders interessant in der SPLC-Studie ist ein Interview mit Joe Navarra, einem ehemaligen FBI-Agent, der einen Blick auf die psychologischen Muster der Lone Wolf Terroristen wirft – ein Aspekt der im deutschen Diskurs mit der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Täters oft in ein dichotomes Schema verfällt: Auf der einen Seite stehen Versuche, den einzelnen Täter zu pathologisieren und damit die Taten zu entpolitisieren. Der »Einzeltäter« wird aufgrund seiner selbst gewählten sozialen Isolation als psychisch gestört apostrophiert und mithin schuldunfähig erklärt; ein Versuch, der bei Breivik erfolgreich verhindert werden konnte.

Auf der anderen Seite steht die Suche nach dem Befehlsgeber. Beispiele der letzten Jahre machen aber deutlich, dass sich ein Lone Wolf-Terrorist zu recht einer Bewegung zugehörig fühlen kann, ohne im klassischen Sinne in ihr organisiert zu sein. Wie das SPLC zurecht hinweist, nimmt dadurch der Einfluss von den radikalen, terroraffinen Milieus aber nicht ab. Militante Neonazis, fundamentalistische Glaubenskrieger, »Abtreibungsgegner« und andere stellen die notwendige Ideologie bereit, die Lone Wolves und andere motiviert. Inwieweit aber nicht nur Ideologie, sondern auch konkrete Handlungsanweisungen, Bombenbauanleitungen und eben Konzepte des bewaffneten Kampfes durch Gruppen und Einzelpersonen die terroristische Tat angeleitet haben, das zu erfassen, dazu kann die Analysekategorie beitragen ohne zu entpolitisieren.

Eike Sanders und Ulli Jentsch

  1.  Vgl die Ausgaben Nr. 69 (Mai 2015), Nr. 66 (Oktober 2014), Nr. 62 (Dezember 2013).
  2.  Zum Täter siehe www.lotta-magazin.de/ausgabe/online/attentat-auf-henriette-reker-war-eine-rechtsterroristische-tat.
  3.  Die Differenzen resultieren aus unterschiedlichen Zählmethoden, vgl. SPLC 2015, S.9-10.
  4.  Vgl. Mark Hamm / Ramon Spaaj 2015, S.3.