Das digitale Gedächtnis der antifaschistischen Bewegung

Im Rahmen des bundesweiten Programms »WissensWandel« des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) erhielt das apabiz eine Förderung für die Digitalisierung von Material aus der Sammlung »Antifaschistische Bewegung nach 1945«. Diese erstmalige Möglichkeit der finanzierten Digitalisierung nutzten wir auch dafür, unsere technische Infrastruktur für weitere Projekte auszubauen.

Von Patrick Schwarz

Die Corona-Pandemie und die damit verbundene vorübergehende Schließung der Bibliotheken und Archive verstärkte das Interesse vieler Nutzer*innen aus dem In- und Ausland, unsere Archivalien digital einzusehen. Nicht selten gab es dabei die Vorstellung, dass unserer gesamtes Archiv oder zumindest größere Bestände digitalisiert sind und problemlos an die Nutzer*innen weitergereicht werden könnten. Leider konnten wir solchen Anfragen aus unterschiedlichsten Gründen oft nicht nachkommen, sondern mussten auf die Nutzung vor Ort verweisen. Die Lücke an digitalisiertem Quellenmaterial wurde nicht nur bei uns deutlich, sondern betrifft auch viele andere kleine Archive. Mit der Bereitstellung von Digitalisaten für die Nutzer*innen sind einige Vorteile verbunden. Das Material wird geschont, was zum langfristigen Erhalt beiträgt. Insbesondere mehrere Jahrzehnte alte Schriftstücke auf brüchigem Papier werden von der Nutzung stark in Anspruch genommen. Auch viele jüngere Quellen, die sehr häufig nachgefragt werden, zeigen deutliche Spuren der Benutzung. Aufgrund des finanziellen und organisatorischen Mehraufwandes ist es uns nicht möglich, jeweils ein Exemplar für die Benutzung sowie ein weiteres zur Archivierung bereit zu stellen. Vor dem Hintergrund der Langzeitarchivierung ist es unser Ziel, Archivalien wie Flugblätter, Schreiben aber auch Zeitschriften im bestmöglichen Zustand zu archivieren. Neben diesem wichtigen Aspekt des Materialschutzes bietet die Digitalisierung von Quellen eine Reihe weiterer Möglichkeiten. So können mittels entsprechender Verfahren die digitalisierten Bestände mit einer Volltextsuche analysiert werden.

Bisher ist es dem apabiz kaum möglich, im laufenden Betrieb Bestände des Archivs mit den unterschiedlichsten Quellenarten aus den letzten 80 Jahren zu digitalisieren. Neben den mangelnden zeitlichen, finanziellen und technischen Ressourcen gibt es auch auf rechtlicher Ebene Hürden. So erlaubt das Urheberrecht zwar die Herstellung einer Archivkopie, die mittlerweile auch von Nutzer*innen an Terminals im Lesesaal eingesehen werden darf. Eine Weitergabe von digitalisiertem Material an Nutzer*innen ist hingegen nicht so einfach möglich. Nicht zuletzt stellen Förderprogramme vielfach die Bedingung, dass erstellte Digitalisate auch im Internet, etwa auf Archivportalen wie der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB), zugänglich gemacht werden. Dies setzt voraus, dass die Nutzungsrechte von den Rechteinhaber*innen eingeholt worden sind – ein Umstand, der auf das Gros unseres Materials nicht zutrifft. Dass es sich bei unserem Bestand mehrheitlich um politische Propaganda mit zum Teil strafrechtlich relevanten Inhalten handelt ist ein weiteres Problem, das die Akquise von Drittmitteln für die Digitalisierung in der Vergangenheit erschwert hat.

Einmalige Chance

Der Deutsche Bibliotheksverband initiierte vor dem Hintergrund der Pandemie das Förderprogramm »WissensWandel-Digitalprogramm für Bibliotheken und Archive innerhalb von Neustart Kultur« als Teil des Rettungs- und Zukunftsprogramms Neustart Kultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Ziele der millionenstarken Förderung waren u.a. die »Vermittlungsangebote von digitaler Bildung, Kompetenz und Kultur (Digitale Transformation)« und die »Digitalisierung und Aufbereitung von Beständen als Grundlage für deren digitale Verarbeitung, Zugänglichmachung und Vermittlung«. Auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie von Leistungsangeboten im Bereich der Digitalisierung waren Ziele von »WissensWandel«. Für uns bot das Förderprogramm die Möglichkeit, ein überschaubares Digitalisierungsprojekt mit vergleichsweise wenig Aufwand umzusetzen. Zwar gibt es auch jenseits der Pandemie zahlreiche Programme zur Digitalisierung von Materialien von Kultureinrichtungen, diese richten sich jedoch oft an größere Institutionen mit einer festen Verankerung im Wissenschaftsbereich. Für kleinere Archive mit besonderen Beständen, die noch dazu ihre spezifischen Problemlagen, etwa mit Blick auf das Urheberrecht oder die kaum standardisierten Übernahmeverfahren des Materials, mit sich bringen, sind die etablierten Fördermöglichkeiten vielfach nicht passend. Mit dem Projekt verbanden wir weniger das Ziel, weitreichende Bestände zu digitalisieren. Vielmehr wollten wir zunächst Erfahrungen sammeln und langfristig eine Grundlage für zukünftige Digitalisierungsvorhaben sowohl auf technischer, als auch auf personeller Ebene schaffen. Im April 2021 erreichte uns die erfreuliche Nachricht, dass unser Antrag angenommen wurde, so dass wir mit unserer Arbeit beginnen konnten.

Ein Gedächtnis der antifaschistischen Bewegung

Plakat der Jugendantifa Spandau von 1989 aus der Sammlung »Antifaschistische Bewegung nach 1945«.

Die Sammlung »Antifaschistische Bewegung nach 1945« beinhaltet zahlreiche Zeitschriften, Flugblätter, Plakate und Aufkleber verschiedenster antifaschistischer Gruppen, Vereine oder Parteistrukturen. Seit der Gründung des apabiz gehört die antifaschistische Graue Literatur, neben den Veröffentlichungen rechter Organisationen, Gruppen und Parteien, zu unserem zentralen Sammlungsprofil. Damit verbunden ist das Ziel, die Überlieferung der vielseitigen antifaschistischen Bewegung, der sich das apabiz auch aufgrund seiner Gründungsgeschichte zugehörig fühlt, zu bewahren. Dabei wird der Begriff »Antifaschistische Bewegung« sehr breit verstanden. Uns interessieren Autonome Antifa-Gruppen und die VVN/BdA ebenso wie eher bürgerliche Bündnisse gegen rechts oder der regionale Verband der Jusos mit seinen Veröffentlichungen zum Thema. Auch wenn unsere Sammlungstätigkeit sehr lange auf die 1990er und 2000er Jahre fokussiert war, konnten wir punktuell auch Material aus anderen Jahrzehnten in unser Archiv aufnehmen und damit den Bestand sinnvoll ergänzen. Der geographische Schwerpunkt liegt auf Veröffentlichungen aus Deutschland, allerdings sind auch Zeitschriften und Flugblätter aus dem Ausland in der Sammlung zu finden. Diese ist geographisch aufgebaut – abgesehen von Zeitschriften und Plakaten werden die einzelnen Quellen nach Regionen, Bundesländern und Ländern sortiert. Bestenfalls gibt es aus jeder deutschen Stadt wenigstens einige Flugblätter oder Aufkleber, die sich mit dem Thema beschäftigen und die von der regionalen Geschichte antifaschistischer Aktivitäten berichten. Die Plakatsammlung mit mehreren hundert Plakaten ist hingegen chronologisch geordnet und materialschonend archiviert. Neben bundesweiten Antifa-Zeitschriften oder Zeitschriften aus dem Kontext der NS-Erinnerungskultur wie etwa von NS-Gedenkstätten gibt es eine Reihe regionaler Veröffentlichungen, die sich mal dezidiert, mal gelegenheitsbezogen mit der extremen Rechten beschäftigen. Das kann ein Rundbrief einer regionalen Antifa-Gruppe sein, der nur ein oder zweimal erschienen ist, oder eine Schüler*innen-Zeitung, die sich intensiv mit den örtlichen Neonazi-Strukturen auseinandergesetzt hat. Die Gesamtzahl dieser Zeitschriften ist inzwischen auf über 1.000 Titel angewachsen und macht damit etwa ein Drittel aller Periodika im apabiz aus. Einen Teil der nicht-rechten Zeitschriften konnten wir bereits an die Zeitschriftendatenbank (ZDB) melden. Dort sind alle Zeitschriftenbestände deutschsprachiger Archive und Bibliotheken zu finden.

Auch wenn sich das Interesse der meisten Nutzer*innen unseres Archivs auf die extreme Rechte richtet, erreichen uns zunehmend Anfragen, die sich um das Thema Gegenstrategien und Gegenbewegung drehen. In den letzten Jahren entstanden erfreulicherweise eine Reihe von Veröffentlichungen, die sich mit der Geschichte der (autonomen) Antifa nach 1945 beschäftigen.

Unser Projekt

Mit der Förderung von »WissensWandel« konnten wir uns ein Jahr lang intensiv mit der Digitalisierung der ausgewählten Sammlung beschäftigen. Aufgrund des großen Umfangs der Sammlung »Antifaschistische Bewegung nach 1945« mussten wir für die Digitalisierung eine Auswahl an Objekten und Formaten treffen. Kriterien waren etwa das Forschungsinteresse unserer Nutzer*innen, das Alter bzw. der Materialzustand sowie die Einzigartigkeit des Materials und ob dieses vollständig vorliegt. Die Plakate hatten zunächst die höchste Priorität. Der teilweise schlechte Materialzustand, aber auch die Verbesserung der Lagerung und Nutzbarkeit des großformatigen Materials waren für uns entscheidend, die Plakatsammlung zu priorisieren. Für die Digitalisierung haben wir auf die Erfahrungen eines externen Anbieters zurückgegriffen, insbesondere weil uns in der Anfangsphase das technische und praktische Wissen fehlte, um professionelle Digitalisate nach den heute üblichen Standards der Langzeitarchivierung anzufertigen. Mit der bibliocopy GmbH hatten wir ein Kollektiv mit jahrelanger Erfahrung in der Digitalisierung, u.a. in der Staatsbibliothek zu Berlin, an unserer Seite.

Plakat zu einer Kundgebung gegen die Republikaner am 13.10.1989 im Wedding.

Neben den Plakaten konnten einige bundesweite und regionale Zeitschriften vollständig gescannt werden, die nun als wichtige Recherchequelle für Regionen oder Zeitphasen besser zugänglich sind. Dazu gehören etwa die »Enough is enough: Zeitung für antirassistische und antifaschistische Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Hamburg« mit ihren Vorgängerprojekten oder die Veröffentlichungen der Antifa Jugendfront (AJF) als eine maßgebliche bundesweite Antifa-Struktur der 1990er Jahre. Der Schwerpunkt der Digitalisierung lag jedoch auf den Flugblättern und Aufklebern. In einem ersten Schritt wurde zunächst das Material digitalisiert, welches bundesweite Relevanz hat, wie etwa überregionale Mobilisierungen zu Neonazi-Aufmärschen. Im zweiten Schritt wurden regionale Schwerpunkte gesetzt, darunter Berlin und Brandenburg. Zunächst musste das Material zeitintensiv für die Digitalisierung vorbereitet werden. Dazu gehörte neben der Trennung von Dubletten auch die Entfernung von Klammern (Entmetallisierung), die teilweise deutliche Spuren auf dem Material hinterlassen haben. Im Anschluss an die Digitalisierung wurden die Quellen in der Archivdatenbank verzeichnet. Eine Auswahl der Digitalisate wird zukünftig in der Deutschen Digitalen Bibliothek zu finden sein. Schließlich ermöglichte uns die Förderung, einen professionellen Buchscanner zu erwerben, mit dessen Unterstützung zukünftig die Digitalisierung im Archiv bewerkstelligt werden kann. Zudem konnten wir technische Infrastrukturen wie Datenserver schaffen, die nicht nur für die Verwaltung der Digitalisate nützlich sind, sondern auch deren längerfristige Archivierung absichern.

Blick in die Zukunft

Durch dieses erste Digitalisierungsprojekt liegt unseren Nutzer*innen eine Reihe neuer Digitalisate zur Geschichte der antifaschistischen Bewegung vor. Darüber hinaus konnten wir Erfahrungen sammeln, die wir bereits mit anderen Archiven und Dokumentationsprojekten geteilt haben. Auch wenn es in Zukunft womöglich wieder schwieriger wird, Drittmittel für Digitalisierungsprojekte einzuwerben, bleibt das Thema weiterhin auf unserer Agenda. Neben den Nutzungsinteressen und der Bestandserhaltung gibt es den dringenden Bedarf, einzelne Formate zeitnah technisch aufzubereiten, damit die darin enthaltenen Informationen auch zukünftig verfügbar bleiben. Dazu gehören etwa die zahlreichen Videokassetten und Tonbänder, die bereits deutlich vom Alter gezeichnet sind und deren Inhalte für die Langzeitarchivierung in neue digitale Formate überführt werden müssen.

 

Wir bedanken uns für die Förderung bei:


Die Lücke schließen

Wir freuen uns immer über Material für unser Archiv. Solltet Ihr antifaschistische Broschüren vorliegen oder extrem rechte Flugblätter gesammelt haben, schreibt uns gerne an. Wir haben noch einige Lücken in unserem Bestand. Interesse haben wir auch an Leihgaben von AV-Medien zur Digitalisierung.