Das Bild zeigt ein Demonstrationstransparent mit der Aufschrift Feminismus statt Mittelalter.
Proteste gegen den sogenannten Marsch für das Leben im September 2020 in Berlin.  Foto: christian-ditsch.de

22 + 2 Jahre feministische Intervention

Im Jahr 2000 wurde am Rande einer Fachtagung in Rostock das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus (FFR) gegründet. Dieses setzt sich aus Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen, Bildungsarbeiterinnen und Aktivistinnen zusammen. Im September feiert das Netzwerk, mit zweijähriger Corona-Verspätung, sein 20-jähriges Bestehen. Ebenfalls gefeiert wird das zweijährige Jubiläum der Gründung des Netzwerks feministische Perspektiven und Interventionen gegen die (extreme) Rechte (femPI). Aus diesem Anlass sprachen wir mit Vertreter*innen beider Netzwerke über ihre Arbeit.

Mit Euren Analysen mischt Ihr Euch regelmäßig in gesellschaftliche Debatten ein. Wie können Wissenschaft und Aktivismus miteinander verbunden werden?

Toni (femPI): In den Personen selbst verbindet sich Wissenschaft und Aktivismus, oft sind diese dann im Bereich der politischen Bildung zu finden. Im wissenschaftlichen Bereich werden beispielsweise Aktivist*innen interviewt oder zitiert, die Spielregeln unterscheiden sich jedoch. In der Wissenschaft werden diese Bereiche durch Einzelpersonen miteinander verbunden, aber kollektives Arbeiten ist selten. Im Aktivismus ist kollektives Arbeiten hingegen Standard. Der Anspruch, dieser wissenschaftlichen Logik von Einzelkämpfer*innen ein Netzwerk entgegen zu setzen, macht unsere Arbeit aus. Ein ›klassischer‹ Fall, bei dem Aktivismus und Wissenschaft zusammenkommen, ist die Recherchearbeit. Generell finde ich die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis und andersrum wichtig, gerade bei Themen, die tendenziell zu wenig beleuchtet werden wie Frauen in der extremen Rechten oder Antifeminismus.

Kai (FFR): Aus Sicht der Wissenschaft sind das ja keine Gegensätze, es wird nicht gegeneinander gearbeitet, sondern die Wissenschaft lernt viel vom Aktivismus, die kollektiven Arbeitsweisen und das Arbeiten auf Augenhöhe. Was wir im Themenfeld Gender und extreme Rechte tun ist uns austauschen, mit aktivistischem Nutzen unserer wissenschaftlichen Analysen und anders herum, auch aus pädagogischen und journalistischen und wissenschaftlichen Feldern kommen wir zusammen.

Eine geschlechterreflektierte Forschung zur extremen Rechten schärfen – das waren Forderungen von Euch zur Zeit der Gründung. Wo besteht aktuell am meisten Handlungsbedarf?

Rike (FFR): Über die Zeit kann man gut erkennen, wo unsere Forderungen umgesetzt wurden. Sowohl in Medienbeiträgen als auch in wissenschaftlichen Beiträgen ist der Einbezug von Genderaspekten nicht mehr die Ausnahme.

Toni (femPI): Als ich 2012 anfing, mich mit Frauen in der extremen Rechten zu beschäftigen, da konnte ich bereits auf Literatur, Analysen und Forschungsarbeiten zurückgreifen. Es gab da schon richtig viel.

Kai (FFR): Das geht aber gar nicht nur auf uns zurück, sondern beispielsweise auch auf Fantifa-Zusammenhänge. Diese wurden wieder aktiver in den letzten zehn Jahren, etwa in Folge der Veröffentlichung des F*antifa-Buches (2013)[1] und sie beziehen heute stärker als zuvor queere Perspektiven mit ein.

Rike (FFR): In Bezug auf Handlungsbedarfe lässt sich nach wie vor die Strafverfolgung nennen. Eine Medienanalyse von 2003 zeigte bereits, dass Frauen als Täterinnen nicht ernst genommen werden. Die Annahme, sie seien irgendwie privat, abhängig oder anders involviert, hält sich weiterhin bei der Wahrnehmung von Täterinnen, wie eine aktuelle Analyse von Ermittlungs- und Justizakten zeigt. Lediglich Beate Zschäpe wird anders wahrgenommen, aber das ist ein eigenes Kapitel. Auf der Theorieebene ist außerdem ungeklärt, welche Rolle Antifeminismus und Sexismus bei der Definition von Rechtsextremismus spielen. Da gibt es sehr unterschiedliche Positionen. Teils wird Antifeminismus als ideologisches Kernelement gefasst, andere erwähnen es gar nicht.

Kai (FFR): In der Geschlechterforschung, aber auch in der Mediendebatte wird Antifeminismus öfter benannt, aber teilweise wird er zum beliebigen Sammelbegriff. Ein anderer Aspekt: Wir haben uns als explizit feministisches Frauenforschungsnetzwerk gegründet. Das würden wir heute eventuell anders formulieren. Es ging uns darum, uns als Frauen gegenseitig zu unterstützen und uns in solidarischen Zusammenhängen zu bewegen. Nach wie vor ist die Forschung sehr männerdominiert. Dieser Herausforderung muss sich die geschlechterreflektierende Forschung im Bereich Rechtsextremismus weiterhin stellen.

Was hat sich mit Blick auf das Thema Frauen in der extremen Rechten seit Eurer Gründung geändert?

Rike (FFR): Dass es als Nischenthema behandelt wird, das gibt es nach wie vor. Man muss diese Sensibilität mitbringen, um auch zu sehen, was Frauen in der rechten Szene machen. Die Frauen treten auch manchmal anders auf, nicht so martialisch. Doch sie haben wichtige Positionen und übernehmen eigene Aufgaben. Es gibt trotzdem noch viele Leute, die Frauen selbst dann übersehen, wenn sie das Fronttranspi tragen.

Kai (FFR): Das könnt ihr ja wahrscheinlich auch aus der Arbeit im Archiv sagen. Frauen sind sichtbarer in der extremen Rechten, als Teil der Bewegung und daher werden sie stellenweise dann auch aktiv wahrgenommen. Mit Zschäpe, den Reaktionen auf sie und unserer öffentlichen Intervention als Netzwerk[2], gab es dann auch Debatten über die Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Täterinnen. Viele Medien, einige natürlich nicht, sind auf unsere Intervention eingegangen.

Rike (FFR): Ein großer Unterschied zu unserer Gründungszeit ist die Verbreitung von Social Media. Das ist eine Arena, in der Frauen sichtbar sind und sich selbst auch sichtbar machen. Früher gab es auch die Incelbewegung noch nicht so, wie wir sie heute sehen. In den letzten Jahren gab es zunehmend Attentäter aus diesem Bereich. Dass diese sowohl rassistisch und antisemitisch als auch antifeministisch motiviert sind, finde ich eine neuere Erscheinung.

Zuletzt hat das Thema Antifeminismus verstärkte Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs bekommen. Wie bewertet Ihr diese Entwicklung?

Rike (FFR): Es ist wichtig, das ernst zu nehmen. Sonst können Errungenschaften, die wir inzwischen für selbstverständlich hielten, infrage gestellt oder sogar abgeschafft werden. Ich denke da z.B. an die aktuelle Debatte um das Abtreibungsrecht in den USA. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die in Teilen der Gesellschaft gestiegene Akzeptanz queerer Forderungen weiter in die Kritik gerät und von Akteur*innen der Gleichstellungsarbeit und Gender Studies immer wieder infrage gestellt wird. Teils werden Forscher*innen eingeschüchtert und bedroht. Mit Blick auf rechte Anschläge lässt sich erkennen, dass diese oft auch antifeministisch motiviert sind.

Toni (femPI): Es ist unser Anliegen, die Gefahren von Antifeminismus sichtbar zu machen. Der Begriff ist für uns einerseits wissenschaftlich relevant, andererseits aber auch für die Beratungspraxis und den Aktivismus von Bedeutung. Dabei geht es bei Antifeminismus ja nicht immer nur um die extreme Rechte. Es braucht da ein genaueres Verständnis[3]. Sonst besteht die Gefahr, dass Antifeminismus zum Sammelbegriff wird und dann seine Schärfe verliert.

2020 gründete sich das Netzwerk feministische Perspektiven und Interventionen gegen die (extreme) Rechte (femPI): Warum ein zweites Netzwerk?

Toni (femPI): Das FFR hat uns zusammengebracht. Ich erlebe es als Nachwuchsförderung. Ab einer gewissen Größe ist es schwer, in einem Netzwerk zu arbeiten. Irgendwann ist da ein gutes Arbeiten nicht mehr möglich.

Rike (FFR): Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir zunehmend Schwierigkeiten hatten, alle Anfragen für Vorträge und Publikationen zu bedienen. Zugleich wussten wir, dass etliche Jüngere am Thema dran sind, diese bis dahin aber meist vereinzelt auftraten. Alle in unser altes über Zeit gewachsenes Netzwerk aufzunehmen schien uns nicht sinnvoll, dann hätten wir den persönlichen Charakter nicht aufrecht erhalten können. Darum haben wir 2019 einen Nachwuchsworkshop organisiert, ohne zu wissen, was die Eingeladenen daraus machen. Wir waren also gewissermaßen ein bisschen ›Geburtshelferinnen‹.

Wie findet Ihr zusammen? Was unterscheidet Euch, habt Ihr auch verschiedene Ziele?

Toni (femPI): Es gibt immer wieder punktuelle Zusammenarbeit und thematisch übergreifende Treffen.

Rike (FFR): Zunächst lässt sich sagen, dass die beiden Netzwerke ein wertschätzender und solidarischer Umgang miteinander auszeichnet. Wir tauschen uns immer wieder bei Anfragen zu Publikationen und Vorträgen aus. Außerdem gibt es gemeinsame Onlinediskussionen zu inhaltlichen Fragen. Wenn es klappt, arbeiten wir auch gemeinsam an Papieren. Das geschieht nicht ständig mit allen aus beiden Netzwerken, sondern mit denen, die gerade Lust und Zeit haben.

Vielen Dank! 

Das apabiz wünscht den beiden Netzwerken zu ihren Jubiläen alles Gute. Das Interview führten Mika Pérez Duarte und Kilian Behrens.

  1.  Vgl. Herausgeber_innenkollektiv (Hrsg.): Fantifa. femPI et al. (2022): Antifeminismus – Plädoyer Feministische Perspektiven antifaschistischer Politiken, edition assemblage, Münster 2013.
  2.  Die offenen Briefe des Forschungsnetzwerks rundum den NSU-Prozess finden sich hier: frauen-und-rechtsextremismus.de/offene-briefe/
  3.  femPI et al. (2022): Antifeminismus – Plädoyer für eine analytische Schärfe. Impulspapier. Online verfügbar unter: https://fempinetzwerk.files.wordpress.com/2022/07/antifeminismus_pladoyer-fur-eine-analytische-scharfe.pdf