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Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz: Chancen und Baustellen für die antirassistische Arbeit

An Bekanntheit mangelt es dem am 21. Juli 2020 in Kraft getretenen Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) nicht. Es ist das erste seiner Art, seine Verabschiedung war ein wichtiges Projekt der Rot-Rot-Grünen Landesregierung zur Umsetzung europarechtlicher Standards im Bereich Antidiskriminierung, so steht es in der Koalitionsvereinbarung von 2016. Was heißt das für antirassistische Arbeit?

Gastbeitrag von Doris Liebscher

Das Gesetz wurde seit 2016 unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und der verschiedenen Senatsverwaltungen umfangreich diskutiert und mehrmals überarbeitet. Ein kleines demokratisches Glanzstück könnte man sagen, von den Medien wurde das Projekt lange ignoriert, von Antidiskriminierungsorganisationen und Beratungsstellen dagegen begrüßt, weil es wichtige Rechtsschutzlücken schließt. Doch dann, kurz vor seiner Verabschiedung schrieben sich Polizeigewerkschaften, der Beamtenbund und der Gesamtpersonalrat der Polizei den Kampf gegen das LADG auf die Fahnen und das Gesetz wurde zum Politikum. Von seinen Gegner*innen erhält das LADG seither Spitznamen wie »Anti-Polizei-Gesetz«, das Märchen von einer Beweislastumkehr wird wie ein Mantra wiederholt und es häufen sich rassistisch aufgeladene Berichte wonach »Dealer im Görlitzer Park« und »kriminelle Clans« das Gesetz bereits kurz nach dessen Inkrafttreten missbrauchen würden. Die Kampagne gegen das LADG ist juristisch und politisch ärgerlich, sie zeigt aber auch, dass das Gesetz zu einem Symbol für eine neue politische Kultur wurde, in der in einer noch nie dagewesenen Offenheit und Grundsätzlichkeit über rassistische Polizeigewalt und über institutionellen Rassismus gesprochen wird. Der Civil Rights Act von 1964 war ein von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung erkämpfter Meilenstein antirassistischer Gesetzgebung in den USA, das LADG kann zusammen mit dem 2006 verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als Meilenstein der Antidiskriminierungsgesetzgebung in Deutschland gelten. Damit sind auch hohe Erwartungen an ein Gesetz verbunden, dessen Wirksamkeit, jenseits seines Symbolcharakters, sich im Alltag noch beweisen muss.

Für wen gilt das Gesetz?

Entgegen der medialen Darstellung ist das LADG kein bloßes Antirassismus-Gesetz, es gilt auch nicht nur für die Polizei. Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist in § 2 LADG gut verständlich beschreiben:

Kein Mensch darf im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen und antisemitischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status diskriminiert werden.

Die Zahl der Diskriminierungsgründe ist also umfangreich, der soziale Status ist gar ein Novum in einer antidiskriminierungsrechtlichen Vorschrift und auch die ausdrückliche Nennung rassistischer und antisemitischer Zuschreibungen ist so bislang einmalig im deutschen Recht. Erfasst sind davon auch antiziganistischer und antimuslimischer Rassismus. Sondererfassungen von Rom*nja und Sint*ize, wie sie noch 2017 in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Landes Berlin unter dem Punkt »Trickdiebstahl in Wohnung« auftauchten, sind nach dem Gesetz klar rechtswidrig und auch die Erfassung von »Angehörigen ethnisch abgeschotteter arabischstämmiger Strukturen« zu finden in der Jahresbilanz 2019 des LKA Berlin »zur Bekämpfung der Clankriminalität« steht damit auf dem Prüfstand.

Der Diskriminierungsbegriff des Gesetzes ist weit, darunter fallen sowohl benachteiligende ungerechtfertigte Entscheidungen als auch diskriminierende Äußerungen oder entwürdigende Behandlungen, zu letztem zählt auch die sexualisierte Belästigung. Auch sogenannte mittelbare Diskriminierungen, zum Beispiel durch Algorithmen, sind verboten.

Zum öffentlich-rechtlichen Handeln zählt das Handeln der gesamten öffentlichen Verwaltung und aller öffentlichen Stellen des Landes Berlin. Im Einzelnen sind das die Berliner Senats- und Bezirksverwaltungen, zum Beispiel Schulen und Polizei, die landesunmittelbaren öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten, wie Hochschulen und Universitäten, die Berliner Stadtreinigungsbetriebe, die Berliner Verkehrsbetriebe oder die Berliner Bäderbetriebe. Nicht erfasst ist das Handeln der Gerichte und Behörden der Staatsanwaltschaft in justiziellen Verfahren. Außerdem gilt das LADG nur für Landesbehörden. Damit gehen Schutzlücken einher. Das Gesetz gilt zum Beispiel nicht für Bundesbehörden noch für gemeinsame Einrichtungen von Bund und Ländern, wozu auch das Berliner Jobcenter zählt. Hier müsste ein Bundesantidiskriminierungsgesetz her. Auch privatrechtlich geführte Beteiligungsunternehmen des Landes Berlin, zum Beispiel Wohnungsbauunternehmen, sind keine öffentlichen Stellen im Sinne des LADG. Hier gilt weiter das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Wer also als Mieter*in oder als Beschäftigte*r vom Land Berlin diskriminiert wird, beruft sich weiter auf das AGG, das Diskriminierungen bei Vertragsschlüssen im Rahmen von Beschäftigung und im Waren- und Dienstleistungsverkehr verbietet.

Welche konkreten Rechtsansprüche resultieren aus dem Gesetz?

Im Unterschied zu Artikel 3 Grundgesetz und Artikel 10 Berliner Landesverfassung die schon jetzt Diskriminierungsverbote für behördliches Handeln enthalten, regelt das LADG ausdrücklich, dass Betroffene Personen ein Recht auf Schadensersatz und auf Entschädigung durch das Land Berlin haben. Bisher mussten solche Ansprüche mit komplizierten Amtshaftungsverfahren durchgesetzt werden, dabei musste den handelnden Behörden auch ein Verschulden für die Diskriminierung vorgeworfen werden. Wie schwierig das ist, hat der NSU-Komplex gezeigt. Die jahrelangen rassistischen Ermittlungen gegen die Familien, hatten für die Behörden bisher keine Folgen. Das liegt auch daran, dass institutioneller Rassismus so schwer nachweisbar ist. Den Ermittler*innen, die die Familien der Opfer des NSU und die Menschen in der Keupstraße einseitig über Jahre verdächtigten, konnte ein rassistisches Motiv schwer bis gar nicht nachgewiesen werden, die meisten ließen sich von rassistischem Alltagswissen leiten, das von den Medien noch befeuert wurde. Ansprüche aus Antidiskriminierungsgesetzen, wie dem LADG und dem AGG, setzen daher keine diskriminierende Absicht voraus, hier geht es um den Effekt von behördlichem Handeln, also den Nachteil von Betroffenen und der tritt auch ein bei unbewussten rassistischen Stereotypen, wenn diese die polizeiliche Ermittlungen oder Kontrollen leiten.

Für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche nach dem LADG gilt eine Frist von einem Jahr. Das ist länger als die kurzen Fristen im AGG, die in der Praxis dazu führten, dass viele Ansprüche zu spät erhoben wurden, weil Betroffene sich erst informieren und Beistand organisieren mussten. Hier hat das Land Berlin aus den Fehlern des AGG gelernt.

Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz für Verbände

Als das AGG 2006 verabschiedet wurde, überschlugen sich – ganz ähnlich wie heute – aufgeregte Stimmen, die vor einer Klagewelle, vor Missbrauchsfällen oder einer neuen »Tugendrepublik der Jakobiner« warnten. Nichts davon ist eingetreten. Vielmehr gibt es gerade im Bereich rassistischer und antisemitischer Diskriminierung auffällig wenig Klageverfahren nach dem AGG, obwohl die Zahl der Beschwerden wegen rassistischer Diskriminierung jährlich steigt. Das hat mit den hohen Hürden der individuellen Rechtsdurchsetzung zu tun: mangelndes Vertrauen in Gerichte, kurze Klagefristen, ein Zeit- und Energieaufwendiges Verfahren und das Risiko auf den Prozesskosten sitzen zu bleiben, wenn die Diskriminierung nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen werden kann. Auch hier geht das LADG neue Wege, indem es stärker auf kollektive Rechtsdurchsetzung setzt.

Die in § 7 LADG geregelte Vermutungsregelung führt zunächst zu einer Beweiserleichterung. Dies entspricht der bereits im AGG etablierten Regel, wonach die von der Diskriminierung betroffene Person im Prozess Tatsachen glaubhaft machen muss, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungs- oder Maßregelungsverbot wahrscheinlicher erscheinen lässt, als das Nichtvorliegen. Wenn die Glaubhaftmachung gelingt, folgt im nächsten Schritt eine Umkehrung der Beweislast. Die öffentliche Stelle muss dann das Nichtvorliegen einer Diskriminierung beweisen. Gerade in Konstellationen ohne Zeug*innen, wird daher ein Beweis weiterhin nicht leicht sein, um so ärgerlicher erscheint daher die aufgeregte Debatte um die Beweislast.

Im Unterschied zum AGG stärkt das LADG die Rechte und die Rolle von in einem Anerkennungsverfahren überprüften und registrierten Antidiskriminierungsverbänden. Zum einen können Betroffene von Diskriminierung ihre Prozessführungsbefugnis auf einen anerkannten Antidiskriminierungsverband übertragen. Dieser macht dann deren Rechte im eigenen Namen vor Gericht geltend. Juristisch wird dies als Prozessstandschaft bezeichnet. Zum anderen enthält das LADG ein Verbandsklagerecht für anerkannte Antidiskriminierungsverbände. Dabei macht der klagende Verband nicht, wie bei der Prozessstandschaft, das verletzte Recht einer diskriminierten Person geltend. Der Verband kann vielmehr einen objektiven Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des LADG gerichtlich feststellen lassen, auch unabhängig davon, ob eine individuell betroffene Person identifizierbar ist. Der Verband muss jedoch geltend machen, dass nicht nur im Einzelfall gegen das LADG verstoßen wird. Die Verbandsklage richtet sich damit vor allem gegen Fälle von institutioneller und struktureller Diskriminierung, zum Beispiel durch Regelungen oder Routinen, die zu Diskriminierung führen oder dazu führen können. Sie hat damit auch eine präventive Wirkung. Die Verbandsklage führt nicht zu einem Schadensersatzanspruch für Verbände, sondern das Gericht stellt fest, dass eine Regelung oder Praxis rechtswidrig ist, daraus ergibt sich für die Verwaltung die Pflicht, diese abzustellen. Anerkannte Antidiskriminierungsverbände könnten damit zum Beispiel gegen Polizeistatistiken klagen, die rassistisch markierte Bevölkerungsgruppen getrennt erfassen.

Neu ist auch die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle, die Personen, die sich an sie wenden, kostenfrei bei der Durchsetzung Ihrer Rechte unterstützt. Diese Stelle arbeitet mit Antidiskriminierungsverbänden und mit der Verwaltung zusammen. Wenn Betroffene es wünschen, kann sie auf eine gütliche Streitbeilegung mit der Verwaltung hinwirken. Sie ist dabei berechtigt, jederzeit Sachverständige hinzuzuziehen, Gutachten einzuholen, Beschwerden an andere Stellen weiter zu vermitteln und Handlungsempfehlungen auszusprechen. Alle öffentlichen Stellen sind verpflichtet, die Ombudsstelle bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen.


Unsere Gastautorin Doris Liebscher ist Juristin und Mitarbeiterin der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte an der Juristischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin. Dieser Artikel erscheint in einer gekürzten Version ebenfalls im apabiz-Rundbrief »monitor« 89.