Bild: Nicolas Poussin, circa 1625-1626. Wikimedia Commons.

Neonazis in Uniform

Ein rechtes Netzwerk aus Soldaten, Reservisten und Polizisten plant, politische Gegner zu ermorden. Politik und Sicherheitsbehörden sind bemüht, einen Skandal zu vermeiden.

Von Martina Renner und Sebastian Wehrhahn

Neonazis und Bundeswehr sind kein neues Thema. Das Selbstbild als »Staatsbürger in Uniform« stand schon immer im eklatanten Widerspruch zum verweigerten Bruch mit den Traditionen der verbrecherischen Wehrmacht. Die Übernahme faschistischer Eliten, Bezeichnungen von Kasernen nach Kriegsverbrechern, völkische Texten im Liederbuch »Kameraden singt« weisen auf antidemokratische Einstellungen und autoritäre Strukturen in der Bundeswehr hin. Die Anziehungskraft für rechte Männer liegt auf der Hand. Die Bundeswehr stolperte in den letzten Jahrzehnten von Skandal zu Skandal, passte hier und da zähneknirschend den Traditionserlass an, entließ wenn es gar zu offensichtlich wurde Rechtsextreme aus dem Dienst.

Für den organisierten Rechtsterror in der Bundesrepublik war die Bundeswehr ein Reservoir an Unterstützern und Material. Manfred Roeder redete nicht nur an der Führungsakademie in Hamburg, auch bezog er von der Bundeswehr Material, ebenso wie Karl-Heinz Hoffmann , der quasi einen privaten Fuhrpark aus ausrangierten Beständen der Bundeswehr unterhielt. Spektakulär auch der Fund von Waffen und Sprengstoff aus Bundeswehrbeständen in der Lüneburger Heide, angelegt durch den Rechtsextremisten Heinz Lembke. Im kürzlich erschienen Buch »Zielobjekt Rechts« von Andreas Förster wird ein IM der Stasi zitiert, der von dem Rechtsterroristen Peter Naumann erfahren haben will, dass Lembke den Sprengstoff aus den Depots mit Hilfe eines Bundeswehrangehörigen beschafft haben soll.

Elitetruppe mit klarem Feindbild

Die aktuellen Vorgänge zeigen eine neue Qualität. Der Verdacht, dem auch die Generalbundesanwaltschaft in einem Prüfverfahren nachgeht, ist, dass sich eine rechtsterroristische Struktur aus Angehörigen von Spezial- und Eliteeinheiten herausgebildet hat. Im Zentrum steht das Kommando Spezial Kräfte (KSK). Dass ihr ehemaliger erster General Reinhard Güntzel seine Truppe als Erbin der faschistischen Wehrmacht-Sondereinheit Brandenburg stilisierte, ist nicht nur rechter Spleen. Schaut man genauer hin, entrollt sich ein loser Faden von der geheimen Rekrutierung kriegserfahrener Wehrmachts-Kader in der jungen BRD zur Abwehr potentieller sowjetischer Angriffe oder der sogenannten Schnez-Truppe, einer geheimen Organisation von ehemaligen Angehörigen der Waffen SS und Wehrmacht, über das Fallschirmjägerbataillon 251 in Calw zum KSK. Innerhalb des KSK gab es neben der Causa Güntzel eine Reihe von Vorfällen, z.B. Drohungen an demokratische Soldaten, entwendete Waffen für rechtsterroristische Vorhaben oder zuletzt neonazistische Vorkommnisse auf einer Feier. Zuletzt wurde ein KSK-Oberleutnant suspendiert, weil dieser im Internet Reichsbürger-Inhalte verbreitet hatte. Besonders interessant: Genau dieser Soldat fiel 2007 auf, als er einen Drohbrief an einen demokratischen Soldaten mit seinem Klarnamen unterzeichnete. Begünstigt werden solche Fälle durch eine Imagepflege als Rambo-Truppe der Bundeswehr und die politische Entscheidung, das KSK komplett der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen.

Eine wichtige Rolle in den aktuellen rechten Verstrickungen im und um das KSK spielt André S., mittlerweile ehemaliges Mitglied des KSK. S. soll im April 2017, als der Soldat Franco A. verhaftet wird, die Anweisung gegeben haben, Chats zu löschen, in denen sich die Mitglieder darüber austauschten, was am Tag X zu tun sei. Die Mitglieder sind sogenannte Prepper.[1] Der Tag X ist der Tag, an dem die Ordnung zusammenbricht; durch einen Anschlag, durch einen politischen Skandal, durch eine Katastrophe. Auf diesen Fall wollten sich die Mitglieder vorbereiten. Während es einigen um die Bevorratung mit Lebensmitteln geht, entwickeln andere Pläne, Linke, darunter auch Politiker*innen der LINKEN, zu entführen und zu ermorden.

Administriert wurden die Chatgruppen, die Namen wie »Nordkreuz« trugen, angeblich von André S.. Als Administrator soll er sich »Hannibal« genannt und die Chatmitglieder unter anderem mit vermeintlichen Lagebildern der Bundeswehr versorgt haben. S. ist außerdem Vorsitzender eines Vereins namens Uniter.

Uniter e.V.

In diesem Verein kommen Mitglieder des KSK, ehemalige Soldaten, Reservisten und Männer mit Hang zum Soldatischen zusammen. Offiziell geht es um Jobvermittlung, gegenseitige Unterstützung in der Zeit nach den Einsätzen, gemeinsame Trainings oder den Aufbau einer medizinischen Nothilfeeinheit. Recherchen der taz, die auch mit ehemaligen Mitgliedern des Vereins gesprochen hat, zeichnen ein anderes Bild. Ihnen zufolge soll es unter dem Dach des Vereins auch eine kämpfende Einheit im Aufbau geben. Der Verein ist in Distrikte gegliedert. In Deutschland sind das Nord, Süd, Ost, West. Auch die Chatgruppen, die S. administriert haben soll, waren entsprechend der vier Himmelsrichtungen benannt. Eine Verbindung zwischen Chats und Verein streitet Uniter ab.

Drei Mitglieder der Chats werden beim Generalbundesanwalt im Fallkomplex »Nordkreuz« als Beschuldigte geführt, weil sie verdächtig sind, die Entführung und Ermordung von Linken geplant zu haben. Ebenfalls Mitglied in einem der Chats war Franco A.. Auch gegen ihn ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen der Planung von Anschlägen gegen politische Gegner*innen. Er war im Februar 2017 am Wiener Flughafen verhaftet worden, als er eine Waffe aus einem Versteck holte, die er dort vorher deponiert haben will. Wäre Franco A. ein Dschihadist, hätten Politik und Medien keine Probleme gehabt, konkrete Anschlagsvorbereitungen zu erkennen. Bei Neonazis ist das allerdings anders. Die österreichischen Behörden beschwichtigten genauso wie die deutschen, die ihm keine konkreten Tatvorbereitungen anlasteten, obwohl er z.B. das Gebäude der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin ausgekundschaftet und Skizzen gefertigt hatte.

Genügend Anlässe für politischen Druck und behördliche Aufklärung. Doch die Resonanz ist bislang dürftig.

Die Chats sind nicht die einzige Verbindung zwischen Franco A. und André S.. Die taz berichtet, dass sich beide mindestens zwei Mal persönlich trafen. Bei einem dieser Treffen mussten die Teilnehmer ihre Handys im Auto lassen.

André S. wird bislang in keinem der bekannten Verfahren als Beschuldigter geführt. Im Fall Franco A. gilt er als Zeuge. Doch auch in einem weiteren Verfahren spielt S. eine wichtige Rolle: Einem Oberstleutnant des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der sich mehrfach mit S. als Auskunftsperson des MAD traf, wird vorgeworfen, S. vor Durchsuchungen gegen Mitglieder der Chats gewarnt zu haben.

Gefahr im Verzug

Die Liste der offenen Fragen ist lang: In welchem Verhältnis stehen Franco A., André S., die Verdächtigen des Nordkreuz-Komplexes, der Verein Uniter und der MAD? Wie fortgeschritten waren die Anschlagspläne, wer war in diese Planungen eingebunden, wem sind die Listen der möglichen Opfer bekannt, u.v.m.? Genügend Anlässe für politischen Druck und behördliche Aufklärung. Doch die Resonanz ist bislang dürftig. Zwar befassten sich Innen- und Verteidigungsausschuss sowie das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium mit den Fällen und auch die Kanzlerin wurde im Bundestagsplenum dazu befragt, doch Behörden und Koalition sind bemüht, einen Skandal zu verhindern.

»Politisch motivierte Gewaltbereitschaft spielt in der Bundeswehr derzeit keine Rolle«, fasste Christof Gramm, Präsident des MAD die Sensibilität seines Geheimdienstes für die Problematik zusammen. Peter Tauber, Staatssekretär bei der Verteidigungsministerin, verwies darauf, dass auch seine Oma Vorräte anlege und deshalb die Prepper-Szene nicht gefährlich sein könne. Und auch die Ministerin selbst sieht keinen Grund zur Besorgnis. Es gäbe »keine belastbaren Hinweise auf ein rechtsextremes Netzwerk in der Bundeswehr«.

Die Motivationen hinter solchen Verharmlosungen sind unterschiedlich: Der CDU geht es darum, ihre ohnehin stark angeschlagene Verteidigungsministerin vor weiterem Schaden zu schützen, steht ihr doch gerade ein politisch höchst unangenehmer Untersuchungsausschuss ins Haus. Die SPD tut, was sie am besten kann: Konflikten mit dem Koalitionspartner aus dem Weg gehen, um die Risse in der Koalition nicht zu verstärken. Der MAD ist darum bemüht, das Problem von Neonazis und rechten Einstellungen in der Truppe kleinzureden, um nicht in den Verdacht zu geraten, darin versagt zu haben, genau solche Entwicklungen zu verhindern. Diese Gründe schließen freilich weitere Gründe nicht aus. Im Effekt laufen sie auf das Gleiche hinaus: Den Schutz rechter Netzwerke und die Ignoranz der Gefahr, die von diesen ausgehen.


Die Autor*innnen: Martina Renner (MdB) ist stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke. Sebastian Wehrhahn arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Martina Renner.

Beitragsbild: »Hannibal« lautete das Pseudonym des Administrators des rechten Bundeswehr-Netzwerkes. In der Antike kämpfte Feldheer Hannibal gegen die Römer. Im Zweiten Punischen Krieg zog er mit seinem Heer und einigen dutzend Elefanten über die Alpen. Bild: Nicolas Poussin, circa 1625-1626. Wikimedia Commons.

  1.  Der Begriff leitet sich vom englischen to prepare = vorbereiten ab. ‚Prepper‘ bereiten sich auf drohende oder imaginierte Untergangsszenarien vor.