Medienschau: Männlichkeit und rechter Terror

In den vergangen Tagen gab unsere Mitarbeiterin Eike Sanders zwei Interviews, in denen sie über die Zusammenhänge von Männlichkeit, Antifeminismus und Rechtsterrorismus sprach. Gemeinsam mit Judith Götz von der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit sprach sie mit ze.tt. Zudem war sie zu Gast bei Radio Corax.

Terrorismus – ein männliches Phänomen?

Am 9. Oktober versuchte ein rechtsradikaler Mann in Halle ein Massaker in der jüdischen Synagoge anzurichten. Nachdem ihm dies missglückte erschoss er zunächst Jana L., die gerade zufällig zugegen war, sowie Kevin S. in einem nahe gelegenen Dönerladen. Viel wird diese Tage über die Motive des Täters gesprochen. Radio Corax hat mit Eike Sanders einen genaueren Blick auf die antifeministische Ideologie hinter dem Anschlag in Halle geworfen. Wir sind der Frage nachgegangen, inwiefern Antifeminismus und Terrorismus verwoben sind und ob Terrorismus gar ein männliches Phänomen ist.

Mehr: Interview vom 16.10.2019 zum Nachhören bei Radio Corax


Rechter Terror: Sind Männer das Problem?

Es sind rechte Männer, die Terroranschläge verüben. Kein Wunder, sagen die Politikwissenschaftlerinnen Judith Götz und Eike Sanders. Männliche Gewalt ist Teil unserer Gesellschaft. Ein Interview

Der Täter aus Halle leugnet den Holocaust, gibt »den Juden« die Schuld für alle Probleme und bezeichnet »den Feminismus« als Grund für niedrige Geburtenraten im Westen, die zu vermeintlicher Massenmigration geführt hätten. Mit diesem Gedankengerüst führt er fort, was andere rechtsextremistische Attentäter vorgemacht haben. Doch die männliche Gewalt, die zu tödlicher Gewalt werden kann, beginnt schon viel früher, sagen die Politikwissenschaftlerinnen Judith Götz und Eike Sanders.

Judith Götz ist Literatur- und Politikwissenschaftlerin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit. Eike Sanders ist Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchivs und des Bildungszentrum Berlin apabiz e.V., wo sie zentral zum Thema extreme Rechte und Gender forscht, publiziert und Bildungsarbeit durchführt. Beide sind Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Gemeinsam haben sie das Buch Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt geschrieben.

ze.tt: Frau Götz, Christchurch, El Paso, Halle. Immer sind es rechte Männer, die Terroranschläge verüben. Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, mit der Sie auch Ihr Buch beginnen: Sind Männer das Problem?

Judith Götz: Man kann schon sagen, dass die Terroranschläge der vergangenen Jahre und Jahrzehnte stark etwas mit Männern und bestimmten Ausformungen von Männlichkeit zu tun haben. Ein zentrales verbindendes Moment der Anschläge ist, dass die Gewalt in einem Zusammenhang mit Geschlecht steht. Es geht dabei um Männlichkeitsvorstellungen.
Welche sind das?

Judith Götz: Die Täter haben Verschwörungstheorien. Die einen sprechen vom »großen Austausch«, ein ähnliches Narrativ findet sich auch bei dem Täter in Halle wieder. Die Gesellschaft sei bedroht durch Migration. Und wir erleben ein zweites Narrativ: dass der Feminismus die Gesellschaft von innen bedrohen würde, durch den Rückgang von Geburtenraten, durch die Auflösung von patriarchalen Geschlechterordnungen. Von daher würde ich sagen, ja, Männer sind das Problem – vor allem jene Männer, die dafür sorgen, dass die patriarchale Gesellschaftsordnung aufrecht erhalten wird.

Welche Männer sind das?

Judith Götz: Es handelt sich dabei um Männer, die an einen Maskulinismus appellieren. Frauen werden dabei als Opfer konstruiert und Männer als Beschützer, die den imaginierten Untergang aufhalten können, indem sie sich zur Wehr setzen. In diesem paranoiden Wahn scheint dann oft jedes Mittel recht. In ihrer Vorstellung hat der Krieg längst begonnen. Diese Weltsicht appelliert insbesondere an Männer.

Frau Sanders, ist diese Weltsicht neu, oder gibt es sie schon immer?

Eike Sanders: Die Figur, dass der Mann berufen ist, die Frau und damit den Volkskörper zu beschützen, ist alt. Neu ist, dass der Feminismus und Gender-Theorien und die Auflösung der Geschlechterordnung, die als »natürlich« apostrophiert wird, als Feindbild explizit in den ansonsten sehr dünnen Manifesten der Attentäter auftaucht.

(…)

Warum passt für die Täter der Antifeminismus so gut zu Rassismus und Antisemitismus?

Eike Sanders: Wir beobachten in den vergangenen Jahren, dass in der extremen Rechten das Thema Gender und Familienpolitik sehr viel stärker in den Vordergrund gerückt wurde. Da wird gesagt, es sei jetzt doch mal genug mit dem Feminismus, in westeuropäischen Gesellschaften sei Gleichberechtigung erreicht. Das ist ein Punkt, an dem sich viele nach rechts radikalisieren. Antifeminismus wird in der Breite der Gesellschaft diskutiert und dadurch legitimisiert. Einerseits gibt es einen tief verwurzelten Frauenhass und Hass gegen queere Menschen. In den verschwörungsideologischen Narrativen kommt das dann zusammen mit Rassismus und Antisemitismus. Das Narrativ ist, dass der Feminismus dazu beiträgt, eine multikulturelle Gesellschaft zu ermöglichen, die aus rassistischen Gründen abgelehnt wird.

Judith Götz: Antifeminismus hat für die extreme Rechte auch viele Vorteile. Unter dieser Klammer kommen viele unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zusammen. Diese kommen auch aus der Mitte der Gesellschaft, sie verteidigen die Dichotomie der Geschlechterordnung. Viele Menschen erleben das als Orientierung und Beruhigung. Alles andere wird als bedrohlich wahrgenommen. Antifeminismus hat dadurch eine Brückenfunktion zwischen der Mitte und Rechts. Ein weiterer Vorteil, den die extreme Rechte im Antifeminismus erkannt hat, ist, dass es nicht mehr so leicht ist, offen rassistische Bevölkerungspolitiken einzufordern im Mainstream-Diskurs. Im Hinblick auf Feminismus existieren nicht die Tabus, die wir im Rassismus haben.

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Mehr: Judith Götz und Eike Sanders im Interview mit ze.tt vom 11.10.2019


Vor Kurzem haben Judith Götz, Eike Sanders und Anna O. Berg als AK Fe.In das Buch »Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und Ethnisierung von Gewalt« veröffentlicht.