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Rechte Perspektiven auf Religion – Teil 1

In rechten Printmedien gibt es vielschichtige Bezüge auf Religion. Religiöse Versatzstücke als Teil »des Eigenen« finden sich in diversen Spektren der extremen Rechten. Stets ist die Bedrohung durch »das Fremde«, etwa den Islam, damit verknüpft. Die apabiz-Publikationsreihe magazine nimmt rechte Periodika unter die Lupe, beleuchtet zentrale Diskurse und schafft damit eine Grundlage für die argumentative Auseinandersetzung.

von Kilian Behrens, Vera Henßler, Ulli Jentsch, Frank Metzger und Eike Sanders

Obwohl das Thema Religion auch in extrem rechten Diskursen allgegenwärtig ist, sind Analysen zu rechten Perspektiven auf Religion rar gesät. Die Berührungspunkte sind vielseitig. Zentral ist der antimuslimische Rassismus vieler Akteure, der sich mit Verweisen auf den Koran oder den islamistischen Fundamentalismus an »dem Islam« als einer monolithisch gedachten Religionszugehörigkeit von »den anderen« abarbeitet. Eine absolute Verdammung wird jedoch nicht von allen geteilt – mitunter findet sich gar Bewunderung. Beim Durchblättern einiger Magazine wird zudem deutlich: Perspektiven auf die unterschiedlichen Religionen gehen über eine simple »Wir-Gruppen«-Konstruktion hinaus. Gleichzeitig bleiben sie eng mit Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus verknüpft. So waren sowohl bei der NPD als auch im rechtskonservativen Spektrum im »Luther-Jahr« 2017 gleichzeitig eine Verteidigung Martin Luthers als auch Kritik am Protestantismus zentrale Themen. Weitgehend Konsens besteht in der Ablehnung der Amtskirchen, die als Teil eines »links-grün versifften Mainstreams« gesehen werden. Die Perspektiven auf das Judentum verbinden sich oft mit antisemitischen Narrativen, etwa wenn es um die »Vergangenheitsbewältigung« geht oder der Nahost-Konflikt debattiert wird. Als Religion ist das Judentum hingegen kaum Thema. Neben den drei monotheistischen Religionen gibt es schließlich auch noch den Germanenkult des neonazistischen Spektrums. Wir wollen in unserer zweiten Ausgabe der magazine wissen: Welche Rolle spielt Religion in den einzelnen Publikationen? Gibt es einen positiven Bezug auf Religion, den Katholizismus, den Protestantismus, das »christlich-jüdische Abendland«, das Germanentum? Welche Perspektiven haben die AutorInnen auf den Islam? Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir uns ein breites Spektrum rechter Printmedien angeschaut. Die explizit religiös gebundenen Periodika haben wir bewusst ausgespart. Das Ergebnis basiert weniger auf einer umfassenden Inhaltsanalyse, sondern vielmehr auf der Lektüre thematisch relevanter Artikel in den einzelnen Publikationen, meist aus den vergangenen zwei Jahren. Um eine grundsätzliche Haltung der einzelnen Magazine zu religiösen Fragen herauszuarbeiten, bedürfte es einer weit umfangreicheren Analyse. Dafür stellen wir die Publikationen in unserem Archiv gerne zur Verfügung.

Das Christentum als »Das Eigene«

Viele Publikationen der extremen Rechten durchzieht ein vage positiver Bezug auf den christlichen Glauben. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit wird das Christentum als Teil der eigenen und kollektiven, deutsch-nationalen Identität als gesetzt vermittelt, doch dabei so sehr im Ungefähren belassen, dass es vor allem als kulturelles Erbe auftaucht und mystifizierend ins Private verweist. Eine eindeutige konfessionelle Präferenz ist bei keiner der Publikationen festzustellen. Es finden sich in den hier aufgeführten Publikationen keine theologischen Erörterungen und bis auf einzelne Ausnahmen auch keine praxisbezogenen, missionarischen Artikel. Verallgemeinernd kann festgestellt werden, dass der christliche Glaube für extrem rechte Politikansätze nicht konstitutiv ist. Dies mag auch in dem – bei allen Widersprüchen und historischen Gegenbeispielen immer noch vorhandenen – universalistischen Anspruch des Christentums begründet sein, dem das extrem rechte Denken mit seiner Ablehnung der Gleichheit aller Menschen widersprechen muss.

Explizit, wenngleich schlagwortartig, äußert sich die Junge Freiheit (JF). Die 1986 gegründete, inzwischen eine Auflage von gut 35.000 erreichende Wochenzeitung ist derzeit das wichtigste Publikationsorgan des national-konservativen Spektrums, das sich positiv auf die sogenannte Konservative Revolution bezieht, jedoch der radikalen Fundamentalopposition von Björn Höcke über Götz Kubitschek bis zum Neonazismus mit bürgerlicher Skepsis begegnet. Die Junge Freiheit proklamiert in ihrem Leitbild vier Werte: »Nation«, »Freiheitlichkeit«, »Konservatismus« und »Christentum«. Zum Christentum stellt sie fest: »Die europäische und deutsche Kultur sind mit dem Christentum auch in seiner säkularen Form unauflöslich verwoben. Wir begegnen religiöser Indifferenz durch einen dominierenden, festen christlichen Standpunkt, der im Jahreslauf wiederkehrend einen deutlichen Vorrang erhält.« Das Christentum wird mal schlicht als Tradition und Quelle von Bräuchen und Kulturgütern gewertschätzt, mal tiefgehender als prägend und damit schützenswert analysiert: In seiner heutigen Form sei es in Verbindung mit der griechischen Philosophie der Antike kulturgebend, es sei das »jüdisch-christliche Denkmuster«, das die »erkenntnistheoretische Etablierung des Individuums« und damit die notwendige Aufklärung als Grundlage des subjektiven, kritischen Denkens begünstigt habe (7/2018). Während dieser positive Bezug auf Individualismus und Aufklärung nicht konsensfähig ist, ist die Perspektive auf das Christentum als Grundlage der nationalen Identität unumstritten. Karlheinz Weißmann, Buchautor und Gymnasiallehrer für evangelische Religion und Geschichte, schreibt in der JF regelmäßig über Luther und das Christentum, wozu sich insbesondere im Jahr 2017 das 500-jährige Reformationsjubiläum und der Evangelische Kirchentag als Aufhänger anboten. Wichtig ist Weißmann eine deutsch-nationale, aber dennoch positive Luther-Rezeption, die auch Chefredakteur Stein mitträgt. Luthers größter Verdienst sei es, die deutsche Nation vereint zu haben. Er sei ein anti-elitärer Volksheld gewesen und reihe sich in die Geschichte der Deutschen als einer Geschichte des Widerstandes ein, der Protestantismus habe seinen Vorläufer quasi bei Arminius gehabt. (10/2017 u.a.) Neben diesem geschichtlichen »Wissen« über Martin Luther bleibt eine kanonisierende Vermittlung des christlichen Glaubens in der JF aus.

Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit wird das Christentum als Teil der eigenen und kollektiven, deutsch-nationalen Identität als gesetzt vermittelt, doch dabei so sehr im Ungefähren belassen, dass es vor allem als kulturelles Erbe auftaucht und mystifizierend ins Private verweist.

Der Hang der Neuen Rechten, den christlichen Glauben als mystisch zu bewahren und die aktuellen Formen eines politischen Christentums abzulehnen, wird deutlich beim Blick in die Sezession. Das seit 2003 bestehende Periodikum entstand aus dem Institut für Staatspolitik (IfS) und ist nicht zuletzt durch den gehypten Herausgeber Götz Kubitschek derzeit prägend für die Diskurse der Neuen Rechten. Über die Jahre sind mehrere Schwerpunkthefte zum Themenkomplex erschienen, darunter Religion (2005), Christentum (2007) und Islam (2011). Religion gilt den AutorInnen der Sezession als Ordnungsmacht, die dem Liberalismus und Individualismus etwas entgegensetzen könne. Diese Funktion des Sakralen wird jedoch entsprechend dem Selbstbild der Sezession als metapolitische Schrift stets über einen philosophischen oder kulturellen Zugang vermittelt.[1] Für Karlheinz Weißmann, nicht nur Autor der JF sondern eine der zentralen Figuren der frühen Sezession bis zu seinem Ausscheiden 2014, ist Religion ein »Phänomen von langer Dauer, eine konservative Instanz ersten Ranges.« (Ausgabe 11, 2005) Das Sakrale spielt für das eigene Selbstverständnis eine zentrale Rolle, gleichzeitig wird jedoch davor gewarnt, den Glauben als etwas Gewöhnliches zu begreifen. Der Glaube wird zu einer geradezu mystischen Frage. In dem Gesprächsband »Tristesse Droite« erklärt Götz Kubitschek: »Ich bin theologisch wenig bewandert. Ich weiß nur wenig über Religion, aber ich hab einen mystischen Zugang. Die Kirche, der Gottesdienst, die Messe, das ist das Mysterium, das ist der Nicht-Alltag, und ich habe keinen funktionalen Zugang, das heißt: Ich geh nicht hin, weil‘s mir gut tut oder weil‘s dem Abendland gut tut oder weil‘s die Gesellschaft stabilisiert. Manche sagen, das Abendland ist christlich definiert, das ist die Klammer, die Korsettstange oder der erfahrbare Zusammenhalt. So funktional-pragmatisch gehe ich an die Sache nicht ran.« Damit verhält es sich in der Sezession mit dem Religiösen ähnlich wie mit dem »Eigenen«: Es bleibt im Ungefähren, dient dabei aber wesentlich der elitären Abgrenzung gegenüber dem verhassten Konventionellen.

Meist dient der Bezug auf Religion der Konstruktion eines Wir-Gefühls. Dies funktioniert besonders gut in Kombination mit dem Diskurs um Heimat. Das monatlich erscheinende Compact-Magazin versteht sich als Bewegungsblatt und bildet vor allem die gesellschaftlichen Narrative aus dem Pegida- und bewegungsnahen AfD-nahen Spektrum ab. Die Compact nutzt religiöse oder identitätspolitische Versatzstücke da, wo sie sich in die übergeordnete Erzählung vom Kampf gegen »die da oben« oder gegen vermeintlich böse Mächte einfügen. Das Christentum ist darin das Eigene, welches es zu verteidigen gilt. Dabei geht es weniger um konfessionelle Glaubensbekenntnise oder thematische Auseinandersetzungen mit Religion, als vielmehr um das Bekenntnis zu einer deutschen Kultur und Tradition. In verschiedenen Artikeln malt die COMPACT ein Sehnsuchtsbild unberührter »gottbehütete[r]« Landschaften, deren »Idylle« durch »linke Umerzieher und moslemische Landnehmer« bedroht sei (06/2018). Die Autorin Nadja Bachheimer bringt Antiliberalismus und Heimatdiskurs gekonnt zusammen, wenn sie über ihren Weg zum christlichen Glauben schreibt (01/2017). Sie bezieht Stellung gegen moderne Lebensmodelle und wirbt gleichzeitig für das traditionelle Landleben. Ihre Wahlheimat im österreichischen Neuberg beschreibt sie als »überschaubare Gemeinde, wo man sich kennt und sonntäglich und zu den Hochfesten in der Kirche trifft. (…) Natur, Glaube und guter Lebensstil sind hier in wohltuendem Einklang.« Diese scheinbar klaren Verhältnisse werden als Gegenpol zur globalisierten Welt und einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft gesetzt, die der Natur des Menschen entgegen stünde. Der katholisch-fundamentalistische Blogger, »Lebensschutz«-Aktivist und selbsternannte »Jesus-Punk« Rudolf Gehrig inszeniert die vermeintliche Unangepasstheit des Katholizismus und das Festhalten an Religion gar als widerständigen Akt: »Wenn die Kirche schon seit zweitausend Jahren erlebt hat, dass eine zügellose Auslebung der Sexualität alles andere als eine Befreiung ist, dann glaube ich ihr mehr als einem sensationsgeilen Psycho-Fritzen, der frisch von der Uni kommt und das Gegenteil behauptet.« (02/2014) Letztlich geht es Compact um möglichst einfache Antworten. Dazu passt das Verständnis von Kultur – inklusive einem diffusen christlichen Bekenntnis – als einer unveränderbaren, feststehenden Größe.

Feindbild politisches Christentum

Das Bekenntnis der extremen Rechten zum christlichen Glauben wird dort am klarsten, wo es gegen den Feind in den eigenen Reihen geht: Die Kritik an den Amtskirchen macht einen Großteil aller Artikel aus, die sich überhaupt mit dem Christentum beschäftigen. Im Zentrum steht der Vorwurf der illegitimen politischen Einmischung, die Nähe zum Staat und zum als links wahrgenommenen Mainstream.

Besonders deutlich wird dies in dem monatlich erscheinenden Nachrichtenmagazin Zuerst! Die Zeitschrift versucht, das gesamte Spektrum der extremen Rechten zu bedienen und ist entsprechend thematisch breit aufgestellt. Immer wieder führt die Zuerst! »christliche Werte« ins Feld, wo sie für die eigenen reaktionären Ideale passend erscheinen. Ganz offenkundig sind diese nicht kompatibel mit den Amtskirchen und vor allem nicht mit deren punktuellen Annäherungen an gesellschaftliche Veränderungen dank emanzipatorischer Errungenschaften. Die Zuerst!-Ausgabe vom November 2016 mit dem Titel »Schein-Heilige – Die Kirchen und der Zeitgeist« ist eine Abrechnung mit den christlichen Amtskirchen, die »immer mehr zu Steigbügelhaltern des links-grünen Zeitgeistes« würden, womit »Multikulti, Gender-Wahn, Abtreibungen« gemeint sind. Während die evangelische Kirche für ihre Liberalisierung rigoros abgeurteilt wird, kommt, entgegen vieler jüngerer Artikel, zumindest der Oberbau der katholischen Kirche noch einigermaßen gut weg. Papst Franziskus und anderen hohen Amtsträgern wird zugute gehalten, dass sie auf den traditionellen Vorstellungen von Familie, Geschlechterrollen und Sexualität beharren und sich dem »feministischen Furor beim Thema Schwangerschaftsabbruch« verweigern. In den unteren Gliederungen der katholischen Kirche sehen die Autoren jedoch eine Gefahr durch »Anpassung der Glaubenslehre an den Zeitgeist«. Bemerkenswert ist das Interview mit Dimitrios Kisoudis (11/2016), der als Schriftsteller und Filmemacher vorgestellt wird, allerdings seit 2016 auch als parlamentarischer Assistent im Europäischen Parlament für Markus Pretzell (damals noch AfD) arbeitet. Kisoudis beschreibt die orthodoxe Kirche auch im Gegensatz zum Katholizismus als das einzig erfolgreiche und unerschütterliche Bollwerk gegen den Islam. Inhaltlich dazu passend ist der Artikel »Kreuzzug gegen Rom« von Jerome Cremer über die Kirchenkritikerin Uta Ranke-Heinemann. (10/2017) Deren Engagement gegen sexistische und homo*-feindliche Positionen innerhalb der katholischen Kirche sind Cremer genauso zuwider wie ihre Kritik an der Aufhebung der Exkommunikation des offen antisemitischen und den Holocaust leugnenden Bischofs Richard Williamson im Jahr 2009. Bezug nehmend auf Ranke-Heinemanns Kritik an der Einstellung des Papstes zur Schwangerschaftsverhütung und ihrer These, die das strikte Kondomverbot des Papstes in Zusammenhang setzt mit der Ausbreitung des HI-Virus auf dem afrikanischen Kontinent, formuliert Cremer die perfide Äußerung: »Aber es paßt so schön ins Bild der Gerechten, daß nicht etwa der unverantwortliche schwarze Mann schuld an seiner Misere hat, sondern der böse weiße Mann im fernen Europa.«

Auch die Junge Freiheit wendet sich gegen Versuche, die christlichen Kirchen mit basisdemokratischen Interpretationen zu verbinden. Ohne eine Konfession zu bevorzugen ist eine deutliche Affinität zu den Themen und Positionen der katholischen Traditionalisten wie dem Forum Deutscher Katholiken und der evangelikalen Deutschen Evangelischen Allianz festzustellen. Die JF übernimmt regelmäßig (in zwei Drittel der Ausgaben 2018) eine oder mehrere Meldungen der idea Nachrichtenagentur. Moderne evangelische oder auch reformkatholische Initiativen (»Politische Theologie«) werden kritisiert, traditionalistische Kirchenvertreter in ihrem Handeln bestärkt.[2] In einem polemischen Beitrag der Rubrik »Haltungsnote« wird beispielsweise dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer bescheinigt, ein Kirchenvertreter zu sein, der »sich nicht multikultihörig das Kreuz vom Leibe reißend vor Merkel und ihren bunten Gästen in den Staub« schmeiße (33/2018). In aktuellen kirchenpolitischen Konflikten wie dem Anbringen von Kreuzen in bayerischen Amtsstuben bestärkt die JF die befürwortenden, traditionalistischen Stimmen. Zum Kirchentag druckte die JF ein Interview mit der damaligen Vorsitzenden der Christen in der AfD (ChrAfD) Anette Schultner, die die Amtskirchen, insbesondere die evangelische, ablehnt. Die Argumentation ist prototypisch: Die Politisierung der Kirchen an sich sowie ihre Anbiederung an andere Religionen sei falsch. Anlässlich des Kirchentages attestiert die JF den Amtskirchen eine Entfernung vom Glauben: »Es mag polemisch klingen, aber Martin Luther hätte es heute schwer, zu einem Evangelischen Kirchentag eingeladen zu werden. (…) Es mag banal klingen, aber im Zentrum des christlichen Glaubens steht eben der Glaube – nicht das Räsonieren über die beste Sozial-, Wirtschafts-, Asyl- und Friedensordnung; dazu fehlt es diesem ‚Event‘ an Kompetenz. Mit Luthers ‚Sola fede‘ (allein aus Glauben) begann die Reformation. Das ist etwas anderes als der – gewiß gutgemeinte – Versuch, Christsein durch soziales Handeln zu bestimmen.« (22/2017)

Zu den Amtskirchen pflegt auch die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme ein ablehnendes Verhältnis. Der stellvertretende NPD-Vorsitzende Jürgen Gansel bezeichnet die EKD im Aufmacher der Juliausgabe 2017 gar als »linksverstrahlt«. Statt mit Glaubensfragen von »Seelsorge, Erlösung und Mission« habe der evangelische Kirchentag 2017 »Homo-Kult, Gender-Wahn, Islam-Verhätschelung und Asylanten-Vergötterung zelebriert«. Martin Luther hingegen macht sich die Partei anlässlich des 500. Reformationsjubiläums zu eigen. »Mit seiner Kritik an Fremdbestimmung der deutschen Gläubigen durch Rom und seinen scharfen Einlassungen gegen Islam und Judentum würde Martin Luther von der linksgrünen Zeitgeist-Kirche wahrscheinlich als ,Rechtsradikaler‘ diffamiert«. In der Sonderausgabe zum Bundestagswahlkampf 2017 verkündet die Deutsche Stimme gar: »Luther würde NPD wählen.«

Der Adler und die Eiche. Im neonazistischen Spektrum stehen diese Sinnbilder für eine germanische, neuheidnische Tradition, die vom Christentum überlagert wird.  Foto: Vera Henßler / apabiz

Germanen- und Neuheidentum

In völliger Abgrenzung zum Christentum ist in den letzten Jahren lediglich im Spektrum der dezidiert antisemitischen und neonazistischen Blätter ein positiver Bezug auf das Germanen- bzw. Neuheidentum als der »arteigenen Religion« der Deutschen festzustellen. Während Armin Mohler, einer der wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten, erklärter Neuheide war, bleibt ein positiver Bezug auf das Germanen- oder Neuheidentum als reales Identitätsangebot in den Publikationen dieses Spektrums weitestgehend aus.[3] Auch in der Zuerst! findet es kaum Erwähnung. Selbst in den Rubriken »Geschichte« und »Kultur« finden sich höchst selten entsprechende Artikel. Diese sind wenn dann nicht religiös oder gar mystisch aufgeladen, sondern werden einzig zur Konstruktion einer idealisierten Traditionslinie von tapferen Kriegern und heroischen Kämpfern platziert. Anders beim neonazistischen Magazin Umwelt & Aktiv. Die seit 2007 vierteljährlich erscheinende Zeitschrift hat sich der Verbindung ökologischer Themen und extrem rechter Narrative verschrieben. In der Rubrik »Heimatschutz« widmete sie sich jüngst der »germanischen Kultur«, zu der sich der Autor zurückbesinnen möchte: »55 Millionen unserer Landsleute orientieren sich in der Tat an den drei orientalischen Religionen, der Christen, der Juden und der Moslems. Nein! sage ich, nicht orientieren, sondern informieren müssen wir uns, um zu den Wurzeln unserer eigenen, uralten Kultur zurückzufinden. Wir müssen die Fremdbestimmung aus 2.000 Jahren erkennen und diese abstreifen.« (2/2018) Der Germanenkult wurde bereits im Nationalsozialismus gepflegt. Das Bekenntnis zum neugermanischen Heidentum ist für weite Teile der neonazistischen Rechten konstitutiv. Entsprechende Bezüge finden sich auf der Kleidung neonazistischer Modelabels oder in Liedern aus dem RechtsRock-Spektrum.[4]

Auch in der Deutschen Stimme wird die »arteigene Religion« positiv rezipiert: In der Rubrik »Lebendiges Brauchtum – einst und heute« geht Edda Schmidt regelmäßig auf die Hintergründe verschiedener germanisch-heidnischer Traditionen ein. Diese erscheinen als eigentliche Wurzeln deutscher Kultur, die durch das Christentum verdrängt worden seien und auf die es sich zu besinnen gelte. Die ehemalige Vorsitzende der NPD-Frauenorganisation Ring Nationaler Frauen (RNF), Aktivistin der neuheidnischen Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung und frühere Schriftleiterin der Wiking-Jugend-Zeitschrift Der Wikinger, schreibt zur Einführung der neuen Artikelreihe »besondere Orte«: »Nicht nur die Vielzahl alter Bräuche (…) zeigen uns den Ursprung unserer Kultur. Überdeckt und vielfach umgewandelt durch das Christentum, kann man vielerorts auf ehemals heilige heidnische Stätten oder besondere Orte stoßen.« (07/2018)

Der zweite Teil des Artikels »Rechte Perspektiven auf Religion«  erscheint am Donnerstag, den 1. November 2018. Die apabiz-Publikationsreihe magazine nimmt rechte Periodika unter die Lupe, beleuchtet zentrale Diskurse und schafft damit eine Grundlage für die argumentative Auseinandersetzung.


Exkurs: Das »Abendland« als Sehnsuchtsort der Rechten

Das Abendland wird in der extremen Rechten mitunter als Synonym für das schützenswerte »Eigene« verwendet. Die dem zugrunde liegenden Ideen bleiben allerdings meist blass. In der Präambel des Parteiprogramms der AfD ist der Verweis auf eine »abendländische und christliche Kultur« zu finden. Die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) tragen den Begriff gar im Namen. Und Björn Höcke kritisierte 2014 in der Sezession, ihm fehlten bei der Verwendung des Begriffes durch Pegida die »antiken und germanischen Wurzeln«. Der Historiker Volker Weiß macht in seiner Analyse zur Neuen Rechten deutlich, dass der Abendland-Begriff in seiner Verwendung über die Jahrhunderte mehrere Wendungen erfahren hat, und heute kaum noch auf die römisch-christlichen Wurzeln verweist. Pauschal, so Weiß, lasse sich der Begriff nicht mit »christlich« übersetzen, schließlich galt Jerusalem geografisch als Teil des Orients und nicht des Okzidents. Erst mit der Spaltung der Kirche in eine Ostkirche (Byzanz) und eine Westkirche (Rom) habe sich ein abendländisches Bewusstsein manifestiert. Im 19. Jahrhundert war das Abendland vielfach der Sehnsuchtsort nach einem starken Reich – auch hier stand die Trennung der Kirchen mit dem evangelischen Preußen und dem katholischen Süden jedoch im Weg. Nach dem 1. Weltkrieg prägte u.a. Oswald Spengler den Begriff. In seinem Buch »Der Untergang des Abendlandes« beklagte er einen Autoritätsverlust und drohenden Staatsverfall. Schließlich kam der Antikommunismus gegen die Sowjetunion als geografisches Spiegelbild des »Abendlandes« hinzu. Bei Pegida hingegen, so Weiss, sei mit der Hinwendung zu Putin und der Ablehnung der EU erneut eine begriffliche Wendung vollzogen worden. Die derzeitige Begriffsdeutung sei ein Beispiel dafür, »wie sich Neue Rechte und Rechtspopulisten ihre Traditionen selbst schaffen – und damit genau das tun, was sie ihren Gegnern vorwerfen: die aktive Gestaltung von Kultur«. (S. 182)

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2017.


Titelbild: Fenster von Marc Chagall im Chicago Art Institute. Der französiche Maler russisch-jüdischer Herkunft überlebte die NS-Herrschaft im Exil in den USA. Er gestaltete eine Vielzahl von Fenstern für Kirchen, Synagogen und öffentliche Gebäude in verschiedenen Ländern, wo sie ein Zeichen der jüdisch-christlichen Verständigung darstellen sollen. (flickr.com/jim forest)

  1.  Zur Rolle der Religion in der Sezession siehe auch Samuel Salzborn: Religions-verständnisse im Rechtsextremismus. Eine Analyse am Beispiel des neurechten Theorieorgans Sezession, in: Jahrbuch für öffentliche Sicherheit (JBÖS), 2014/2015, S. 285-301
  2.  Vgl. Friedrich Romig: Kirche. Eintrag in: Schrenck-Notzing, Caspar von (Hrsg.): Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 305ff.
  3.  Vgl. Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2017, S.48
  4.  Vgl. dazu ausführlich: Karl Banghard, Jan Raabe: Die Germanen als geschichtspolitisches Konstrukt der extremen Rechten, in: Hans-Peter Killguss, Martin Langebach (Hrsg.): »Opa war in Ordnung!« Erinnerungspolitik der extremen Rechten, Köln 2016