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Profil: Das "freiheitliche" Netzwerk formiert sich neu

 

Alter Wein in neuen Fässern

von Marco Kuhn

Am 1. März 2002 beschloss die Mitgliederversammlung der Liberalen Gesellschaft "sich wieder aktiv in das politische Geschehen einzumischen", wie es in ihrer Selbstdarstellung heißt.[1] Vor allem sollen im Bereich der Erwachsenenbildung Veranstaltungen und Seminare organisiert werden. Sein Selbstverständnis zieht der Verein vor allem aus der Geschichte, wobei aus der jüngeren Vergangenheit besonders zwei vermeintliche Hochphasen der Liberalen Gesellschaft hervorgehoben werden: zum einen die Zeit Ende der siebziger Jahre mit dem ehemaligen Justizsenator Hermann Oxfort[2]; zum anderen die Phase in den neunziger Jahre, als nationalliberale Kreise um Alexander von Stahl Aussichten hatten, die FDP in Berlin rechts der CDU zu positionieren. Als historische Galionsfigur der Liberalen Gesellschaft aber muss Gustav Stresemann herhalten. Dieser war ab 1917 Vorsitzender der nationalliberalen Fraktion im Reichstag sowie Reichskanzler und Reichsaußenminister in der Weimarer Republik. Seine Partei, die Deutsche Volkspartei (DVP), galt als "Rechtspartei" und definierte sich in "scharfer Frontstellung zur Sozialdemokratie".[3] Inhaltliche Überschneidungen mit der historischen DVP sind durchaus zu erkennen. Die rechten Aktiven von heute sehen sich mit einer "Versozialdemokratisierung der Gesellschaft" und einem "antifaschistischen Zeitgeist" konfrontiert. Maulkörbe, Gesinnungsdiktatur und "neue Inquisition"[4] sind gern gebrauchte Umschreibungen für die halluzinierte Verfolgung des rechten Spektrums durch das "linke Medienkartell". Unter dem Motto "Geistige Freiheit contra political correctness" referierte bereits Klaus Rainer Röhl auf einer Veranstaltung der Liberalen Gesellschaft.

Der Mittelstand als Zielgruppe

Ein besonderes Augenmerk werfen die "Freiheitlichen" um Roscher, Witt und Co. auf die Förderung des Mittelstandes. Ursächlich dafür dürfte einerseits deren persönlicher Background sein; andererseits gilt der Mittelstand als Hoffnung für den wirtschaftlichen Aufschwung der Nation.

Prof. Eberhard Hamer, Referent auf einer der Veranstaltungen der Liberalen Gesellschaft, fügt sich hier vortrefflich ein. Als Gründer und Vorsitzender des in Hannover ansässigen Mittelstandsinstituts Niedersachsen betätigt er sich als eifriger »Heger und Pfleger« des Mittelstandes. In einem seiner Bücher zum Thema zeichnet er das Bild des mittelständisches Unternehmers als engagiertem Einzelkämpfer und stellt diesem den "herzlosen" Großkonzern gegenüber, der sich hinter Masken wie "shareholder value" und "new economy" verberge. Als "menschlichen Mittelweg" sieht er "die Reinigung der Marktwirtschaft von den sozialistischen Strukturen (...) einerseits und den monopolkapitalistischen Strukturen der Konzernwirtschaft andererseits".[5] Nicht auf "anonyme Institutionen wie den Staat« solle man sich verlassen, sondern einfach wieder "zupacken".[6]

"Freiheit braucht Mut"

Die Liberale Gesellschaft ist in ein bundesweites Netzwerk eingebunden. Mit neuem Namen, aber vielen altbekannten Gesichtern, drängt es nun, nach dem Scheitern des nationalliberalen Putsches innerhalb der FDP Mitte der neunziger Jahre, zurück auf die Bühne der großen Politik.

Rückgrat dieses Netzwerkes will der Verein Freiheitliche Jugend e.V. (FJ) mit Kontaktadresse in Berlin sein, der als "Dachverbandsorganisation aller freiheitlichen Kräfte in Deutschland"[7] fungieren und als "freiheitliches Impuls- und Ideenzentrum" in die Gesellschaft und in Parteien hineinwirken soll. Unter dem Label FJ kooperieren heute die Aktionsgemeinschaft der Deutschlandliebenden (Hamburg, siehe Meldung S. 6), das Christlich-Konservative Deutschland Forum (Berlin), die Freiheitliche Initiative Deutschland e.V. (Nürnberg), die DVU-Abspaltung Freiheitliche Deutsche Volkspartei (Magdeburg), die Jugendorganisation der Bayernpartei Jungbayernbund (Raubling), die Junge Soziale Union (Jugendorganisation der Deutsch Sozialen Union, Leipzig), Junge Konservative (Leipzig) sowie das Dienstagsgespräch (Berlin) bzw. die Liberale Gesellschaft e.V.[8]

Vorsitzender des Vereins ist Steve Schwittek aus Berlin, der zuletzt als Redner auf einer Jürgen Möllemann-Gedenk-Mahnwache vor der Berliner FDP-Zentrale von sich reden machte.


1) N.N., »Die Liberale Gesellschaft e.V. – ein freiheitlicher Verein«. http://www.liberale-gesellschaft.de vom 20. Juni 03.
2) Hermann Oxfort war Mitte der 70er Jahre Justizsenator und stellvertretender Bürgermeister von Berlin. Im Juli 1976 musste er nach der gelungen Flucht von vier »Terroristinnen« aus der Frauenstrafanstalt zurücktreten.
3) Vgl. Karl Dietrich Erdmann, »Bürgerkrieg, Grenzkämpfe und Nationalversammlung«. In: Herbert Grundmann (Hg.), »Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte«, Band 19. München 1980, S. 88.
4) Ernst Topitsch, »Schuldkult in den Massenmedien: Die ewige Zerknirschung dient als Instrument, als Nasenring, an dem die Deutschen gezogen werden«. In: Epoche Nr. 133, Bad Reichenhall 1997, S. 40.
5) Eberhard und Eike Hamer, »Personale Marktwirtschaft. Eine Alternative zur Herrschaft der Finanzmächte«. In: Zeit-Fragen Nr. 22 (16. Juni 03). Online-Version: http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_106a/T01.htm vom 20. Juni 03.
6) Vgl. H.J.M., »Plädoyer für den Mittelstand – Prof. E. Hamer schreibt gegen Vorurteile an«. In: Landsmannschaften Ostpreußen e.V. (Hg.), Das Ostpreußenblatt (07. Juli 01), Online-Version: http://www.webarchiv-server.de/pin/archiv01/2701ob19.htm vom 20. Juni 03.
7) N.N., »Freiheit braucht Mut!«, http://www.freiheitlichejugend.de vom 14. März 03.
8) Liste der kooperierenden Partner, http://www.freiheitliches-forum.com/Partner.htm vom 14. März 03.

 

Quelle: monitor Nr.11, Juli 2003

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